Von einer „Vorzensur“ spricht der Berliner Medienanwalt Kai Bodensiek mit Blick auf die umstrittene Rundfunklizenz für Livestreaming-Angebote. Der Jurist hat Erik Range („Gronkh“) bei dessen Zulassungsantrag beraten.
[no_toc]Man kann nicht behaupten, er hätte nicht alles versucht: Ein halbes Jahr lang hat Gronkh alle Varianten durchgespielt, um die Rundfunklizenz für den Betrieb der Twitch-Kanäle doch noch zu verhindern. Auswandern? Gar nicht mehr streamen? Einen jahrelangen Prozess gegen eine Behörde führen, die über nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt und alle Instanzen mitgeht? Um am Ende möglicherweise doch nicht Recht zu bekommen? Oder wie er es im Interview beschreibt: „Als würde man seine Existenz beim Roulette auf Rot setzen – und der Gewinn ist, dass man einfach so weiter machen darf wie bisher.“
16 Seiten umfasst allein der Schriftsatz, den Kai Bodensiek von der Berliner Kanzlei Brehm & v. Moers im Auftrag von Erik Range („Gronkh“) formuliert und an die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) geschickt hat, die internen Gutachten waren noch länger.
Darin und in einem demnächst erscheinenden Beitrag für das Juristen-Fachblatt „Multimedia und Recht“ leitet Bodensiek her, warum die Rundfunklizenz für Live-Streaming-Angebote nicht vereinbar ist mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland – eine Auffassung, die unter anderem auch der Leipziger Professor und Staatsrechtler Hubertus Gersdorf vertritt.
Ist die Rundfunklizenz überhaupt verfassungskonform?
Begründung: Die derzeitige Regelung widerspricht einerseits der im Grundgesetz verankerten Rundfunkfreiheit, zum anderen käme eine zwingende behördliche Erlaubnis einer Vorzensur gleich. Anstatt die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen und zu stärken, wird sie durch die Zulassungspflicht ausgebremst.
Eine solche Beschränkung ist ungefähr das Gegenteil dessen, was die Autoren des Rundfunkstaatsvertrags beabsichtigt hatten. Denn die zugeteilten Frequenzen und Lizenzen sollten ja gerade Vielfalt gewährleisten und Machtkonzentration vermeiden.
Einig sind sich nun alle, dass eine Überarbeitung der bestehenden Gesetze nötig ist – Parteien, Politiker, Landesregierungen, Wissenschaftler, Juristen, selbst Aufsichtsbehörden wie die Landesmedienanstalten. Doch eine Korrektur ist weder für 2018 noch für 2019 zu erwarten.
Dabei würde ein schlichter Zusatz im Staatsvertrag genügen, um Live-Streams mit dem lediglich anzeigepflichtigen Internet-Radio gleichzusetzen: „Wer Rundfunk ausschließlich im Internet verbreitet, bedarf keiner Zulassung“ – Fall erledigt.
Leider stehen Ministerien und Ämter nicht im Verdacht, einmal errungene Pfründe leichtfertig aufzugeben.
Landesmedienanstalt NRW beharrt auf ihrem Standpunkt
Der monatelange Schriftwechsel zwischen Anstalt und Anwalt führte letztlich zum Ergebnis, dass die Düsseldorfer LfM unbeeindruckt auf ihrem ursprünglichen Standpunkt beharrt:
Entweder Range beantragt eine Rundfunklizenz für seinen 24/7-Twitch-Kanal.
Oder die Behörde tütet Bußgeldbescheide ein – die anfangs überschaubar sein mögen, aber rasch existenzbedrohende Dimensionen annehmen können, wie Range im GamesWirtschaft-Interview schildert.
Und so kam es, dass Deutschlands bekanntester Letsplayer seit Jahresanfang 2018 stolzer Besitzer einer Rundfunklizenz ist – ebenso wie zuvor schon Rocket Beans TV, der vereinseigene Sender FC Bayern TV, der Spartensender Sport1, SPIEGEL TV oder der Heise-Verlag („c’t“).
