FDP-Finanzminister Lindner steigt hart in die Schuldenbremse – das wirkt sich auch auf die bundesdeutsche Computerspiele-Förderung aus.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
Berlin-Mitte, 5. Juli, ein großer Biergarten schräg gegenüber vom Kanzleramt. Der Branchenverband Game feiert Sommerfest. Es ist 18:28 Uhr – und der Herr Minister wird erkennbar nervös. Noch zwei Minuten, maximal drei. Leute, wir müssen wirklich weiter. Okay, aber ganz kurz. Wohin? Da rüber? Ah, okay. Hallo … hallo … hallo.
Von der Seitenlinie wird souffliert: „Chained Echoes. Hat den Computerspielpreis gewonnen …“ Für Sekundenbruchteile mustert der stellvertretende Vize-Kanzler den Bildschirm, lächelt selig und lässt dann den Daumen nach oben schnellen: „Mega-cool – 16 Bit!“.
Und in diesem Moment lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob da gerade der 14- oder der 44jährige Christian Lindner spricht.
16 Bit meint: Sieht aus, als wär’s in den 90ern entstanden. Vintage. Retro. Wirkt alt, aber das soll so. Und ist nach wie vor ziemlich angesagt.
Es ist das erste Mal an diesem Abend, dass Lindner als Ehrengast des Bundesverbands der videospielerzeugenden Industrie zumindest in die Nähe eines Gamepads gelangt. Keine Zeit blieb zum Beispiel für eine Runde Mario Kart 8 Deluxe aus dem Hause Nintendo, das man ihm extra aufgebaut hatte.
Bis zu diesem Zeitpunkt hätte der halbstündige Auftritt des Finanzministers auch beim Zentralverband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e. V. oder beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall stattfinden können. Im Alltag von Berufspolitikern dürften sich solche Termine ohnehin nur in Nuancen unterscheiden. Empfangskomitee, Fotowand, dazu ein Bataillon Sakko-Sneaker-Träger mit Weißweinglas und Namensschildchen. Lindner ist einer von ganz wenigen, die an diesem lauen Sommerabend Krawatte tragen – abgesehen von den Barkeepern.
Der Unterschied zu anderen führenden Lobby-Verbänden der Hauptstadt: Weil es sich bei Games um eine mega-coole Branche handelt, duzt man sich mit Regierungsvertretern und Parteispitzen – egal ob den „lieben Andi“ (Scheuer), die „liebe Doro“ (Bär), den „lieben Alexander“ (Dobrindt), die „liebe Saskia“ (Esken), den „lieben Lars“ (Klingbeil), den „lieben Michael“ (Kellner) oder eben den „lieben Christian“ (Lindner). Wer auch immer halt gerade für Games (und Koalitionsverträge) zuständig ist.
Dass Lindner seine Grußwort-Zusage tatsächlich einhält, war vereinzelt bezweifelt worden. Schließlich hatte der gastgebende Verband tags zuvor eine fundamentale Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation artikuliert: Im Haushaltsplan für 2024, der am Morgen des Sommerfests im fußläufig entfernten Kanzleramt beschlossen wurde, steht in der Zeile für Computerspiele-Subventionen eine Zahl, die um fast 80 Millionen € von der Verbands-Forderung abweicht.
Die Ampel bietet nämlich geradezu empörende 48,7 Mio. € – die Industrie pocht seit Wochen auf 125 Mio. €. Setzt sich Lindner durch, droht vorzeitige Apokalypse, weil das zuständige Wirtschaftsministerium – also der liebe Robert – die vom Bundestag genehmigten Entwicklungshilfen ja schon anteilig für 2023 und 2024 verplant hat. So will es das Gesetz. Stand jetzt würden frühestens Anfang 2025 wieder Anträge angenommen. Die Opposition schippt bereits grobkörniges Salz in diese Wunde.
Auf seiner Kanzel oberhalb des Biergartens lässt sich Lindner gar nicht erst auf lästige Nachkommastellen ein. Stattdessen predigt der FDP-Chef die reine Lehre: Innovation statt Subvention. Selbstbewusstsein statt Selbstbedienung. Eigenverantwortung statt Eigenbedarf. Das sagt er natürlich nicht wörtlich so, aber so kommt es im Publikum an. In diesen Momenten könnte man im Biergarten eine Stecknadel fallen hören: Moment, will der uns gerade verklickern, dass das mit der Kohle-Förderung eher schwierig wird? Schuldenbremse, Haushalts-Disziplin, Bürokratie-Abbau, alles gut und schön – aber wer übernimmt jetzt eigentlich 50 Prozent der Entwicklungskosten meines schönen 2D-Plattformers? Etwa die örtliche Sparkasse? Lol.
