Start Meinung Gamescom: Woche der Wahrheit (Fröhlich am Freitag)

Gamescom: Woche der Wahrheit (Fröhlich am Freitag)

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Mit Baustellenzäunen wurde der Besucherstrom der Gamescom 2019 kanalisiert (Foto: GamesWirtschaft)
Mit Baustellenzäunen wurde der Besucherstrom der Gamescom 2019 kanalisiert (Foto: GamesWirtschaft)

In der kommenden Woche trifft sich die nationale und internationale Games-Industrie samt Publikum in Köln zur Gamescom 2022. Das wird … interessant.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

er wolle nicht unhöflich sein, aber man sei ja schon darauf eingegangen und deshalb würde es bei der bereits zuvor vorgetragenen Darstellung bleiben. Nämlich: dass es zu diesem Thema keine Auskünfte gibt.

Mit dieser schlüssigen Argumentationskette reagierte Messechef Gerald Böse bei der Wirtschaftspressekonferenz am Dienstagvormittag auf die abermalige Nachfrage, ob er nicht zumindest eine grobe Größenordnung benennen könne, wie viele Besucher er ab kommendem Mittwoch auf seinem Werksgelände begrüßen darf.

Und so erfuhren die teilnehmenden Journalisten zwar reichlich präzise Zahlen zu Ausstellern (1.110), Länderpavillons (27), Auslandsanteil (75 %) und belegter Fläche (220.000 qm), aber eben exakt nichts dazu, wie voll es in den Hallen wird. 100.000? 200.000? 300.000 Menschen?

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Die letzte verfügbare Zahl stammt von vor zwei Monaten: Kurz nach Start des Ticketvorverkaufs wurden 60.000 Karten kommuniziert. Seitdem: Schweigen im Wald. Mein Bauchgefühl lässt mich auf 200.000 bis maximal 250.000 tippen (was im Lichte der Lage immer noch ziemlich beeindruckend wäre), aber ich kann auch sechsstellig daneben liegen, nach oben wie nach unten.

2019 waren es im Übrigen 373.000 Teilnehmer – so viele wie nie zuvor. Damals rangierte die Gamescom auf dem fünften Platz der größten Messen des Landes. Wenn alles ’normal‘ läuft, dürfte das diesjährige Videospiele-Festival in der 2022-Endabrechnung weiter vorne landen, zumal ja die Berliner Grüne Woche abgesagt wurde und die Agritechnica in Hannover erst wieder 2023 ansteht. Und in welcher Form die Essen Motor Show im Dezember durchstartet, wird sich zum Hochlauf der Atemwegserkrankungen auch erst noch zeigen müssen.

Wenngleich ich mich von Berufs wegen seit Monaten mit wenig anderen Themen beschäftige, bin ich mir immer noch im Unklaren, wie sich wohl die erste Gamescom nach 1.000 Tagen Unterbrechung anfühlen wird. In jedem Fall: anders – luftiger, weitläufiger, vielleicht auch ruhiger und gesitteter.

Situationen, in denen Besucher ungläubig auf „Ab hier noch 9 Stunden“-Warteschlangen-Schilder starren, sind eher nicht zu erwarten – dazu soll zum einen ein Fastpass-System beitragen. Zum anderen fehlt es schlichtweg an Pendants zu Gamescom-2019-Magneten wie Cyberpunk 2077, Call of Duty Modern Warfare, FIFA 20, Marvel’s Avengers, Borderlands 3, Need for Speed Heat, Doom Eternal, Watch Dogs Legion oder The Legend of Zelda: Link’s Awakening.

Also jenen Namen, die man als Rockfestival-Veranstalter in großen Lettern auf Plakate schreiben würde. In diesem Jahr gibt es, um im Bild zu bleiben, eine Menge Mittelgroß- und Kleingedrucktes – denn auf den Indie- und Alternative-Bühnen wird mehr geboten denn je. Wie zum Beweis stellt die Indie Arena Booth mit 1.500 Quadratmetern den größten Messestand.

