Der Europa-Chef von Electronic Arts im Interview: Martin Sibille über Virtual Reality, Nintendo Switch und die Eigenheiten des deutschen Spiele-Marktes.
Wer nach seinem Namen googelt, bekommt nicht allzu viele Einträge angezeigt – dabei ist er inzwischen einer der ranghöchsten Electronic-Arts-Manager: Martin Sibille ist als Vice President Europe and Latin America Publishing in der Zentrale im schweizerischen Genf für das komplette Europa-Geschäft verantwortlich. Zuvor war der Franzose an verschiedenen EA-Standorten tätig, unter anderem in Spanien und Mexiko.
Bei einer der seltenen Interview-Gelegenheiten hat Martin Sibille im Rahmen der Gamescom 2018 einen Einblick in die künftige Strategie des Publishers gegeben.
EA-Manager Martin Sibille: „Immer mehr Spieler, immer mehr Spiele, immer mehr Plattformen“
GamesWirtschaft: Mr Sibille, hatten Sie schon die Gelegenheit, sich auf der Gamescom umzusehen?
Martin Sibille: Teilweise, ja, aber nicht vollständig – die Messe ist so groß und es gibt so viel zu sehen. Es ist meine erste Gamescom in meinen elf Jahren bei EA – ich freue mich sehr, hier zu sein. Im Juni habe ich bereits unsere Deutschland-Niederlassung in Köln besucht.
Was ist denn Ihr wichtigstes Projekt, um das Sie sich derzeit kümmern?
Sie meinen – abseits des Tagesgeschäfts (lacht)? Wir konzentrieren uns sehr darauf, dieses Jahr gut hinzubekommen. Wir haben ein großartiges Portfolio – wir starten mit „FIFA“, dann kommt „Battlefield 5“, wir haben „Anthem“ als neue Marke.
Wir haben also eine Menge zu tun, um sicherzustellen, dass so viele Spieler wie möglich unsere Spiele in die Hände bekommen. In der Zwischenzeit versuche ich, genügend Zeit zu finden, um darüber nachzudenken, wie wir unser Unternehmen in die Zukunft führen.
Wie sieht diese Zukunft konkret aus?
Wenn Sie sich den Markt ansehen, stellen Sie fest, dass immer mehr Menschen immer mehr Spiele auf immer mehr Plattformen spielen.
Für uns ist das eine Möglichkeit, um Spieler mit unseren Spielen anzusprechen. In den letzten elf Jahren wurden neue Technologien nur sehr langsam eingeführt. Das Tempo wird zulegen, weil sich die neuen Technologien erheblich schneller entwickeln und etablieren als in der Vergangenheit – siehe Streaming, Abo-Modelle und Cloud-based gaming. Vor einigen Jahren haben wir Services wie EA Origin Access gestartet. Auch EA Access Premier ist ein Beispiel, wie wir uns weiterentwickeln.
Stand heute kommen allerdings immer noch zwei Drittel des EA-Umsatzes von einer einzigen Plattform – der PlayStation 4. Wird sich das künftig auf mehr Plattformen verteilen?
Ja, derzeit ist die PlayStation 4 die führende Plattform in den meisten Ländern. Allerdings bieten wir unsere Spiele auch für Xbox One, PC, Smartphones und die Switch an. Wir überlassen dem Spieler die Wahl, auf welche Weise er auf unsere Spiele zugreifen will.
Stichwort Switch: Vor einem Jahr hat EA bekannt gegeben, dass „FIFA“ vorerst das einzige Spiel für die erfolgreiche Nintendo-Konsole bleiben wird. Hat sich an dieser Politik etwas geändert?
Wir entwickeln uns weiter, ebenso wie die Märkte. „FIFA“ für die Switch bringt einige sehr gute Verbesserungen mit sich. Wir müssen sicherstellen, dass die Spiel-Erfahrung auf die jeweilige Plattform zugeschnitten ist. Es ist nicht so einfach, ein Spiel von Plattform A auf Plattform B zu übertragen, weil sich die Switch-Architektur sehr deutlich von anderen Systemen unterscheidet.
Martin Sibille: „Der VR-Markt ist nicht jener Massenmarkt, für den er anfangs gehalten wurde.“
Vor einem Jahr sprachen wir an gleicher Stelle mit Patrick Söderlund, der sich bemerkenswert pessimistisch über Virtual Reality geäußert hat. Wie sehen Sie das?
