Wie man Milliarden-Umsätze mit Games erzielt – ohne ein einziges Spiel zu entwickeln: So funktioniert das Geschäft der Schaufelverkäufer.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
zweieinhalb Blocks entfernt vom Moscone Center in San Francisco – dort, wo alljährlich die Game Developers Conference (GDC) stattfindet – verläuft die Brannan Street. Sie ist benannt nach einem US-amerikanischen Geschäftsmann, der während des Goldrauschs Mitte des 19. Jahrhunderts zu den reichsten Menschen in Kalifornien zählte und als erster Millionär des Bundesstaats in die Geschichte einging.
Zu seinem Wohlstand gelangte Samuel Brannan allerdings nicht, indem er selbst mühselig im Trüben nach Nuggets schürfte. Sondern indem er die in Scharen einfallenden Glücksritter mit den dafür notwendigen Werkzeugen und Waren des täglichen Bedarfs versorgte – Pfannen, Hacken, Schaufeln, Klamotten, Proviant. Der Legende nach soll er alle Schippen im weiten Umkreis erworben haben, um sie im Anschluss zu Mondpreisen an die Goldsucher in den Minen zu verhökern.
Seitdem hört man von Börsianern gelegentlich den schönen Rat, man solle nicht in Goldgräber investieren, sondern in Schaufeln. Also in Aktien jener Unternehmen, die mittelbar und unmittelbar von einem Boom profitieren – ohne, dass sie selbst inhaltlich ins Risiko gehen müssten. So wie Lieferando: Der Vermittler verdient fürstlich an jeder ausgelieferten Pizza, muss dazu aber weder Pomodoro-Sauce auf Teigfladen verteilen noch den Steinofen anwerfen.
Im Digitalbereich hat spätestens die Erfindung des Smartphones dazu geführt, dass einige wenige Gatekeeper das Schaufel-Geschäft ganzer Branchen dominieren: Check24, Trivago und Booking bei Hotel-Buchungen, Apple und Google bei den Appstores, die Suchmaschinen und Social-Media-Netzwerke ohnehin. Einzelhändler wie Amazon, Otto, MediaMarkt oder Kaufland haben ihre virtuellen Regale längst für Drittanbieter geöffnet, die dort ihre Waren feilbieten.
Die wichtigsten Schaufelverkäufer der Games-Branche sind – natürlich – die großen Plattformen: Sony (PlayStation), Microsoft (Xbox), Nintendo (eShop) und Valve (Steam). Bis zu 30 Prozent der Umsätze, die im PlayStation Store, bei Steam oder bei In-Game-Käufen in einer App erfolgen, verbleiben als Provision beim Zwischenhändler – ein lukratives Geschäftsmodell, weil es unabhängig von saisonalen Peaks funktioniert. Schon 2021 stellte das Wall Street Journal fest: „Apple doesn’t make Videogames. But it’s the hottest Player in Gaming“.
Wenn man um diese Zusammenhänge weiß, relativiert sich natürlich auch der 5,8-Milliarden-€-Spiele-Umsatz in Deutschland: Denn von den 3 Milliarden €, die im Jahr 2023 hierzulande mit Smartphone- und Tablet-Games erwirtschaftet wurden, entfällt rechnerisch fast 1 Milliarde € auf Apple und Google – Einnahmen, die in der Regel direkt an Sehnsuchtsorten wie Luxemburg oder Irland verbucht werden. Weitgehend unbehelligt von Lindners Finanzministerium.
Das Modell von Nintendo, Sony und Microsoft reicht sogar noch weiter, weil sie sowohl an eigenen Produkten und Services als auch an Provisionen der Spielehersteller verdienen – also Verkaufsgebühren, die große Publisher wie Electronic Arts, Ubisoft & Co. ebenso entrichten wie kleine Studios.
Beispiel: Im Weihnachtsgeschäft 2023 hat Sony Interactive knapp 90 Millionen Vollpreis-Spiele abgesetzt – davon aber ’nur‘ 16 Millionen konzerneigene Blockbuster wie Marvel’s Spider-Man 2. Den mit großem Abstand größten Umsatz-Brocken steuerten Andere bei – in Form von Games, Spielwährungen, Erweiterungen und In-Game-Items.
Dieser Umstand mag auch eine Erklärung für jenen Strategiewechsel liefern, den Microsoft und Sony vorgenommen haben. Beide hadern mit der schleppenden Nachfrage nach ihren Spielkonsolen, deren unverbindliche Preisempfehlung weiterhin bei stabilen 550 € liegt – dreieinhalb Jahre nach Markteinführung. Eine echte Notwendigkeit für substanzielle Preissenkungen scheint es nicht zu geben, zumal die Geräte ohnehin hochsubventioniert angeboten werden. Microsoft nimmt sogar billigend in Kauf, dass die Hardware-Absatzzahlen auch in den kommenden Monaten weiter einbrechen, wie aus dem jüngsten Quartalsbericht hervorgeht.