Die Veranstalter begründen die Absage großer Namen – auch – mit pandemie-bedingten Spiele-Verschiebungen. Das ist einerseits zutreffend, wie sich zum Beispiel am papierdünnen Gamescom-Line-Up von Ubisoft ablesen lässt. Andererseits gibt es ja hinreichend Blockbuster, die demnächst erscheinen. So hat Sony PlayStation davon abgesehen, mit Millionen-Aufwand mitten im Kölner Schwitzesommer eine klimaneutrale nordische Kunstschnee-Winterlandschaft aufzubauen, um die God of War Ragnarök-Spielstationen angemessen zu inszenieren. Zumindest hätte so mein Serviervorschlag ausgesehen, wäre ich Messebauer.

Und auch bei Electronic Arts scheint man davon auszugehen, dass FIFA 23 auch ohne Gamescom-Anspielgelegenheit ab Ende September sein Publikum finden wird. Was vermutlich stimmt. Aber trotzdem schade ist.

Denn von einer Weltleitmesse würde man ja erwarten, dass zumindest die Marktführer am Start sind. Doch die genannten Beispiele lassen mich leise zweifeln, dass es sich bei der diesjährigen Gemengelage um Corona-Sonderfaktoren handelt. Wir reden von strukturellen Marktveränderungen, die dazu geführt haben, dass Apple nicht (mehr) am Mobile World Congress teilnimmt und Toyota und Tesla leichten Herzens auf die IAA verzichten können. Stattdessen: eigene Streams, eigene Kanäle, eigene Choreographie.

Motto: All eyes on us – alle Augäpfel auf uns.

„Ich hab bisschen Angst dass wir alle ganz doll enttäuscht sein werden von der gamescom“ twitterte Streamerin Anni The Duck (835.000 Twitch-Follower) vor einigen Tagen. Den Pessimismus teile ich zwar explizit nicht, weil man sich schon sehr viel Mühe wird geben müssen, um den Gamescom-Tag nicht sinnvoll zu füllen. Aber es zeigt, dass selbst gut gebuchte Influencer nicht so recht wissen, was da eigentlich auf sie zukommt.

Veranstalterseitig darf man daher getrost die eine oder andere Kerze im Dom entzünden, dass zumindest Stammkunden wie Embracer (via THQ Nordic und Plaion), SEGA, Bandai Namco, AMD, Ubisoft oder Microsoft Xbox und insbesondere Neuzugang Tencent (Level Infinite) trotz schwieriger Rahmenbedingungen und implodierender Kosten das Risiko eingegangen sind, nicht wenig Geld in die Hand zu nehmen und den gasumlage-geplagten Verbrauchern eine gute Show zu bieten.

Keine Frage: Wir stehen vor einer Woche der Wahrheit. In den kommenden Tagen wird sich weisen, in welcher Form das Juwel im Kölner Messe-Portfolio eine Zukunft hat. Ob die Gamescom ‚gebraucht‘ wird. Ob sie sich ‚rechnet‘ – für Aussteller, Veranstalter, Besucher. Und vor allem: Ob sie ihrem eigenen Anspruch gerecht wird, der ja via Marken-Relaunch noch mal in ungeahnte Großspurigkeits-Sphären („Wie früher. Nur besser.“) gejazzt wurde.

Ich will nicht unhöflich wirken, aber: Jetzt müssen KoelnMesse und Verband halt auch liefern.

Ein schönes Wochenende – und falls Sie nach Köln reisen: eine prächtige Gamescom – wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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2 Kommentare

  1. Ich gehe eher davon aus, dass man unter den zu erwartenden Zahlen geblieben ist. Es liegt in der Natur des Menschen mit Erfolgen zu prahlen aber Niederlagen totzuschweigen. Angesichts der 50% Rabattaktion und der deutlich gestiegenen Preise verdichten sich die Indizien dahingehend doch signifikant

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