Start Meinung Habeck bei Hänno: Neues vom Obertwitcher (Fröhlich am Freitag)

Habeck bei Hänno: Neues vom Obertwitcher (Fröhlich am Freitag)

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Szene aus dem "Fliesentisch-Gespräch" zwischen Maximilian Knabe (HandOfBlood) und Robert Habeck (Grüne)
Szene aus dem "Fliesentisch-Gespräch" zwischen Maximilian Knabe (HandOfBlood) und Robert Habeck (Grüne)

Spätestens mit Habecks ‚Überraschungs-Besuch‘ im Livestream von Influencer HandOfBlood erreicht der Bundestagswahlkampf auch die Games-Branche.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

es war am Dienstag kurz nach 19:45 Uhr, als sich im Hintergrund des Studio-Setups leise die Tür öffnete und unvermittelt der grüne Wirtschaftsminister hereinschneite. Gaming-Influencer Maximilian Knabe drehte sich um und wirkte bedingt überrascht: „Herr Habeck, Sie hier?“

Just für diese Uhrzeit hatte Knabe – besser bekannt als HandOfBlood – seiner riesigen Twitch-Community einen „großen special guest“ angekündigt, ohne weitere Spoiler. Das Publikum dürfte überwiegend mit einem befreundeten Creator oder E-Sportler gerechnet haben. Zuvor hatte ‚Hänno‘ stundenlang den Online-Shooter Escape from Tarkov gezockt und die Zeit bis zum Eintreffen des Gastes mit einer ‚Reaction‘ auf eine fast 30 Jahre alte Stern TV-Folge überbrückt, in der die sehr relevante Frage verhandelt wurde, welche Amateur-Fußballmannschaft wohl die allerschlechteste im Land sei: der FC Sophienthal oder doch der VfB Grafenau.

Jedenfalls stand plötzlich der Vizekanzler und Grünen-Kanzlerkandidat mit einer Flasche Krombacher 0,0 % im Raum – und nach kurzer Begrüßung und Verkabelung verlagerte sich der Talk in ein Spandauer-Barock-Ambiente samt Fliesentisch, Knabbereien-Box und Weinblatt-Glasschale. Das thematische Spektrum: enorm. Klima- und Personenschutz, Influencer und Social Media, das Gebäudeenergiegesetz, Fähranleger, Elon Musk, Regulierung, unter anderem.

Das Gespräch sollte ursprünglich – so lautete zumindest das kurzfristig anberaumte Briefing – ein gutes Stündchen dauern. Darauf hatte ich mich auch bei meiner beruflichen Feierabend-Planung eingestellt. Pustekuchen: Tatsächlich verabschiedete sich Habeck erst gegen 22:30 Uhr, also nach fast drei Stunden, von den mehr als 50.000 (!) Live-Zuschauern und seinem Gastgeber, den er zum „Obertwitcher“ adelte.

„Hat Spaß gemacht“, meinte Max. „Vergiss deine Jacke nicht.“

Bevor Habeck den Raum verließ, räumte er unaufgefordert sein Leergut vom Tisch. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, welcher andere ZDF-Politbarometer-Teilnehmer überhaupt auf diese Idee gekommen wäre. Aber so isser halt, der Robert. Behaupten zumindest Leute, die ihn nicht nur aus Funk und Fernsehen kennen – und zwar komplett unabhängig von der politischen Färbung.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Es ist Wahlkampf im Land – Habeck will Kanzler werden und muss dringend punkten. Sinn und Zweck dieser Aktion liegen deshalb auf der Hand. Die Grünen-Strategen hatte sich mit ihrer schon etwas länger zurückliegenden Anfrage bei Knabes Management sehr gezielt diesen ganz speziellen Influencer rausgepickt. Einmal natürlich wegen der exorbitanten Reichweite, zum anderen aber, weil die thematischen Schnittmengen nun mal offenkundig sind.

Grünes Häkchen bei ‚Brand Safety‘, wenn man so will: Handgestoppte 45 Minuten drehte sich das Gespräch alleine um die Zustände in Tierheimen und Schlachthöfen – und Habeck ist als ehemaliger Landwirtschaftsminister vollumfänglich im Stoff. Das gilt explizit nicht für Computerspiele und insbesondere für den E-Sport, der nur in den letzten Minuten noch fix durchdekliniert wurde.