Gerüchte rund um die Rundfunklizenz: Alternative Fakten und gefühlte Wahrheiten
Seit Januar steht also fest: Die Zulassungskommission hat dem Gronkh-Lizenzantrag zugestimmt. Doch was bedeutet das in der Praxis?
Mythen und Legenden ranken sich um das Thema Rundfunklizenz: Von fünfstelligen Gebühren, noch dazu jährlich, ist da die Rede – oder von festen Uhrzeiten, die eingehalten werden müssen. So dürften 18er-Titel erst ab 23 Uhr gezeigt werden, wie es etwa im klassischen Fernsehen üblich ist.
Das Problem: Nichts davon stimmt, wie Experte Bodensiek im Gespräch mit GamesWirtschaft betont. Beispielsweise gelten die Pflichten zur Werbekennzeichnung sowie die Jugendschutzbestimmungen des Jugendmedienstaatsvertrags für alle Angebote im Netz, egal ob mit Rundfunklizenz oder ohne.
In keinem Fall ist es so, dass USK-18-Spiele nur noch im Twitch-“Spätprogramm“ ab 23 Uhr laufen dürfen, wie verschiedentlich zu lesen war. Wer in seinem „GTA 5“-Livestream lediglich die Küste abfährt, kann das weiterhin auch tagsüber tun.
USK überwacht Jugendschutz auf den Gronkh-Kanälen
Was geht und was nicht, darüber wacht bei rundfunklizenzierten Betrieben ein Jugendschutzbeauftragter. Im Falle von Gronkh übernimmt die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) diese Aufgabe, und das für seine Youtube-Videos schon seit fünf Jahren. Sie berät und gibt Empfehlungen, wie das Programm gestaltet werden sollte – und welche Spiele von vornherein durchs Raster fallen.
Das hängt nicht zwingend von der USK-Freigabe eines Spiels ab: Schließlich gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, wie sich selbst ein harmloses USK-6-Spiel wie „Minecraft“ dahingehend missbrauchen ließe, um mit Strafgesetzbuch und Jugendschutz zu kollidieren. Auch auf die Kommentierung kommt es an: Wer beim Beschimpfen von Mitspielern die Tiernamen ganzer Zoos durchdekliniert, hat auch als „Rocket League“- oder „FIFA 18“-Spieler möglicherweise ein Problem.
Die USK wirft ein waches Auge auf die Einhaltung der guten Sitten. Wer als Zuschauer eine Beschwerde hat, kann sie dort vorbringen. Auch Plattformbetreiber wie Youtube sind mittlerweile für das Thema sensibilisiert und haben – auf sanften Werbekunden-Druck hin – die Vorgaben verschärft, gerade für reichweitenstarke Kanäle.
Rundfunkzulassung ohne Fachleute kaum zu bewältigen
Was allerdings stimmt: Die Beantragung einer Rundfunklizenz bei der zuständigen Landesmedienanstalt ist langwierig und alles andere als trivial. Jede Menge Unterlagen müssen beschafft werden, von der Gewerbeanmeldung bis zum Jahresabschluss. Die Daten und Zahlen sollten vollständig, aktuell und korrekt sein – ohne Unterstützung durch einen Steuerberater und einen versierten Anwalt ist das Prozedere für freiberuflich streamende Letsplayer kaum seriös zu bewerkstelligen.
Gronkh hat sich schlussendlich gegen die Auswanderung nach Österreich und gegen die Eröffnung einer Briefkastenfirma entschieden. Er versteuert seine Einnahmen also weiterhin in Deutschland – und darf nun so oft und so lange live im Netz senden, wie er möchte. Doch die Debatte um die Rundfunklizenz für Webvideo-Kanäle ist damit nicht beendet, im Gegenteil: Sie wird fortgeführt, womöglich weit über das Jahr 2018 hinaus.
Wie Bodensieks Mandant Erik Range die Situation beurteilt und wie sich die Zulassung auf seine Pläne für das Jahr 2018 auswirken, erklärt der Youtube-Star in einem ausführlichen Interview.