Start Meinung Die Nummer 1 der Welt sind … wir? (Fröhlich am Freitag)

Die Nummer 1 der Welt sind … wir? (Fröhlich am Freitag)

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Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei seinem Grußwort zur digitalen Gamescom 2021 (Quelle: YouTube)
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei seinem Grußwort zur digitalen Gamescom 2021 (Quelle: YouTube)

Die Rente ist sicher, die Mieten bleiben stabil und Deutschland wird Weltmarktführer bei Videospielen: Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

„Computerspiele bringen nicht nur Freude“, dozierte NRW-Landesvater Laschet in seiner loriotesk-onkeligen Laschethaftigkeit beim Gamescom-Auftakt. Man denke nur an die digitale Bildung, an den Wirtschaftsfaktor und überhaupt.

Und deshalb habe er das Thema zur Chefsache gemacht und sich fest vorgenommen, Nordrhein-Westfalen zum Games-Standort Nummer 1 zu machen. „Diese klare Zielsetzung werden wir nach der Bundestagswahl auch auf Bundesebene anpacken, um im internationalen Wettbewerb ganz nach vorne zu kommen.“

Ganz. Nach. Vorne.

Die Union wird seit Monaten nicht müde, dieses Mantra immer und immer wieder zu wiederholen – zum Beispiel am vorvergangenen Montag bei der Vorstellung des Digitalprogramms. „Wir wollen Deutschland zum Games-Standort Nr. 1 machen“ – so steht es geschrieben auf Seite 5. Und es klingt nur ein kleines bisschen so, als habe der hiesige Lobby-Verband erfolgreich souffliert, denn dessen Mission lautet ja, „Deutschland zum besten Games-Standort zu machen“.

Und jetzt alle: „Die Nummer 1, die Nummer 1, die Nummer 1 der Welt sind … wir?

Echt jetzt?

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Natürlich ist es völlig legitim, sich ehrgeizige, gerne auch überambitionierte oder schlicht irre Ziele zu setzen. The sky is the limit. 100 Meter unter 10 Sekunden. 10 Kilo in 7 Tagen (runter, nicht rauf). We are the champions, my friends. No time for losers.

Ohne es empirisch erhoben zu haben, würde ich vermuten, dass es in der Games-Industrie nicht einen einzigen Gründer oder Unternehmer gibt, dem die Nummer mit der Nummer 1 ein Herzensanliegen ist.

Anders bei Verband und Politik. Dort ist die Anspruchshaltung eine andere. Die Sehnsucht nach einem Cyberpunk 2077 made in Germany (abzüglich der Bugs) ist mit Händen zu greifen. Also ein Spiel, mit dem man international so richtig glänzen kann. Doch Deutschland ist in dieser AAA-Liga – Stand jetzt – kaum mehr als verlängerte Werkbank. Und so segensreich Serious Games sein mögen: Weltmarkt ist anders.

Das ist auch nicht weiter ’schlimm‘. Weite Teile der mit robustem Selbstbewusstsein ausgestattete deutsche Automobilindustrie haben ungefähr kein Problem damit, bei wesentlichen Kennzahlen – Produktion, Umsatz, Marktkapitalisierung – hinter Mitbewerbern aus USA, Japan und China zu rangieren, solange die Renditen so erfreulich ausfallen wie in den vergangenen Monaten.

Und wie es der Zufall will, sind das ja genau jene Märkte, die den globalen Games-Markt kontrollieren. Mir fehlt die Fantasie, warum sich daran auf Sicht von 10 oder 15 Jahren substanziell etwas ändern sollte.

Wem es an Fantasie erkennbar nicht mangelt, ist Noch-Verkehrs- und Computerspieleminister Andreas Scheuer. Der ließ zur Gamescom nämlich ausrichten, man wolle mit Ländern wie Kanada, USA und China künftig „auf Augenhöhe agieren“.

Das hat Scheuer wirklich gesagt.

Auch wenn es Politikern naturgemäß schwer fällt: Ich finde, man sollte beim Erwartungsmanagement ein Mindestmaß an Seriosität walten lassen. Denn natürlich sind die kolportierten Milliarden-Umsätze und Zuwachsraten der hiesigen Branche beeindruckend, aber eben auch sehr überwiegend importiert – bei Spielkonsolen und Hardware zu fast 100 Prozent.

Und auch bei der Kennziffer Arbeitsmarkt lohnt ein Realitäts-Check. Der Kern der deutschen Games-Industrie ist immer noch winzig: Allein im Bremer Mercedes-Werk sind mehr Menschen sozialversicherungspflichtig in Lohn und Brot als bei allen Spiele-Studios und Publishern zusammen.

Wie gesagt: nicht ’schlimm‘. Denn was bei Sonntagsreden gerne unterschlagen wird, ist: dass wir eine lange Liste mega-erfolgreicher Mittelständler haben, deren Namen vielfach niemand außerhalb der Branche kennt. Diese Firmen bauen gefragte Produkte, sorgen für sichere Jobs, überweisen pünktlich Gehälter und zahlen nicht wenig Steuern. Allenfalls ein paar Ausbildungsplätze wären nice.

Aber gerade aus diesen Gründen können, besser: dürfen Mitbewerber wie die USA oder China nicht unser Maßstab sein. Das wäre im Videospiele-Sektor genauso absurd, als wenn man aus dem Ostwestfälischen heraus den Smartphone-Weltmarkt aufrollen wollen würde. Wobei, wer weiß: Vielleicht läuft just in diesen Minuten im Verkehrsministerium ein entsprechendes Strategiepapier aus dem Kopierer.

Deutschlands Benchmarks heißen vielmehr Frankreich, Schweden, Polen und Finnland, meinetwegen das Vereinigte Königreich – die aber allesamt ganz andere Voraussetzungen etwa mit Blick auf den Kapitalmarkt mitbringen. Es hat Gründe, warum deutsche Games nur indirekt über ausländische Mütter an der Börse gehandelt werden.

Daher mein Vorschlag: Lasst uns erstmal seriös Europameister werden, das wird hart genug. Danach können wir immer noch über das Projekt Weltmeisterschaft reden.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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