Start Meinung NFT in Games: Unter Vorbehalt (Fröhlich am Freitag)

NFT in Games: Unter Vorbehalt (Fröhlich am Freitag)

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Schon jetzt gibt es Winterolympioniken als sammelbares NFT - die Übergänge zur Mechanik von FIFA Ultimate Team sind fließend (Abbildung: DOSB / Fanzone.io)
Schon jetzt gibt es Winterolympioniken als sammelbares NFT - die Übergänge zur Mechanik von FIFA Ultimate Team sind fließend (Abbildung: DOSB / Fanzone.io)

Verbraucher sind nicht besonders gut darin, sich auf disruptive Marktveränderungen einzulassen. Jüngstes Beispiel: NFT und Blockchain.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

es begab sich im November 2004, dass Half-Life 2 über die Welt hereinbrach. Der Shooter des US-Studios Valve war seinerzeit das meisterwartete Computerspiel des Planeten. Man wird wenige Menschen finden, die im Rückblick nicht sagen würden: zu Recht.

Einfach jeder wollte Half-Life 2 haben und spielen. Mehrfache Verschiebungen und sparsam dosierte PR-Bilder befeuerten die Begehrlichkeit.

Und dann war es plötzlich da. Die Kritiker überschlugen sich. Die Spielezeitschrift, die ich seinerzeit leiten durfte, zückte die höchste Wertung, die wir bis zu diesem Zeitpunkt je vergeben hatten.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Der Haken: Valve – also der Entwickler – koppelte die Inbetriebnahme des Spiels listig mit einer Registrierungs-Pflicht bei der hauseigenen Download-Plattform Steam. Kein Internet, kein Half-Life 2. Schlimmer: Kein Steam, kein Half-Life 2.

Die Verbraucherzentralen sahen sich damals veranlasst, eine Klage anzustrengen – schließlich war ein Internetzugang vor 18 Jahren nicht zwingend flächendeckend voraussetzbar (in manchen Landstrichen der Republik soll sich daran wenig geändert haben). Zumal den Kunden skandalöserweise die Möglichkeit verwehrt wurde, das Spiel weiterzuverkaufen.

In Foren und Leitartikeln war der Teufel los. Noch viele Jahre später arbeitete sich die Kundschaft an dieser software-gewordenen Frechheit, an dieser Nötigung, ach was: an dieser gefühlten Erpressung ab.

Heute ist Steam die mit Abstand bedeutendste und umsatzstärkste PC-Download-Plattform. Online-Stores, Streaming-Dienste und Flatrate-Abos lassen Gebraucht-Spiele, -Serien und -Musik-CDs auf mittlere Sicht zur schrulligen Ebay-Liebhaber-Nische schrumpfen.

Erst verhasst, dann toleriert, schließlich Gold-Standard: Die Games-Industrie kennt eine Vielzahl an Biografien solcher Geschäftsmodelle.

Beispiel Free2Play: Über Jahre hinweg wurde auf Fach-Konferenzen geheimes Druidenwissen vermittelt, wie sich denn ein möglichst hoher Anteil der Gratis-Spieler zu zahlenden Kunden weiterentwickeln ließe – und wie mit den besonders spendierfreudigen ‚Whales‘ (Walen) umzugehen sei, den Pendants zu den Highrollern in feudalen Casino-Hinterzimmern.

DAUs und MAUs, also die täglich und monatlich aktiven Spieler und Nutzer, haben längst den Faktor „Verkaufszahlen“ abgelöst. Kein Geschäftsbericht, der nicht darauf abhebt.

Und auch wenn das Modell ‚Free2Play‘ bei Videospiele-Ultras und -Romantikern immer noch irrsinnig schlecht beleumundet ist: Ganze Generationen sind mit Fortnite, Clash of Clans, Apex Legends, Counter-Strike, Candy Crush Saga, Pokémon Go, League Legends und Call of Duty Warzone sozialisiert worden. Free2Play geht nicht wieder weg. 99 Prozent aller Appstore-Umsätze werden mit vermeintlich ‚kostenlosen‘ Games generiert.

Analoges gilt für Lootboxen: Führende Bundesfamilienministerinnen haben diesen digitalen Wundertüten den Kampf angesagt, weil Lootboxen gerade Kindern und Jugendlichen das Taschengeld nur so aus den Latzhosen leiern. Die Realität des Jahres 2022 sieht allerdings so aus, dass ein FIFA 22 immer noch ohne jede Einschränkung freigegeben ist. Demnächst sollen Packungs-Piktogramme auf derartige Lootboxen hinweisen – das ist dann in etwa so, als würde ein Snickers warnen: „Kann Spuren von Zucker enthalten!.