Woran es derzeit (noch) mangelt – und darauf weist Lindner auch zurecht hin – ist ein belastbarer proof of concept, dass das Steuergeld sinnvoll investiert ist. Und zwar nicht nur punktuell, sondern in der Fläche und vor allem nachhaltig. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung eines geförderten Spiels und dem Abbau von Personal sollte daher nach Möglichkeit nicht zu häufig vorkommen.
Szenen-Applaus holt sich Lindner in jenen Rede-Passagen ab, in denen er wie zufällig die Stichworte Zak McKracken, Ultima, Monkey Island, Wing Commander, Origin und Lucasfilm einstreut. Klare Botschaft: Einer von euch. Leute, die ihn näher und länger kennen, attestieren glaubhaft, dass „der Christian“ tatsächlich mit diesen PC-Spielen sozialisiert wurde: früher Adventures und Rollenspiele, heute allenfalls noch Simulationen. Lindner ist Jahrgang 79 – die Erzählungen durchzockter Nächte mit Doom auf 3,5-Zoll-Disketten könnten gut hinkommen.
Lindner bringt also eine gewisse Technologie-Offenheit mit, zumindest mit Blick auf Games. Das ist die halbe Miete. Denn die Hoffnung der Branche lautete ja stets: Wenn erstmal die alten weißen Männer – die Seehofers, die Becksteins, die Bosbachs – von jungen weißen Männern (und Frauen) abgelöst würden, dann zieht auch ein ganz anderes Verständnis für Spiele in die Parlamente ein.
Und so kam es dann auch: Noch im Koalitionsvertrag des Jahres 2005, also im Kabinett Merkel I, ist auf Seite 123 ein „Killerspiel-Verbot“ vorgesehen. Im Koalitionsvertrag von 2018 klingt das dann so: „Wir wollen seitens des Bundes eine Förderung von Games zur Entwicklung hochwertiger digitaler Spiele einführen, um den Entwicklerstandort Deutschland zu stärken.“
Kenner wissen: In solchen Papieren macht es einen Unterschied, ob da „Wir wollen“ oder „Wir werden“ steht. Doch das Versprechen wurde tatsächlich eingehalten: 2019 startete die Pilotphase, seit 2020 wird im großen Stil bezuschusst. In Summe bis jetzt deutlich über 150 Millionen € – also umgerechnet 10.000 Wärmepumpen. Oder ein halbes The Last of Us 2.
Dass derartige AAA-Games im Land entstehen, gehört zu den erklärten Zielen der amtlichen Games-Strategie der Bundesrepublik Deutschland. Nur: Blockbuster dieser Größenordnung dauern viele Jahre – es braucht Planungssicherheit. Und kräftige Steuerrabatte, wie sie der Verband ebenfalls anmahnt. Die Konkurrenz schläft nicht: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Activision die Call of Duty-Filiale in Barcelona aufstockt – das dänische Studio IO Interactive baut das James Bond-Spiel Project 007 im englischen Brighton.
Das in der Tat mega-coole Chained Echoes ist hingegen ein Ein-Mann-Projekt – wie einst Minecraft. Jenes Spiel, das die Kanzlerin bei ihrem Gamescom-2017-Rundgang zu der Frage veranlasste, ob das nicht inzwischen etwas moderner ginge – nicht aus einzelnen Bausteinen und so. Und der vorführende Abiturient entgegnete: „Aber das macht den Reiz von Minecraft aus …“. Und Merkel so: „Finden Sie, ja?“. Legendär.
Der Chained Echoes-Publisher Deck13 kann nachweislich ‚moderner‘. Denn die Frankfurter bringen in fünf Wochen die nächste Eigenentwicklung auf den Markt: das Action-Adventure Atlas Fallen für PlayStation 5, PC und Xbox Series X/S. Oder wie der Finanzminister sagen würde: „Mega-cool – 4K!“.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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einem Christian Lindner attestieren Sie also „Technologie -Offenheit“ weil er in seiner Jugend wohlmöglich Monkey Island und Doom gezockt hat – absurd.
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