Start Meinung E-Sport: Warum die Ampel nicht liefert (Fröhlich am Freitag)

E-Sport: Warum die Ampel nicht liefert (Fröhlich am Freitag)

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Die Frage der Gemeinnützigkeit von E-Sport wird - schon wieder - auf diese lange Bank geschoben (Abbildung: ähnlich / Midjourney / Photoshop-KI)
Die Frage der Gemeinnützigkeit von E-Sport wird - schon wieder - auf diese lange Bank geschoben (Abbildung: ähnlich / Midjourney / Photoshop-KI)

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Familienministerin: Die Debatte um die Gemeinnützigkeit von E-Sport flammt (schon wieder) auf.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

im Alten Rathaus zu Regensburg kann man den historischen Reichssaal besichtigen, wo im Mittelalter der ‚Immerwährende Reichstag‘ tagte. Die Niederschriften zu einzelnen Themen wurden damals auf einer langen Holzbank gelagert – und sobald eine Akte hinzu kam, rückten die unbearbeiteten Folianten immer weiter nach hinten. Wiedervorlage: Sanktnimmerlein.

Daraus soll sich der Legende nach jene Redewendung entwickelt haben, wonach unangenehme und komplizierte Entscheidungen „auf die lange Bank“ geschoben werden.

Der zuständige Fachbegriff für chronische Aufschieberitis lautet Prokrastination. Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo hat darüber mit Kathrin Passig ein sehr schönes Buch geschrieben: „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin.“

Das Werk könnte man auch zur Nachtlektüre innerhalb der Ampel-Regierung verteilen, die sich in sehr regelmäßigen Abständen uneins ist, wie gemeinsame Vereinbarungen in der Praxis auszugestalten sind – Stichwort Kindergrundsicherung. Deren Einführung wird schon auf Seite 5 des Koalitionsvertrags von 2021 erstmals erwähnt. Doch über das Wann, Wie und Wieviel gab es monatelangen Streit: Die grüne Familienministerin Lisa Paus forderte 12 Milliarden € – FDP-Finanzminister Christian Lindner verwies auf den klammen Haushalt und wollte maximal 2 Milliarden € rausrücken.

Ähnlich vertrackt ist die Lage auch beim E-Sport. Dabei ist der Wortlaut im Koalitionsvertrag so schlicht wie eindeutig: „Wir (…) machen E-Sport gemeinnützig.“ (PDF, Seite 97). Doch was so einleuchtend klingt und durch eine stumpfe Ergänzung der Abgabenordnung machbar wäre, ist in der Praxis eben doch ein echtes Politikum.

Denn Gemeinnützigkeit bedeutet: Vereine und Einrichtungen, in denen Computerspiele als Wettbewerb praktiziert werden, würden von steuerlichen Vorteilen profitieren – etwa die Befreiung von Körperschafts- und Gewerbesteuer, von Freibeträgen, von Pauschalen und Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche, vom Zugang zu öffentlichen Fördertöpfen und von steuerlich abzugsfähigen Quittungen, wenn zum Beispiel ein regionales Autohaus eine Runde Gaming-PCs stiftet.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Eine Sprecherin des Familienministeriums räumte gestern auf Anfrage ein, dass man Bauchschmerzen bei der Frage habe, ob E-Sport-Vereine wirklich, wirklich, wirklich die Allgemeinheit fördern – wie es offenkundig bei Karnevalsvereinen, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Bau von Krötentunneln der Fall ist. Denn dies gilt als zwingende Voraussetzung für Gemeinnützigkeit.

Aus Sicht von Paus träfe dies auf Games nicht zu, in denen „das Töten von Menschen realitätsnah simuliert wird“ – würde also heißen: Arrivederci Rainbow Six Siege, Counter-Strike, PUBG und Call of Duty, möglicherweise auch adieu Apex Legends und Valorant. In dieser Bewertung sei sich das Ministerium mit anderen Ressorts einig, die das Thema ebenfalls beackern, also auch Lindners Finanzbehörde.

Durch diese enge Auslegung würden weite Teile des E-Sports-Marktes per se ausgeschlossen, was den Vereinen und E-Sport-Abteilungen kaum noch Luft zum Atmen ließe. Was wiederum die landesweite Empörung von Verbänden und Vereinen erklärt.

All jene, die dieser zähen Debatte schon ein paar Tage länger folgen, müssen sich fühlen, als seien sie in eine Zeitspalte gefallen. Denn die Themen sind die gleichen wie vor 2, 4, 6, 8 oder 10 Jahren. Ich kann mich an längst verjährte Panels, Reden und Interviews erinnern, in denen die Vorbehalte fast wortgleich vorgetragen wurden.

Aber ich will auch ganz offen sein: Mit dem Wissen, wie und mit welchem Tempo sich die Games-Industrie verändert, wäre ich als politisch Verantwortlicher auch mindestens zurückhaltend, wenn es um die Ausstellung staatlicher Blankoschecks geht.