Also muss es die Software richten – für den 9. Juni ist ein neuer ‚Showcase‘ geplant. Eine wesentliche Rolle dürfte die Shooter-Marke Call of Duty spielen. Im Zuge der Activision-Blizzard-Übernahmeschlacht hat sich der US-Konzern augenscheinlich nach zähem Ringen dazu breitschlagen lassen, dass die Erfolgs-Serie in den kommenden zehn Jahren auch bei den Erzrivalen von Sony Interactive und Nintendo stattfindet. Zuvor gab es seitens der Wettbewerbshüter die Sorge, Microsoft könne Call of Duty abschotten. In Wirklichkeit wird es nicht allzu komplexer Excel-Tabellen bedurft haben, um das Delta zwischen einer solchen Exklusivität und potenziellen Vollpreis- und In-Game-Umsätzen zu berechnen.
Überhaupt gerät Exklusivität zunehmend aus der Mode. So warf Xbox-Boss Phil Spencer vor kurzem die rhetorische Frage auf, wem denn bitteschön geholfen sei, wenn der PS5-Hit Helldivers 2 nicht auf der Xbox verfügbar ist. Dabei dürfte der Microsoft-Manager nicht ausschließlich die Freizeitgestaltung der eigenen Kundschaft im Blick haben, sondern eben auch die nackten Zahlen in Form entgangener Provisionen, die bei einem Verkaufspreis von rund 35 € anfallen würden.
Umgekehrt lässt Microsoft einen Xbox-Exklusiv-Titel wie Sea of Thieves neuerdings auch in Sony-Gewässern vom Stapel. Mit der Folge, dass Anfang April 7 (!) der 25 umsatzstärksten Games im PlayStation Store von Microsoft stammten, wie CEO Satya Nadella den Analysten süffisant in den Block diktierte.
Was zeigt: Es liegt im zunehmenden Interesse aller Parteien, dass Spiele und Marken auf möglichst vielen Plattformen verfügbar sind. Leichter und risiko-ärmer lassen sich kaum Provisions-Einnahmen erzielen. Motto: Warum selbst aufwändig nach Nuggets buddeln, wenn man auch mit Schaufeln scheffeln kann?
Analog zum kalifornischen Goldrausch ist freilich auch im Games-Business nicht alles Gold, was glänzt: In der Branche regt sich Unmut über die aus Sicht vieler Marktteilnehmer ungerechtfertigt hohen Gebühren der Quasi-Monopolisten. Epic Games führt seit Jahren einen erbitterten juristischen Kampf gegen Apple und Google – mit dem Ziel, den 30-Prozent-Wegezoll zu umgehen oder zumindest zu lindern.
Auf der GDC 2024 – unweit der eingangs erwähnten Brannan Street – hat Epic Games nun vor kurzem die Pläne für einen eigenen App-Store vorgestellt. Dort soll nur noch eine Provision von 12 Prozent anfallen – 88 Prozent würden beim Entwickler verbleiben, analog zum Epic Games Store. Und auch Apple bewegt sich, wenngleich unter sanftem Druck des Digital Markets Act (DMA), mit dem die EU-Kommission die Marktmacht der Digital-Riesen einhegen will.
Bislang hat Brüssel neben Appstores vor allem Betriebssysteme, Social Networks, Messenger und Dienste wie YouTube im Blick. Doch mindestens beim Blick auf die Marktanteile von Steam könnte früher oder später die Frage auftauchen , warum ein Schaufelverkäufer wie Valve weiterhin unbehelligt bei Gold-schürfenden Indie-Studios abkassieren darf.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Weil Valve nicht nur Infrastruktur und Server bereitstellt sondern auch die Kosten für Zahlungsdienstleister in den Verkauf miteingerechnet ist. Ob ich jetzt mit PayPal, Kreditkarte oder Steam-Guthaben zahle, der Preis ist immer gleich. Ob 30% jetzt angemessen sind oder nicht kann ich nicht beurteilen, jedoch finde ich das mimimi überhaupt Gebühren zahlen zu müssen alles andere als gerechtfertigt!
Steam ist kein Gatekeeper, es gibt Epic, GOG, den Humble Store und Amazon. Verkauft wo ihr wollt, es hindert euch niemanden daran – aber hört gefälligst auf rumzuheulen!!
Sie führen auch die Umsatzsteuer ab, um die darf man sich bei manchen anderen Stores (bei GoG war das zumindest früher so) selbst kümmern, dann aber bei jedem Land der Endkunden einzeln! Die 30% sind ja auch verhandelbar, aber als kleiner Indie und Neukunde hat man es halt schwer.
Steam Zwang gibt es höchstens indirekt und dass es fast jeder nutzt spricht ja für sich. Man könnte auch einfach alles selbst hosten, über itch.io usw. aber viel Spaß mit dem bürokratischen Aufwand, dem Update-Management und der fehlenden Kundschaft.
Bin am Ende auch froh wenn man nur 20% oder 25% abdrückt aber auf Steam trifft im Gegenzug zu Apple und Google halt kein Zwangsmonopolsvorwurf zu. Wenn man nach Abkassierern von Indies sucht sollte man sich eher bei manchen Publishern umschauen, da gibt es mehr schwarze Schafe.
Selbstverständlich gibt es Alternativen zu Steam – aber wer substanziell PC-Spiele verkaufen will, ist auf den Marktführer angewiesen. Da gibt es bei den (allermeisten) Studios auch keine zwei Meinungen.
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