Kein Spiel hat sich in der abgelaufenen Saison im freien Westen häufiger verkauft als FIFA respektive Madden NFL – wie schon 2020, 2019, 2018 und all die Jahre davor. Fast fünf Milliarden $ wird Electronic Arts in dieser Saison mit Ultimate Team, Apex Legends und anderen ‚Live Services‘ erwirtschaften.

Was uns zum Thema NFT und Blockchain bringt. Folgt man den Verheißungen des oberen Publisher-Managements, dann bewegen wir uns mit Karacho in ein Zeitalter, in dem jedes GTA-Nummernschild, jeder FIFA-Schlappen, jedes Rollenspiel-Pferdegeschirr als digitales Unikat auf Online-Marktplätzen gehandelt wird – abgerechnet in Kryptowährung.

Auf den gewöhnlichen Verbraucher wirkt allein diese Vorstellung wie ein Gulasch aus nichtsnutzigem Spekulantentum, obszönem Energiebedarf und erheblichem Abzock-Potenzial – ein Eindruck, der durch sagenhaft schlimme Unternehmens-Kommunikation noch verstärkt wird.

Denn weder Startups noch honorige Publisher noch Einzelhändler wie GameStop kriegen es derzeit gebacken, den konkreten Nutzen ihrer – sicherlich komplett durchdachten – NFT-Pläne so auf den Punkt zu bringen, dass hauptberuflichen Beobachtern (sagen wir: Journalisten) nicht das Kleinhirn implodiert.

Ja, potzblitz, wie kann das denn sein, dass allein das Stichwort ‚NFT‘ in den sozialen Netzwerken mittlerweile mehr Leute triggert als ‚Lauterbach‘, ‚Drosten‘ und ‚Ricarda Lang‘ zusammen?

Und so kommt es, dass ein ehrwürdiger, börsennotierter Spielehersteller wie Team17 am vergangenen Montag den Einstieg ins NFT-Biz verkündet – und am Mittwoch drauf wieder aussteigt (kein Witz). Offizielle Begründung: Man habe Rücksprache mit Belegschaft, Geschäftspartnern und Kunden gehalten, die die NFT-Idee leider doof fanden (ebenfalls kein Witz).

Und man fragt sich: Warum ist offenkundig niemand auf die Idee gekommen, Belegschaft, Geschäftspartner und Kunden vor einer solchen Entscheidung zu befragen? Man glaubt die Antwort zu kennen.

Nichtsdestotrotz sagt mir mein Bauchgefühl, dass sich Blockchain-Modelle nicht wegshitstormen lassen. Überall dort, wo ganz viele Menschen ganz viel Zeit verbringen (GTA Online, Minecraft, Roblox, FIFA, Online-Rollenspiele, Metaversen aller Art), wird es einen Markt geben für digitale Kostbarkeiten, die mindestens besagten Walen etwas wert sind. Es ist dann nur noch ein vergleichsweise winziger Schritt von von Madden NFL zu Madden NFT – also von Ultimate Team-Lootboxen zu einem Krypto-Transfermarkt. Wie das in der Praxis aussehen könnte, ist bei Anbietern von NFT-Sammelkarten ja schon zu besichtigen.

Was stattdessen (immer noch) passiert: Eine ganze Branche ist derart ins Buzzword NFT verknallt, dass Konzepte, Plattformen und Spiele um ein Geschäftsmodell ‚herumgebaut‘ werden. Motto: Wir haben eine Lösung, aber die passt nicht zum Problem.

Sobald es jemand umgekehrt versucht (gutes Spiel > gute Monetarisierung), könnte sich die Stimmung auch beim Publikum drehen – wie weiland bei Free2Play. Kurzum: Es bedarf wie so oft einer Killer-Application. Mal sehen, ob und wem es gelingt, das Half-Life 2 unter den Blockchain-Spielen zu produzieren. 

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. Ich glaube gemeint ist Ricarda Lang, ohne „e“? 🙂 Und soll man anno 2022 noch „Killer“-Application sagen? Eine solche Software erschafft ja auch was. Das was stirbt ist dann die Folge aber ja nicht der Zweck. Zudem: „Killer“-Spiele sagt man ja auch nicht mehr.

  2. Ja die Welt ist echt total am durchdrehen.Ich weiss noch damals als Halflife 2 rauskam.
    Dachte ich mir, das wird sich nie durchsetzen, schon wegen dem Shitstorm damals.
    Was ist Heute? Sagt man was negatives über Steam,bekommt man selbst verbal aus’s
    Maul.

    Oder was musste ich damals lachen als Bethedsa mit Pferdeklamotten ECHTES Geld von einem wollte.Jetzt lachen die Hersteller über mich weil Sie sich dumm & dämlich verdienen mit virtuellem Kram.Und der Kunde scheint das alles zu schlucken.

    Ich glaub ich werde zu alt für den Kram

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