Start Meinung Fröhlich am Freitag 16/2019: Lust am Untergang

Fröhlich am Freitag 16/2019: Lust am Untergang

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Für das 2014 erschienene Action-Abenteuer
Für das 2014 erschienene Action-Abenteuer "Assassin's Creed Unity" wurde Notre-Dame detailliert nachgebaut - bis 25. April ist das PC-Spiel gratis (Abbildung: Ubisoft)

Mit den Fotos und Videos der brennenden Kathedrale Notre-Dame de Paris bedienen Medien das legitime Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit – aber eben auch deren Sensationsgier.

Fröhlich am Freitag 16/2019: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

Armin Laschet war sauer. Der NRW-Ministerpräsident hatte am vergangenen Montagabend das TV-Programm seiner Wahl eingeschaltet, das Erste Deutsche Fernsehen – in der Erwartung, mehr zu erfahren (und zu sehen) von der in Flammen stehenden Kathedrale Notre-Dame de Paris.

UNESCO-Weltkulturerbe. Der Stolz Frankreichs. Eines der berühmtesten und meistbesuchten Bauwerke der Welt.

Was Laschet stattdessen sah: eine Doku über ein indisches Tiger-Reservat.

Via Twitter grollte der CDU-Politiker: „Warum muss man CNN einschalten, während die ARD Tierfilme zeigt?“ Mehr als zweieinhalbtausend Follower stimmten ihm per Like zu.

Nun kann man fragen: Über was genau hätte der ARD-Korrespondent berichten sollen, wenn zu diesem Zeitpunkt nur wenig mehr feststand als „Es brennt. Lichterloh. Wie’s ausgeht, weiß: niemand.“?

Doch natürlich interessiert das Publikum in solchen Fällen nicht nur das nackte Ergebnis, sondern auch die laufende Entwicklung – unabhängig davon, was gerade untergeht: ein Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer, Hamburg im G20-Gipfel-Chaos, das Voralpenland im Schnee oder der Rekordmeister gegen Liverpool.

ARD-Chefredakteur Rainald Becker empfahl Laschet – ebenfalls via Tweet – „etwas mehr Sachlichkeit“. Das Erste sei schließlich kein 24-Stunden-Nachrichtenkanal – „und Gaffer-TV machen wir auch nicht.“

Medienprofi Becker wird wissen, dass das Gegenteil richtig ist: Ohne Gaffer-TV lässt sich keine einzige Tagesschau-Episode füllen. Bereits die Reihenfolge der Meldungen ergibt sich daraus, wie ’schlimm‘ das jeweilige Ereignis ist. Zumindest in diesem Punkt unterscheidet sich die Tagesschau nicht von der Rot- und Blaulicht-Agenda der Bild-Zeitung. Wenn Sie zu einem beliebigen Zeitpunkt tagesschau.de oder spiegel.de ansurfen, werden Sie feststellen, dass die zur Stunde furchtbarste Meldung nahezu immer ganz oben steht.

Aus Gründen.

Von dieser Gesetzmäßigkeit kann man sich als Journalist schwerlich freimachen. Ich hatte an dieser Stelle ja vor einigen Monaten schon mal ausgeführt, warum auch auf GamesWirtschaft.de schlechte Nachrichten messbar mehr Menschen anziehen als gute News. 10 Entlassungen führen zu deutlich mehr Abrufen als 100 Neueinstellungen. Selbst die miserable Moderation des Deutschen Computerspielpreises 2019 hat erheblich (!) mehr Leser beschäftigt als die weitgehend geräuschlose Veranstaltung des Jahres 2018. Mehr noch: In den sozialen Medien gab es genügend Stimmen, die den DCP am liebsten hätten brennen sehen.

Man kann der Menschheit also durchaus eine Lust am Untergang attestieren – an diesem Wesenszug dürfte sich im Lauf der Jahrtausende wenig geändert haben.

Noch mehr als den Untergang liebt das Publikum aber offenbar Geschichten von glorreichen Comebacks – siehe Tiger Woods. Dass diese Kolumne ausnahmsweise bereits am Donnerstag statt am Freitag erscheint, hat auch mit einem solchen ‚Comeback‘ zu tun, das sich der Überlieferung nach vor fast 2000 Jahren zugetragen haben soll.

Unabhängig davon, ob Sie religiös sind oder nicht: Möglicherweise sind die Osterfeiertage ein schöner Anlass, um mal wieder die Kirche Ihres Vertrauens zu besuchen – solange sie noch steht.

Ein schönes XXL-Osterwochenende wünscht Ihnen und Ihrer Familie

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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