Start Meinung Zeitenwende (Fröhlich am Freitag)

Zeitenwende (Fröhlich am Freitag)

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Szene aus dem deutschen Trailer von Indiana Jones und der Große Kreis (Abbildung: Bethesda)
Szene aus dem deutschen Trailer von Indiana Jones und der Große Kreis (Abbildung: Bethesda)

Früher absolutes No-Go, mittlerweile Serien-Ausstattung: Was machen Hakenkreuze in Games – und mit den Spielern?

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

im März 2014 musste Ubisoft per Pressemitteilung einräumen, dass sich in der deutschen und österreichischen Version des Anarcho-Satire-Cartoon-Rollenspiels South Park: Der Stab der Wahrheit doch glatt ein „Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation“ eingeschlichen hatte.

Gegen Ende des Spiels war offenbar ein winzig-kleines Hakenkreuz durchgerutscht. Geschätzt 3×3 Pixel, maximal. Aber eben keine Kleinigkeit: Die Verbreitung ist nun mal mit empfindlichen Freiheits- und Geldstrafen bewehrt. Sicher, man hätte es einfach drauf ankommen lassen und ein Exempel durchklagen können, auch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit. Aber wer hat schon Lust auf eine jahrelange Brieffreundschaft mit Plattformbetreibern, Einzelhandel, Staatsanwaltschaft?

Die Folge: Die Auslieferung des Spiels wurde vorerst gestoppt – bereits produzierte Ware eingestampft. Und das, obwohl die TV-Vorlage ja serienmäßig mit Nazi-Symbolik spielt.

Schon wenige Jahre später wäre dieser Super-GAU bei Ubisoft mit überragender Wahrscheinlichkeit gar nicht erst eingetreten: Am 9.8. des Jahres 2018 (und man darf vermuten, dass bewusst nicht der Tag zuvor für die Bekanntgabe ausgewählt wurde) hat die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) überraschend bekannt gegeben, dass sie den Ausnahmetatbestand im Strafgesetzbuch künftig auch auf Computerspiele anzuwenden gedenkt.

Klar, weiterhin alles Einzelfall- und kontext-abhängig, aber sehr grundsätzlich sind Computerspiele seitdem Film, TV, Kunst und Wissenschaft gleichgestellt. Kurzum: Das, was George Lucas und Steven Spielberg schon in den 80ern entlang der Indiana Jones-Trilogie ‚durften‘, geht mittlerweile auch bei Games.

Die Gamescom-2018-Demo von Through the Darkest of Times vom Berliner Studio Paintbucket Games war das erste Spiel, das von der praktischen Anwendung dieser ‚Sozialadäquanzklausel‘ profitierte. Dutzende sollten folgen.

Und so kommt es, dass der PC- und Xbox-Blockbuster Indiana Jones und der Große Kreis kurz vor Weihnachten wie selbstverständlich komplett uncut in Deutschland erscheinen durfte. Während der Feiertage habe ich das USK-16-Action-Abenteuer mit großem Vergnügen durchgespielt.

Ich muss zugeben: Gerade, wenn man in den 90ern und 2000ern mit Games sozialisiert wurde und all die Debatten und Dramen erlebt hat (siehe Ubisoft), stellt sich immer noch ein leichtes Störgefühl ein, dass eine Spielwelt komplett mit Hakenkreuzen beflaggt ist: In Dokumenten, auf Uniformen, in Gebäuden wimmelt es nur so vor verbotenen Kennzeichen. Jedes einzelne hätte einst für einen Rückruf gesorgt. Hitlers Helfer lassen sich nach allen Regeln der Kunst vermöbeln – mit Schippen, Rohrzangen, Gitarren, Pömpeln.

Wie sich die Zeiten doch ändern: Noch im Sommer 2019 hat die MediaMarkt-Saturn-Gruppe die ungeschnittene Version des Ego-Shooters Wolfenstein Youngblood boykottiert. Es war eines der ersten Action-Spiele, die infolge der Neuerung auch Hakenkreuze aufwiesen. Auf meine Anfrage lautete die originelle Begründung: wegen der „sensiblen Inhalte“. Wohlgemerkt: Das Spiel war a) von der USK freigegeben und b) vollumfänglich gesetzeskonform.

Auch Microsoft zickte: In den Xbox- und PC-Stores war – entgegen der Rechtslage – nur die zensierte Fassung zu bekommen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wenn ich es recht überblicke. Obwohl Microsoft zwischenzeitlich Bethesda gekauft hat – und die Wolfenstein-Macher von MachineGames gleich mit.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Richtig glücklich war ich anno 2018 mit der Hakenkreuz-Freigabe nicht. Meine diesbezüglichen Bauchschmerzen habe ich damals auch öffentlich artikuliert – auf Konferenz-Bühnen, in Interviews, in Kolumnen. Mein Argument: Wenn es zutrifft, dass der Gesetzgeber dringend einen Gewöhnungs-, Bagatellisierungs- und Trivialisierungs-Effekt vermeiden will, dann ist es doch eine ziemlich doofe Idee, einen Freifahrtschein für Nazi-Symbolik auszustellen – zumal in interaktiven Produkten, mit denen Millionen Kunden Hunderte, wenn nicht Tausende Stunden zubringen.

