Führt Epic Games die überwiegend minderjährige Fortnite-Kundschaft gezielt in die Spielsucht? Wissenschaftler sehen dafür Anhaltspunkte.
Auch 2022 gehörte Fortnite neben Minecraft und FIFA zu den drei beliebtesten Games der 12- bis 19 Jährigen in Deutschland, wie die renommierte JIM-Studie 2022 belegt. Das Online-Action-Spiel des US-Studios Epic Games ist seit Veröffentlichung im Jahr 2017 nicht mehr aus dem Spielekosmos wegzudenken. Durch laufende Updates, Events und Kooperationen mit Künstlern, Musikern, Sportlern, Schauspielern und Games-Marken (derzeit The Witcher) wirkt der Battle-Royale-Dauerbrenner immer frisch und neu.
Gab es zunächst Debatten um die angemessene Alterseinstufung von Fortnite (das Spiel ist offiziell ab 12 Jahren freigegeben), rückte zuletzt das Geschäftsmodell stärker in den Fokus.
Die Kritik dreht sich um die Spielwährung V-Bucks, die sich sowohl innerhalb des Spiels als auch durch physische Guthabenkarten hinzufügen lässt. Mit diesen V-Bucks erwerben die Spieler zum Beispiel außergewöhnliche Kostüme, Fallschirme und Waffen. Experten sehen das Risiko, dass gerade minderjährige Spieler den Bezug zum Echtgeld verlieren, indem sie in V-Bucks ‚denken‘.
Solche In-Game-Käufe haben mittlerweile die größte kommerzielle Bedeutung im Games-Segment: Allein die Deutschen haben mehr als 4,2 Milliarden Euro für digitale Zusatz-Inhalte ausgegeben.
Eine 2020 veröffentlichte Studie (PDF) der Ökonomen Georg Stadtmann und Timo Schöber hat in den USA bereits zu einer Klage einer Verbraucherschutzorganisation geführt. Im Dezember 2022 ist nun eine weitere Klage eingereicht worden – und zwar vor einem Gericht im kanadischen Québec. Der Vorwurf: Hersteller Epic Games würde die Nutzer absichtlich süchtig machen – und (zu) wenig dazu beitragen, dieser Entwicklung entgegen zu wirken. So müssen die Nutzer enorm viel Zeit in Fortnite verbringen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können.
Die WHO hat mit Blick auf krankhafte Computerspielsucht eine Reihe von Indizien ausgemacht, etwa den Kontrollverlust (Häufigkeit, Dauer) oder ein Weiterspielen selbst bei negativen Konsequenzen auf Freunde, Hobbys, Schule, Ausbildung oder Job. Diese Einordnung der ‚Gaming Disorder‘ ist allerdings umstritten: Wissenschaftler und Lobby-Verbände kritisieren, dass eine Pathologisierung und damit Stigmatisierung von ‚eigentlich gesunden Menschen‘ stattfände – zumal sich die genannten Phänomene auch auf Social-Media-Nutzung übertragen ließen.
Prof. Dr. Georg Stadtmann, Professor Europa-Universität Viadrina, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Lehrbeauftragter University of Southern Denmark: „Wir konnten in unserer Untersuchung aufzeigen, dass Epic Games in Fortnite mit einer Vielzahl von Geschäftsmodellmustern arbeitet. Ein Instrument ist die Geldillusion, die aus der virtuellen Währung V-Bucks resultiert. Dafür sind vor allem Kinder und Jugendliche anfällig. Aber auch Erwachsene sind hiervor nicht gefeit. Insofern sind die Klagen gegen Epic Games in unseren Augen gerechtfertigt.“
Dr. Timo Schöber, Leiter HR & Gameful Design am Institut für Ludologie, Leiter Esportionary und Postdoc Europa-Universität Viadrina: „Der Erfolg von Fortnite ist nicht grundlos vorhanden. Epic Games weiß ganz genau, welche Mechanismen bei Spielern wirken und wie hieraus Umsätze generiert werden können. Insbesondere die Differenzierung von Produkten als auch der Effekt, mit anderen mithalten zu wollen, kommen im Spiel sehr bewusst zum Einsatz. Das erzeugt Druck bei jungen Menschen, die durch die im Spiel implementierte Geldillusion den Bezug zu den eigentlichen Kosten verlieren.“
Prof. Dr. Jens Junge, Direktor des Instituts für Ludologie und Professor an der SRH Berlin University of Applied Sciences: „Suchtproblematiken in Computerspielen werden häufig überzeichnet dargestellt. Während also Klagen gegen Epic Games auf Basis ökonomischer Betrachtungen sinnvoll sein mögen, ist dies bei Gaming Disorder weit weniger klar. Dass, was in der Gesellschaft häufig als Online-Spielesucht gesehen wird, ist keine Sucht, sondern ein neuartiges Nutzungsverhalten ohne Kontrollverlust. Die Grenzen und Übergangsbereiche zwischen exzessivem Spiel und den Verhaltenssüchten sind bis heute nicht ausreichend erforscht und eindeutig definiert. Hier besteht Handlungsbedarf, der durch die aktuelle Klage gegen Fortnite ersichtlich wird.“