Nun ist Habeck kein ‚Gamer‘, der sich von Montag bis Freitag drauf freut, an freien Wochenenden Path of Exile 2 durchspielen zu können. War er nie, wird er vermutlich auch nicht mehr – und er macht da auch keinen Hehl draus. Wenn ihm bei Gamescom-Rundgängen am Electronic-Arts-Stand ein Controller in die Hand gedrückt wird, dann tut er der Fotografen-Meute den Gefallen, für zehn Sekunden so zu tun, als hätte er entlang von EA Sports FC 25 den Spaß seines Lebens. Aber das ist natürlich reine Polit-Show. Alle, wirklich alle alle alle, sind sich dessen bewusst.

Überhaupt rate ich dringend dazu, die glühende Gaming-Leidenschaft, mit der sich Berufspolitiker zuweilen hervor tun, nicht allzu hoch gewichten. FDP-Chef Christian Lindner erzählt zum Beispiel gerne Schwänke aus seiner Jugend und wirft unterwegs Vokabeln wie Wing Commander, Ultima und Zak McKracken in den Raum. Das ist freilich grundsympathisch, fällt aber ebenfalls in die Kategorie ‚Folklore‘.

Zumindest hat sich Habeck grob in jenes Feld eingearbeitet, für das er als Minister in der Ampel-Ära formal zuständig war (und ist): Games-Politik, Förderung, Computerspielpreis. Bei bislang zwei Gamescom-Aufenthalten wurde er dazu von berufenen Experten mit den branchenweit höchsten Stundensätzen eingeschult – Spencer (Microsoft), Guillemot (Ubisoft), Muller (Bandai Namco), Wingefors (Embracer).

Dass er dieses erworbene Wissen auch nach dem 23. Februar in einer Funktion als ‚Games-Minister‘ anwenden kann, da würde ich mal ein Fragezeichen setzen – unabhängig vom Wahlausgang. Genauso wie bei der Frage, ob Games und E-Sport im Kampf um Mandate, Ämter und Kanzleramt im Lichte drängenderer Themen nochmal eine größere Rolle spielen können. Das zeigt allein ein Blick in die vorliegenden Wahlprogramme, die an Unverbindlichkeit kaum zu toppen sind. Am nähesten dran an den Lobby-Forderungen nach einer steuerlichen Förderung sind noch die Grünen, ausgerechnet.

Was lässt sich nun aus dieser Fliesentisch-Aktion lernen – für die Politik und die Branche?

Nicht allzu viel, weil sie so vermutlich kaum replizierbar ist. Was Kandidaten und Kandidatinnen nicht davon abhalten wird, in den verbleibenden Wochen die Nähe von Influencern, Podcastern und VIPs zu suchen.

Das überraschend unterhaltsame Ergebnis und das enorme mediale Interesse fußen aus meiner Sicht auf drei schwer planbaren Faktoren:

  • Erstens hatten beide Protagonisten offenkundig sehr (sehr!) viel Zeit – und nahmen sie sich auch. Es trat also nicht die übliche Talkshow-Situation ein, dass immer dann, wenn’s spannend zu werden droht, schon Ingo Zamperoni im Tagesthemen-Studio nervös wird.
  • Zweitens war es eben erkennbar eine Live-Situation – die auch leicht ins Cringige hätte abdriften können. Dieses ‚Risiko‘ gab es zumindest eingangs des Livestreams, als nochmal das verhühnerte Heizungsgesetz aufgeschnürt wurde – wo eigentlich schon alles gesagt ist, nur halt nicht von jedem.
  • Und drittens war das Aufeinandertreffen nicht mit großem Tamtam angekündigt worden – auch aus Sicherheitsgründen. Im Nachhinein ein Segen: Denn andernfalls wäre vermutlich eine Erwartungshaltung entstanden, die sich kaum hätte einlösen lassen. So wie bei LeFloids Merkel-‚Interview‘ vor zehn Jahren, wo der Fragesteller vor lauter Nervosität zum Stichwortgeber schrumpfte. Auch Knabe ist kein Lanz, der Gäste auf offener Flamme grillt.

Am Ende dürften sowohl Habeck als auch HandOfBlood profitiert haben – auch wenn es den einen oder anderen Follower gekostet haben mag.

Meine Hochachtung geht an dieser Stelle nochmal raus ans wackere Moderatoren-Team, das den heiß laufenden Chat entlang des Drei-Stunden-Marathons nicht nur im Blick, sondern überwiegend auch im Griff hatte.

Die Aufzeichnung des Livestreams finden Sie unter anderem bei YouTube.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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