Man kann nicht behaupten, dass es mit Ubisoft langweilig wird: Europas größter Spielehersteller steht vor anstrengenden Wochen und Monaten.
Update vom 4.10.24 / 18 Uhr: Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieser Kolumne meldete Bloomberg, dass das Ubisoft-Management und Großaktionär Tencent eine Übernahme samt Delisting prüfen. Die unternehmensseitig unbestätigte Meldung hat einen Kurssprung von mehr als 35 Prozent ausgelöst. Bloomberg beruft sich auf unternehmensnahe Kreise.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
die gesunde Gesichtsfarbe, der lässige graue Bart und der unwiderstehlische französische Akson lassen Yves Guillemot wirken, als habe er gerade mit seinem Katamaran am Rheinufer angelegt, um sich in einer Pinte in Köln-Deutz einen Café au lait und ein Croissant zu bestellen (um gleich mal alle Klischee-Boxen zu ticken). Entspannt plaudert er mit Gamescom-Standpersonal und Cosplayern, posiert für Selfies und begrüßt Zuschauer im 400-Mann-Kino, wo im Schichtbetrieb Assassin’s Creed Shadows präsentiert wird – und zwar live.
Anders als Xbox-Boss Phil Spencer, dem ein Personenschützer auf Schritt und Tritt folgt und der allein dadurch unnahbarer rüberkommt, kann sich der Ubisoft-Gründer und -CEO weitgehend unbehelligt auf dem Koelnmesse-Gelände bewegen.

Wenn er nicht gerade in der Entertainment Area unterwegs ist oder mit Wirtschaftsminister Habeck diniert, trifft man Guillemot in der Gamescom-2024-Woche am ehesten am Ubisoft-Stand in Halle 4 der Business Area, wo er Gespräche mit Geschäftspartnern führt. Das Ambiente: spektakulär. Die deutsche Niederlassung hat sich wie immer extrem viel Mühe gegeben, um auch im üblicherweise eher zweckmäßig dekorierten B2B-Bereich so etwas wie Flair aufkommen zu lassen.
Motto diesmal: Assassin’s Creed Shadows, das im historischen Japan spielt. Die Gäste sitzen deshalb auf Kissen an niedrigen Tischen unter Papier-Lampions, Holz-Balustraden und künstlichem Ahorn. Es gibt Ichiban-Bier, Yuzu-Limo und Matcha-Eistee – selbst die Speisekarten sind auf Japanisch verfasst. Es ist kein Nachteil, dass das deutsche Ubi-Hauptquartier in Düsseldorf zu Hause ist.
Guillemot huscht von Besprechungsraum zu Besprechungsraum. Ob er zu diesem Zeitpunkt – also Ende August – schon ahnt, dass sein wichtigstes Produkt das Weihnachtsgeschäft verpassen wird? Assassin’s Creed Shadows sollte im November erscheinen – jetzt wird es Februar, wie das Unternehmen vor wenigen Tagen einräumen musste. Kommt vor. Ständig. Überall. Spannend ist die Begründung, die auf den verhaltenen Start von Star Wars Outlaws abhebt, das in Köln spielbar ist und wenige Tage nach der Gamescom 2024 erscheint.
In einer Mail an die Belegschaft verliest Monsieur Guillemot die Metacritic- und Store-Noten vor versammelter Klasse: Eigentlich okay, aber eben nur okay. In einem knüppelharten Markt erwarte die Kundschaft außerordentliche Experiences und ultra-polierte Spiele – und zwar am Tag 1. Und nicht erst nach mehreren Patch-Ehrenrunden, Wochen und Monate später.
Ubisoft werde daher mehr denn je einen „player-centric, gameplay-first approach“ verfolgen – also den Spieler und das Spielerlebnis stärker als bisher in den Mittelpunkt des unternehmerischen Wirkens stellen. Und man fragt sich: Wer stand denn bisher so im Mittelpunkt, wenn nicht der Kunde?
Es nicht das erste Mal, dass Guillemot ein wenig die Contenance verliert und mit wattigen Formulierungen irritiert. Nach mehreren Flops, Verschiebungen und Projekt-Stopps appellierte er Anfang 2023 ans Ehrgefühl seiner Entwickler: Die Studios müssten sich und der Welt beweisen, dass sie liefern können – und zwar pünktlich. Also genau das, was man von Milliardären hören will, denen das eigene Überstunden-Konto ein bisschen egal sein kann. Guillemot schob ein zerknirschtes „Pardon“ hinterher – war ja nicht so gemeint.