Oder wie es die damalige SPD-Familienministerin Franziska Giffey vieldeutig formulierte: „Mit Hakenkreuzen spielt man nicht.“

Für diese Position gab es erwartbar wenig Applaus. Sowohl Spieler als auch Spielehersteller waren einfach nur froh, dass die jahrzehntelange Ungleichbehandlung ein Ende hat. Und am Ende war es natürlich auch eine Zeitenwende für das Kulturgut Spiel. Frei nach dem Danger-Dan-Motto: „Zeig‘ mich an und ich öffne einen Sekt – das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“

Im Rückblick bleibt festzuhalten: Die formulierten Bedenken haben sich als unbegründet erwiesen. Zum einen deshalb, weil der Bedarf an Weltkriegs-Kulissen nun mal endlich ist. Die Prophezeiung, dass es nicht zu einer Hakenkreuz-Schwemme kommen werde, war also absolut richtig.

Und zweitens, weil bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle natürlich Profis arbeiten, die sehr präzise einschätzen können, wie ein Produkt wirkt und welche Botschaft es aussendet – wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Fachleute sprechen von einer ‚Rahmung‘.

Was zur Folge hat, dass am heutigen Freitag ein absurd brutales Spiel wie Sniper Elite: Resistance ungeschnitten in Deutschland auf den Markt kommt – zwar USK 18, aber eben mit allem Nazi-Pipapo, wie schon Sniper Elite 5. Warum? Weil es buchstäblich die ‚Richtigen‘ trifft – und mit ‚es‘ ist Scharfschützen-Munition gemeint.

Nun würde ich zumindest ein kleines Fragezeichen setzen, dass in Sniper Elite oder Indiana Jones ein „differenziert-kritischer“ Umgang mit dem Nationalsozialismus praktiziert wird. Aber weil der Ausnahme-Tatbestand auch rein fiktionale, dystopische oder satirische Stoffe umfasst, geht das vermutlich in Ordnung.

Den eingangs beschriebenen Schmerz, der sich bis 2018 bei Ubisoft und vielen weiteren Studios und Publishern einstellte, konnte ich seinerzeit im Übrigen komplett nachfühlen. Denn die diesbezügliche Paranoia hatte auch unsere Zeitschriften-Redaktion fest im Griff: Bei Spielen wie Call of Duty oder Medal of Honor wurde jede Aufmacher-Grafik, jeder Screenshot, jeder Trailer entlang mehrerer Sicherheitsschleifen buchstäblich mit der Lupe abgesucht.

Und ich hab noch sehr lebhaft die heftigen redaktions-internen Debatten vor Augen, inwieweit der dezent angewinkelte Arm eines SS-Offiziers auf einem Screenshot eines Wolfenstein-Spiels mit sehr viel bösem Mitbewerber-Willen als Hitlergruß interpretiert werden könnte.

Parallelen zu Ereignissen der jüngeren Vergangenheit sind rein zufällig.

Mit Blick auf die tektonischen Verschiebungen in Deutschland, Europa und der Welt würde ich vermuten: Computerspiele sind ungefähr das letzte ‚Problem‘, das sich im Zusammenhang mit Rechtsextremismus, Geschichtsklitterung und Gewöhnungs-Effekten stellt.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

2 Kommentare

  1. Die Rechtslage war eigentlich schon immer so wie heute und Computerspiele waren schon immer von § 86 Abs. 4 StGB umfasst. Es brauchte nur eine verfassungskonforme Anwendung der Norm, nachdem die Branche durch eine Fehlentscheidung eines Amtsgerichts zu Wolfenstein 2 eingeschüchtert war. So wie es seit 2018 auch gemacht wird. Darüber besteht auch unter Juristen tatsächlich kein Streit und auch keinen Zweifel. Woher du eine Rechtsunsicherheit nimmst, kann ich nicht nachvollziehen.

  2. Mit ist es neu, dass die USK so ohne weiteres Gesetze umdeuten darf und meines Wissens nach ist der Paragraph 86 auch weiterhin unverändert. Es hat bisher nur niemand einen Spielehersteller verklagt. Vielmehr wurde das Gesetz erst 2021 geändert und dort sogar erweitert um den alten Begriff der „Schrift“ zu erneuern und auch digitales rechtssicher verboten zu ergänzen.
    Computerspiele können sich lediglich auf Punkt 4 des Paragraphen 86 beziehen und behaupten, sie seien Kunst. Im Modellbau spricht man hingegen weiterhin von einem Verbot, Hakenkreuze auf Modellen zu zeigen (sofern da Modell also so verkauft wird oder öffentlich ausgestellt wird).
    Ich glaube nicht, das man Rechtssicherheit unterstellen kann, nur weil die USK sagt „In dem Produkt ist ein Hakenkreuz OK“. Die USK kann durch eine Altersfreigabe nur eine Indizierung verhindern und das ist rechtlich eine völlig andere Sache.
    Erst wenn wirklich mal ein Staatsanwalt beschließt, einen Spielehersteller deswegen vor Gericht zu zerren, werden wir verlässliche Klarheit haben. Und da wir im Zweifelsfall von einer Haftstrafe reden, würde ich als Verantwortlicher auch heute einen Teufel tun und mein Spiel mit Hakenkreuzen ausliefern.

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