Start Meinung Mut zum Risiko (Fröhlich am Freitag)

Mut zum Risiko (Fröhlich am Freitag)

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Der Prototyp des 'Flugtaxi' von Lilium auf dem Digital-Gipfel 2018 (Foto: GamesWirtschaft)
Der Prototyp des 'Flugtaxi' von Lilium auf dem Digital-Gipfel 2018 (Foto: GamesWirtschaft)

Darf, soll, muss der Staat bei privaten Unternehmen ins Risiko gehen – und wenn ja, was heißt das für die Games-Branche?

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

in den vergangenen drei Wochen habe ich in Sizilien geurlaubt – was im Übrigen die reduzierte Nachrichten-Taktfrequenz auf der Website erklärt.

Wie’s war? Fantastisch. Dolce Vita pur. Aber auch ein Stückweit Clash of Cultures. Wer im Land der Reisegepäckversicherung sozialisiert wurde, dem fällt sofort die YOLO-Grundgelassenheit der Sizilianer auf.

Was sich nirgendwo deutlicher zeigt als im Straßenverkehr. Alle fahren wie die Henker, absolut niemand hält am Zebrastreifen, keiner ist angeschnallt (Taxifahrer sowieso nicht), Geschwindigkeits-Begrenzungen werden ignoriert. Wer bei Grün eine Fußgängerampel überquert, riskiert Leib und Leben. Das größte Risiko, vorzeitig als Roadkill zu enden, geht aber von Halbwüchsigen aus, die im Kamikaze-Doppelpack auf ziemlich angesagten E-Mofas und E-Fatbikes durch die super-engen Gässchen Palermos heizen – in einem Höllentempo und faktisch geräuschlos.

Es ist ein Wahnsinn.

97 Prozent der Sizilianer sind katholisch, heißt es. Mit Blick auf die Verkehrslage ist man geneigt zu sagen: Müssen sie auch. Immer wieder sonntags wird eine üppig geschmückte Marien-Figur quer durch die Stadt gewuchtet – umgeben von einer Wand aus Weihrauch, mit großer Kapelle und allem Pipapo. Rosenkranz schlägt Gurt, Helm und StVO.

Diese Was-soll-schon-schiefgehen-Mentalität geht Deutschland nahezu vollständig ab. Jüngstes Beispiel: die hitzige Debatte um Bürgschaften für Lilium.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Das oberbayerische Tech-Unternehmen entwickelt elektrische ‚Flugtaxis‘, die im Idealfall senkrecht starten und landen können. 1,5 Mrd. € soll Lilium seit 2015 für den Bau solcher eVTOL (Electric Vertical Take-off and Landing Aircrafts) ausgegeben haben. In der Zentrale in Gauting bei München und andernorts sind mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon die Hälfte Ingenieure.

Perspektivisch lassen sich Kurz-, Mittel- und Langstrecken zeit-, geld- und energie-sparend überwinden. Der Haken: Es fehlt weiterhin ein belastbarer proof of concept. Der erste bemannte Lilium-Flug ist für 2025 geplant – die Auslieferung nicht vor 2026. Auch Mitbewerber sind über Testflüge bislang nicht allzu weit hinausgekommen, zumal regulatorische Fragen offenkundig ungeklärt sind.

Erstmals bewusst wahr genommen habe ich Lilium beim ‚Digital-Gipfel‘ der Bundesregierung im Dezember 2018 in Nürnberg. Merkel, Söder, Altmaier & Co. klapperten Info-Stände ab, flankiert von Kamera-Teams. Eine Delegation der ZDF Heute-Show erhoffte sich sendefähiges Material vom Power-Duo Andy Scheuer & Dorothee Bär, das bereits an einem zusammengelöteten Prototypen auf die Kanzlerin samt Gefolge wartete.

Als Merkel ihre Digital-Staatsministerin erblickte, meinte sie nur halb im Scherz: „Na, wo die Doro Bär ist, können Flugtaxis nicht weit sein…“ Denn genau von solchen Vehikeln hatte Bär wenige Monate zuvor in einem TV-Interview bei Amtsantritt fabuliert. Trockene Reaktion von ZDF-Journalistin Marietta Slomka: „Bevor ich mit einem Flugtaxi durch die Gegend will, hätt ich erstmal gern mehr als so durchschnittlich 15 MBit pro Sekunde in meinem Internet – das würd’ mir schon sehr viel helfen..“

An Design und Technik des Lilium-Jets hat sich seitdem erkennbar Einiges verändert. Unverändert hoch ist hingegen der gigantische Kapitalbedarf.

Dem Luftfahrt-Pionier in spe drohte der Absturz, sollte der Bund nicht mit Bürgschaften aushelfen. Lilium-Gründer Daniel Wiegand raunte, bei einem Nein werde sich das Unternehmen in Deutschland nicht halten lassen. Schließlich werde auch andernorts in den eVTOL-Markt investiert. Subtiler kann eine Drohung kaum ausfallen.

Gestern hat der Haushaltsausschuss nun nach zähem Ringen eine Absage erteilt. Und das, obwohl Scholz, Habeck und Lindner eindringlich und persönlich für die Bürgschaft geworben hatten.

Um das Für und Wider solcher Staatshilfen für ein Privatunternehmen hatte es im Vorfeld heftigen Zank gegeben. Kritiker verwiesen auf reihenweise gerissene Milestones, ein noch lange nicht marktfähiges Produkt und die damit einhergehenden Risiken. Befürworter argumentierten mit Vorbestellungen, einer potenziellen Schlüsseltechnologie und der verheerenden Signalwirkung für den Tech-Standort Deutschland. Zumal der Staat ja wenig zimperlich reagiert, sobald es um die Rettung pleitebedrohter Werften, Kaufhäuser, Autobauer und Banken geht.

