Nazi-Symbole in Computerspielen? Daran wird man sich in Deutschland gewöhnen. Doch die Frage ist: Darf und will man sich überhaupt daran gewöhnen?
Fröhlich am Freitag 33/2018: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
1.200 Euro, zuzüglich Mehrwertsteuer. Wenn’s schnell gehen muss: 3.000 Euro.
Dieses Preisschild hängt künftig an einer rechtssicheren Beurteilung, ob ein Computerspiel „sozialadäquat“ ist. Sprich: Ob ein Videospiel, das im Zweiten Weltkrieg spielt oder darauf Bezug nimmt, im Originalzustand dem Publikum zugemutet werden kann. Denn ab sofort ist es möglich, verfassungsfeindliche Symbole (Hakenkreuze, SS-Runen, Hitler-Figuren, Gesten) in Spielen unterzubringen und diese Produkte in Deutschland anzubieten – ohne Kopf, Kragen, Umsatz, Ruf, Geld- und Haftstrafen zu riskieren.
Das war zwar gefühlt schon immer so, aber für eine juristische Klärung samt jahrelangem Prozess fand sich partout kein Geschäftsführer, der das heldenhaft verantworten wollte. Ich kenne keinen Anwalt, der zugeraten hätte, dieses Risiko einfach mal einzugehen – nach dem Motto: „Mach’s! Passiert schon nix! Kannst Weihnachten definitiv zu Hause verbringen!“. Abgesehen davon, dass relevante Versender, Händler und Online-Portale wie Steam ohnehin die Listung verweigerten.
Die vierstellige Rechnung für das amtliche Okay kommt nun also aus der Torstraße in Berlin, unweit des Alexanderplatzes. Dort hat die USK ihren Sitz.
Die USK ist eine Einrichtung der Selbstkontrolle – analog zur Filmbranche stellt sich auch die Videospiel-Industrie selbst Bescheinigungen aus, dass die von ihr produzierten Produkte unbedenklich sind. Den amtlichen Segen bekommt das Prozedere durch die Obersten Landesjugendbehörden, die jeden Vorgang abstempeln. Und just diese obersten Jugendschützer haben nun ihre langjährige Gegenwehr aufgegeben.
Manche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen benötigen eben vor allem eines: Geduld. Und Beharrlichkeit. Manchmal auch Argumente. Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, heißt es. Dann sind plötzlich in Nullkommanix Dinge möglich, die wenige für möglich gehalten hätten – siehe „Ehe für alle“. Oder die Abschaltung deutscher Atom-Meiler, die zwei Stunden vor Fukushima noch als absolut alternativlos galten.
Die gestern bekannt gewordene Entscheidung ist – das muss man so sagen – eine mittlere Sensation. Wenngleich das Thema die Branche seit Jahrzehnten umtreibt, so dauerte es doch ganz schön lange, um zumindest in diesem Fall eine gewisse Augenhöhe mit Film und Fernsehen herzustellen. Auf anderen Feldern – etwa bei der Kulturförderung oder bei Preisgeldern für halbstaatliche Auszeichnungen – ist man davon noch meilenweit entfernt.
Und was bedeutet das nun konkret? Erst die USK-Spruchpraxis wird zeigen, was geht – und was nicht. Dürfen beispielsweise historische Strategiespiele mit Hakenkreuz-Symbolen arbeiten? Und wenn ja, gilt das auch dann noch, wenn sich – zumindest theoretisch – Anrainerstaaten per Mausklick annektieren lassen?
Was ist mit Multiplayer-Shootern? Darf man „die Bösen“ spielen? Demnächst erscheint ein VR-Spiel auf Basis einer neuen TV-Serie zum Kultfilm „Das Boot“, gefördert vom FilmFernsehFonds Bayern. Wäre es okay, darin in die virtuelle Nazi-Uniform des U-Boot-Kommandanten zu schlüpfen wie einst Jürgen Prochnow in seiner Paraderolle als „Der Alte“?
In Abwandlung eines berühmten Zitats aus diesem Film könnte die Antwort lauten: „Das muss die Zivilgesellschaft abkönn‘.“ Aber ob sie das auch will?
Und was ist eigentlich mit all den Spielen, die gar nicht erst bei der USK landen? All die Apps, Browsergames, Online-Spiele, Indie-Projekte?
Der Industrieverbands-Geschäftsführer ist höchst zuversichtlich, dass es „keine Flut von Hakenkreuzen in Spielen“ geben wird. Umgekehrt ist aber zumindest nicht auszuschließen, dass sich insbesondere junge Menschen an die NS-Symbolik „gewöhnen“, weil sie gleichsam zur Normalität wird. Ich habe beim Durchspielen der entschärften „Wolfenstein 2“-Version nicht mitgezählt, aber ich würde tippen, dass die Zahl der potenziell dargebotenen Hakenkreuze in die Abertausende gehen würde. Und wir reden hier nur von einem 20-Stunden-Solo-Titel – nicht von einem Online-Spiel, das eisenhartes, tägliches Gamepad-Training erfordert.
Ein solcher Effekt wäre das exakte Gegenteil dessen, was der Gesetzgeber eigentlich im Sinn hatte – nämlich eine Ächtung und Tabuisierung von Hakenkreuzen. Die jetzige Entscheidung ist indes eine Legitimation, im Namen der Kunstfreiheit.
Womöglich sind all diese Risiken und Nebenwirkungen aber auch völlig hanebüchen und unbegründet und man wird sich rückblickend verwundert die Augen reiben, wie es jemals anders gehandhabt werden konnte.
Für die deutsche Games-Industrie markiert der 9.8.2018 jedenfalls eine Zeitenwende. Bloß gut, dass man vorher sicherheitshalber noch einmal auf den Kalender geguckt und vermieden hat, dass die Neuregelung am 8.8. in Kraft tritt.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
Alle bisherigen Folgen von „Fröhlich am Freitag“ finden Sie in unserer Rubrik „Meinung“.
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