Aus technologischer Sicht sind wir noch inmitten der Findungsphase. Ja, es ist ein Markt – keine Nische mehr, aber ein sehr kleiner Markt.
Derzeit gibt es einige limitierende Faktoren. Einer besteht darin, dass sich die meisten Spieler nicht sehr lange der VR-Erfahrung aussetzen, vielleicht zehn bis 15 Minuten. In diesem Zeitraum hat man eine sehr intensive Erfahrung. Es ist anspruchsvoll, die Spieler länger bei der Stange zu halten.
Der Markt ist nicht jener Massenmarkt, für den er anfangs gehalten wurde. Grundsätzlich prüfen wir, ob wir VR-Erweiterungen für bestehende Spiele anbieten können.
Traditionell dreht sich bei Electronic Arts alles um große Marken im Bereich Sport, Rennspiel oder Multiplayer-Action wie im Falle von Battlefield. Gibt es hier überhaupt Platz für kleinere Titel von kleineren Studios?
Unser Plan ist, dass wir so viele Inhalte wie möglich anbieten – seien es bestehende Serien oder neue Marken wie jetzt „Anthem“. Dieses Gleichgewicht ist für uns wichtig. Darüber hinaus haben wir auch Programme wie EA Originals, wo wir mit Indie-Studios zusammenarbeiten. Wir versuchen, die richtigen Spiele zu entdecken, um damit dann ein Publikum zu erreichen, das deutlich größer ist als jenes, das die Studios ohne unsere Unterstützung hätten.
Ein gutes Beispiel ist „Sea of Solitude“ (entwickelt vom Berliner Studio Jo-Mei Games, Anm. d. Red.), das bald erscheint – ein sehr emotionales Spiel und sehr anders als die Dinge, an denen wir normalerweise arbeiten.
Martin Sibille: „Die Leidenschaft der deutschen Gamer ist faszinierend.“
Sie haben in mehreren Ländern gelebt und kennen viele Games-Märkte. Was ist aus Ihrer Sicht „typisch“ für den deutschen Spiele-Markt?
Zwei Dinge faszinieren mich an Deutschland: Das eine ist die Leidenschaft für Games und die enge Bindung, die deutsche Spieler an den Tag legen – und die Gamescom ist dafür ein gutes Beispiel. Die Tickets waren sehr schnell ausverkauft, unglaublich viele Besucher kommen hier her, sie nehmen die Reise auf sich, sie stellen sich stundenlang an, um die Spiele auszuprobieren. Sie sind ausgesprochen engagiert.
Der zweite Punkt ist die Art und Weise, wie deutsche Verbraucher die digitale Transformation annehmen. Das Mobilegames-Business in Deutschland wächst wie verrückt und hat sich zu einem der größten Märkte für diese Art Content entwickelt. Die Spieler sind sehr aufgeschlossen gegenüber Neuem.
Was ist denn aus Ihrer Sicht der größte Trend, der die Spiele-Industrie verändern wird?
Technologie verändert sich so schnell – in deutlich größerem Umfang und viel schneller, als wir uns das heute vorstellen können. Wir werden viel mehr Plattformen sehen, auf denen man spielen kann – plus die kombinierten Effekte aus Cloud-Gaming, Abo und Streaming.
Was haben Sie sich persönlich in Ihrer neuen Position vorgenommen? Worauf werden Sie sich konzentrieren?
Die Teams im europäischen und im lateinamerikanischen Markt sind sehr gut darin, auf die lokalen Eigenheiten zu reagieren. Dadurch können wir dafür sorgen, dass wir beim Spieldesign die vielen Nuancen zwischen dem deutschen Markt, dem spanischen Markt oder dem französischen Markt berücksichtigen. Das ist sehr wichtig für uns und wir müssen aufpassen, dass wir das richtig hinbekommen.
Gibt es denn auch Risiken und Nebenwirkungen am Horizont?
Es gibt eine Menge Ungewissheit: Wie sieht die neue Technologie genau aus, welche disruptiven Veränderungen sind damit verbunden und sind wir in der Lage, diese Trends rechtzeitig aufzugreifen? Im Grunde ist das eine gute Sache, denn es zwingt uns dazu, wachsam zu bleiben.
Immer mehr Plattformen erhöhen zunächst die Komplexität, aber für uns ist das eine Chance, wenn wir es schaffen, die unterschiedlichen Besonderheiten in unseren Spielen zu integrieren. All das hält uns auf Trab – und im Geschäft.