Das Eingeständnis schwacher Outlaws-Zahlen und das Verschiebe-Manöver von Assassin’s Creed Shadows lassen die ohnehin angeschlagene Ubisoft-Aktie endgültig kollabieren: An einem einzigen Tag geht es weitere 20 Prozent nach unten. Aus den einkassierten Umsatzzahlen für das Herbst-Quartal errechnet sich beim Star Wars-Spiel eine gewaltige Abweichung zwischen Soll und Ist.
Die bisherigen Quartals- und Finanzjahres-Planungen: Makulatur. HSBC, die Deutsche Bank, BNP Paribas, J. P. Morgan: Sie alle senken den Daumen, halbieren Kursziele, schleifen Verkaufs-Prognosen.
Die klare Erwartung der Analysten: Shadows. Darf. Nicht. Scheitern. Doch die Liste der Problemfelder ist deutlich länger. Der Börsenwert fällt, die Ungeduld wächst – auch mit Guillemot.
Man kann es mit Blick auf die Gemengelage nicht anders sagen: In den kommenden Wochen und Monaten kämpft der 64jährige – erneut – um sein Lebenswerk. Um ein Traditions-Unternehmen, in dem die Guillemot Bros. nach wie vor das Sagen haben, weil sie sich vor zwei Jahren mit einem 300-Mio.-€-Scheck von Tencent gegen feindliche Übernahmen abgesichert haben. Heute ist Ubisoft viel (viel!) weniger wert ist als beim Einstieg der Chinesen, die sich – soviel darf man vermuten – zwischenzeitlich mehr als einmal in Paris erkundigt haben werden, woran’s hakt.
Es ist schon die zweite Unwucht eines europäischen Games-Gorillas in kurzer Zeit. Der Last-Minute-Rückzieher der Saudis (so wird es zumindest kolportiert) brachte das auf Pump und kühne Wird-schon-gut-gehen-Zuversicht gebaute, schwedische Spiele-Imperium der Embracer Group im Mai 2023 ins Wanken.
Wer heute Embracer-Pressekonferenzen verfolgt, erlebt einen deutlich aufgeräumteren CEO Lars Wingefors – der spätestens dann kindliche Freude entwickelt, sobald er auf die konzerneigene Computerspiele-Sammlung zu sprechen kommt. Wingefors war zu Tabula Rasa gezwungen: Studios gestutzt, Projekte gestoppt, Tafelsilber verkauft. Embracer zerfällt nach und nach in drei handliche Pakete.
Analog zu Embracer wird Ubisoft nun die Frage beantworten müssen, ob Strategie, Struktur und Portfolio ins Jahr 2024 aufwärts passen. Ein Portfolio, das keine Plattform, kein Genre, keinen Trend, kein Geschäftsmodell auslässt, aber dadurch eben auch ohne klare Linie auskommt, für was Ubisoft steht – und für was nicht. Viel zu oft wird spät oder gar nicht reagiert: Prince of Persia, Die Siedler, Avatar, Skull and Bones. Dass am Standort Mainz nach wie vor ein Technical Director für das Endlos-Projekt Beyond Good & Evil 2 ausgeschrieben ist (dessen letzte ‚News‘ vom 12.7.2020 datiert), muss Kummer bereiten.
Falls Sie ungeachtet aller Red Flags und Analysten-Skepsis an den Turnaround glauben: Für überschaubare 100 € gibt es derzeit 9 bis 10 Ubisoft-Aktien – mit etwas Glück steht der Kurs im Februar bei 20 € und Sie kriegen Assassin’s Creed Shadows quasi für umme.
Sollte diese Wette schief gehen und der Kurs dauerhaft unter die 10-€-Marke abrutschen, wäre Europas größter Spiele-Hersteller (nach Umsatz und Mitarbeitern) weniger als 1 Milliarde Euro wert. Und dann reden wir ohnehin über ganz andere Szenarien – und vermutlich auch über einen anderen CEO.
Wie gesagt: Shadows. Darf. Nicht. Scheitern.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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