Denn mit dem Thema E-Sport sind Myriaden von Aspekten verknüpft, die in der Bewertung nicht unter den Tisch fallen dürfen (oder sollten).

  • Da wäre zum Beispiel der schon jetzt massive und wachsende Einfluss einer lupenreinen Monarchie wie Saudi-Arabien, die mit ESL Faceit den Weltmarktführer unter den Ausrichtern kontrolliert und demnächst gemeinsam mit einer absolut vertrauenswürdigen Institution wie der FIFA eine E-Sport-WM veranstaltet.
  • Zweitens die nicht wegzudiskutierende, maximale Abhängigkeit jeder einzelnen E-Sport-Disziplin und damit jeder E-Sport-Organisation von überwiegend börsennotierten, in jedem Fall kommerziell getriebenen Unternehmen, die nach eigenem Ermessen über Regelwerk, Geschäftsmodelle, Vertriebswege, Lizenzen,  Plattformen, Zulassung, Ligen und Turniere entscheiden. Das Mitspracherecht von Teams und Spielern: minimal, wenn überhaupt.
  • Und drittens die Frage, wie mit Pay2Win- oder Glücksspiel-ähnlichen Mechaniken in Games umzugehen ist, etwa den Lootboxen im Ultimate-Team-Modus von EA Sports FC 24, dem meistverkauften Videospiel des Landes. Seitens der Industrie ist in dieser Frage zero Bewegung zu erwarten: In einem aktualisierten Positionspapier des Branchenverbands wird die Existenz solcher „Zusatzangebote“ damit begründet, dass sie für Computerspiele-Hersteller nun mal eine „wichtige, zusätzliche Erlösquelle“ seien, mit der es gelänge, „trotz stark gestiegener Produktionskosten, die Preise für Spiele konstant zu halten“. Auf so eine charmante Argumentation wäre mutmaßlich noch nicht mal Electronic Arts gekommen.

Gestern und heute hat sich das Familienministerium erkennbar bemüht, die Debatte wieder einzufangen. Wobei ich der Politik tatsächlich abnehme, dass sie die Lage grundsätzlich verstanden hat und auch helfen will – sich aber parteiübergreifend irrsinnig schwer damit tut, den Dingen freien Lauf zu lassen. Die Herausforderung besteht ja darin, eine einheitliche, praxistaugliche E-Sport-Definition und -Regelung zu finden, die ohne einen regelrechten Beipackzettel mit Ausschlusskriterien, Risiken und Nebenwirkungen auskommt.

Trotzdem möchte ich dringend dafür werben, dass die Politik den Ehrenamtlichen mehr zu- und vertrauen sollte. Denn die ersehnte Gemeinnützigkeit gibt es ja nicht umsonst und gratis: Es ist keinesfalls so, dass Steuergeld einfach „aus dem Fenster geworfen“ würde – wie einst an jenem Erkerfenster im Regensburger Rathaus, aus dem der gastierende Kaiser Münzen schmiss, die vom begeisterten Pöbel aufgelesen wurden.

Denn die Vereine und deren Kassenwarte werden ja durch vergleichsweise enge und strenge Vorgaben eingehegt – diese Bürokratie muss man a) wollen und b) können. Etablierte Sportvereine müssten ohnehin die Zustimmung der Mitglieder einholen und ihre Satzung ändern. Und außerdem würde alleine das geltende Jugendschutzgesetz automatisch dafür sorgen, dass Fortnite oder EA Sports FC 24 eben nicht von 10jährigen gezockt werden – genauso, wie eine Mitgliedschaft im (gemeinnützigen) Schützenverein erst ab 12 Jahren möglich ist. Bei Verstoß ist der Bescheid halt futsch – better luck next time.

FDP-Digitalpolitiker Manuel Höferlin – traditioneller Fürsprecher der Branche – hat den grünen Ampel-Partner gestern daran erinnert, dass der Koalitionsvertrag auch für die Familienministerien gilt. Was natürlich grundsätzlich stimmt. Aber auch nicht bedeutet (und da schließt sich der Kreis zur Kindergrundsicherung), dass die Umsetzung trivial wäre.

Die Chancen, dass es vor dem regulären Ende der Legislatur im Herbst 2025 zu einer Einigung kommt, sind in dieser Woche jedenfalls nicht gestiegen – dafür aber die Chancen, dass der Satz „Wir machen E-Sport gemeinnützig – diesmal wirklich“ im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung auftaucht. Es sei denn, es gelingt doch noch ein Last-Minute-Kompromiss „am Grünen Tisch“.

Dessen, mit grünem Samt bespanntes Original steht übrigens auch in Regensburg.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Man muß natürlich auch immer berücksichtigen, dass Politiker gerne wiedergewählt werden. Betrifft jene, die sich aus Lobbyarbeit gegen e-Sport stemmen und auch jene, die aus Eigennutz dafür sind. Ich sehe das Thema neutral, mir kann es also egal sein, aber man merkt beiden Seiten mehr oder weniger den Eigennutz an. 🙂

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