Trotz schriftlicher Notizen – dem Koalitionsvertrag – vergisst die Politik oft schon nach wenigen Monaten, was sie eigentlich vor hatte. Beweisstück 1: der eSport.

Fröhlich am Freitag 37/2018: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

mehr Wohnungen, mehr Lehrer, mehr Pflegekräfte, mehr Polizisten und vor allem „schnelles Internet für alle“ – all das versprechen die CSU-Wahlplakate, an denen ich täglich vorbeiradle. Ich musste mich extra nochmal bei Wikipedia rückversichern, welche Partei seit 1946 mit fast durchgängig absoluter Mehrheit in Bayern regiert.

In diesem Punkt unterscheiden sich die politischen Kräfte quer durchs Land nur unwesentlich. Immer kurz vor den Wahlen – im Freistaat ist es in fünf Wochen soweit, in Hessen zwei Wochen darauf – entdecken Parteien und Kandidaten plötzlich dringend abzustellende Missstände im Land, die in den vier Jahren zuvor offenkundig niemandem aufgefallen sind. Denn hätte die bayerische Regierung auch nur geahnt, dass es zum Beispiel an bezahlbarem Wohnraum oder sauberer Luft in Innenstädten mangelt, hätte sie selbstverständlich längst was dagegen unternommen. Längst!

Tatsächlich handelt es sich durchweg um Nicht-Gewinner-Themen, die mit lästigen Investitionen und noch lästigeren Diskussionen plus viel Kärrnerarbeit – also kleinteiliger, langwieriger Fürsorge – verbunden sind. Dann doch lieber Termine wahrnehmen, die schöne Bilder liefern und verlässlich mit Applaus enden. Low hanging fruits, sagt der Angelsachse. Niederlassungen und Konferenzen eröffnen, Empfänge ausrichten, Auszeichnungen und Förderbescheide überreichen, Spatenstiche mit Bauhelm, all sowas.

Und dann gibt es da noch Themen, die schon kurz nach Vereidigung aufs politische Nebengleis geschoben werden – Motto: War da was? Mediziner würden wohl von einer Amnesie sprechen. Und das, obwohl sich die politisch Verantwortlichen extra eine Art Einkaufszettel aufschreiben, was sie konkret vorhaben – in Form des Koalitionsvertrags.

Genau das ist in dieser Woche passiert. Auf eine Anfrage der FDP hin hat die Bundesregierung auf zwölf A4-Seiten dargelegt, dass die Nummer mit der geplanten Anerkennung von eSport als Sport entweder gar nicht in ihre Zuständigkeit fällt (Stichwort Sportautonomie) oder derzeit aus anderen Gründen kein Handlungsbedarf gesehen wird. Die Lobby-Verbände nahmen die begleitende Wohlfühl-Poesie zur Kenntnis, reagierten ansonsten auf das Dokument aber so, wie man in so einem Fall eben reagiert: enttäuscht.

Die Auskunft lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder nimmt man in Berlin das Thema nicht ernst – oder die Branche. Vermutung: beides.

Umso erfreulicher, wenn sich eine Regierung auch nach Monaten noch daran erinnern kann, was man den Wählern so alles versprochen hat. Denn auch das ist in dieser Woche passiert: In Schleswig-Holstein treiben die vier Landtagsfraktionen samt regierender Jamaika-Koalition das Thema eSport gemeinsam voran.

Ob das genügt, um das Land im Norden wie geplant zum – O-Ton – „Gamer-Land“ zu machen, wird man sehen. Aber zumindest für einen bundesdeutschen (eSport-)Leuchtturm könnte es reichen – und damit kennt man sich zwischen Nord- und Ostsee ja aus.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

Alle bisherigen Folgen von „Fröhlich am Freitag“ finden Sie in unserer Rubrik „Meinung“.


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