Über allem schwebt die Frage: Wie sinnvoll ist es, dass Bund und Länder einzelne Firmen und ganze Branchen mit Aber-Millionen stützen – in der Hoffnung, dass sich das Investment auszahlt, irgendwann?

Eine Diskussion, der sich auch die deutsche Videospiele-Industrie regelmäßig stellen muss. Seit 2019 ist ein deutlich dreistelliger Millionen-Betrag in 550 Games-Projekte geflossen – 2025 werden voraussichtlich weitere 50 Mio. € allein aus Habecks Wirtschaftsministerium folgen. Der Branchenverband hatte 125 Mio. € gefordert.

Absolut niemand kann seriös vorhersagen, ob dieses Geld gut investiert ist und ob sich all diese Subventionen jemals ‚rechnen‘. Am Ende ist es eine Wette – auf Geschäftsmodelle, Genres, Gründer. Ja – kann gut gehen. Aber es existiert auch das gar nicht mal geringe Risiko, dass einem die Nummer komplett um die Ohren fliegt. Also das Äquivalent zu E-Mofas in Palermos Altstadt.

Um das Ich-gründe-ein-Games-Startup-Abenteuer zumindest wirtschaftlich etwas abzufedern und sich des dringenden Tatverdachts zu entledigen, die Bundes-Games-Förderung habe künftig nur noch gutsituierte Mittelständler und Konzerne im Blick, hat die Bundesregierung in dieser Woche überraschend ein ‚Gründungs-Stipendium‘ aus dem Hut gezaubert. Das Geld stammt aus dem Etat der grünen Kultur-Staatsministerin Claudia Roth.

Der Plan: Maximal 130 Spiele-Entwickler werden mit knapp 50.000 € ausgestattet – verteilt auf 18 Monate à 2.750 €. Also eine Art Grundeinkommen, allerdings kein bedingungsloses: Der Antragsteller muss den Nachweis erbringen, dass er nicht einfach eineinhalb Jahre vor sich hin prokrastiniert, sondern es durchaus ernst meint.

Dass überhaupt mal wieder etwas Dynamik in die ermüdende, pathos-schwangere Förder-Diskussion kommt, ist natürlich super.

Doch was vom Stipendium-Programm zu halten ist, lässt sich Stand jetzt nicht beurteilen – einfach deshalb, weil sich Konditionen und Bedingungen erst in den kommenden Wochen materialisieren sollen. Dass Roth mehrfach betont hat, sie wolle mit ihren Games-Mitteln einen kulturellen Schwerpunkt setzen (und nicht etwa einen kommerziellen), erzeugt leichtes Frösteln.

Und noch ein Faktor lässt zarte Alarmglöckchen bimmeln. Denn die Auswahl der Begünstigten wird eine Jury übernehmen. Solche Gremien neigen dazu, verfügbares Budget auf den allerletzten Penny auszureizen – um ja keine Etat-Kürzungen im Folgejahr zu zeitigen. Faustregel: Alles muss raus. Zumindest sind wenige Fälle aktenkundig, wo es am Saison-Ende hieß: „Jippie, wir haben noch die Hälfte der Kohle übrig, weil das Qualitäts-Niveau der Einreichungen einfach so finster war.“

Kurzum: Wer bis Mitte November ein halbwegs stabiles Konzept schreibt, könnte ganz gute Chancen auf den 50.000-€-Scheck haben – und das ganz ohne Risiko.

Ab Montag geht es bei GamesWirtschaft wie gewohnt heiter weiter. Einstweilen ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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5 Kommentare

  1. Flugtaxis? Ich habe bisher nur Schlechtes davon gehört: teuer, unausgereift und für die Minderheit der Reichen konzipiert. Sollen die am besten selbst investieren.
    Dann lieber das Geld in die Games-Förderung investieren, da kann unter Umständen Kunst entstehen. Und das kann sowohl für Reiche als auch für ärmere Menschen ein Gewinn sein.

    Games als Kulturgut zu verstehen ist der richtige Weg. Das heißt nicht, dass die Spiele dadurch zwangsläufig besser werden, aber es fördert diversere Spiele, die dann nicht dem Druck der Trends hinterherjagen müssen, um möglichst viel Profit abzuwerfen. Ein furchtbares Konzept, das Spiele zwangsläufig angepasster und langweiliger macht.

    Für die Games-Förderungen sollte es allerdings auch irgendeine Kontrolle zur Verhinderung der Ausnutzung der Subventionen geben. Da ist mir noch nichts über den Weg gelaufen.

    Danke für die Kolumne!

    • Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, Games unter einem Kultur-Aspekt zu fördern – geschieht in anderen Segment (Film, Musik, Darstellende Künste etc.) ja auch.

      Nur: Das Programm ist explizit als ‚Gründungs-Stipendium‘ ausgelegt. Es sollen also perspektivisch neue, bestenfalls nachhaltige Unternehmen entstehen, die am Markt bestehen. Daher sollte man auch Geschäftsmodelle, Monetarisierung etc. in den Blick nehmen.

  2. Warum eigentlich immer so negativ und hass erfüllt wenn es um games Förderung geht bei gameswirtschaft.de geht?
    Mann könnte meinen eine Seite die sich für die Gameswirtschaft interessiert sollte nicht immer gehen die Deutsche Spielebranche hetzen und sowohl das positive und das negativ sehen. Positive Berichterstattung über die Förderung hab ich hier, aber nur sehr selten gesehen.
    Also neutrale Berichterstattung ist das nicht.

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