Alles wird teurer – warum nicht auch Computerspiele? Die Industrie ist gut beraten, trotz angespannter Lage den Bogen nicht zu überspannen.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
vor der Rückfahrt von einer Branchenveranstaltung machte ich gestern in aller Herrgottsfrühe noch kurz Halt bei einer Bäckerei-Filiale im Gamescom-Bahnhof Köln Messe/Deutz, um mich mit To-Go-Käffchen und etwas Gebäck einzudecken.
Dort musste ich mir zunächst die verquollenen Äuglein reiben, weil ich es kaum glauben konnte: Der Betrieb rief 1,70 € für eine einzelne, vergleichsweise kompakte Laugenbreze mit grobem Meersalz auf – Ein. Euro. Siebzig. Ein Wahnsinn. Es fühlte sich an, als ob der Bäckermeister die Salzkörner einzeln mit der Pinzette aufgebracht hätte – so wie in der Lindt-TV-Werbung, wo der Maître Chocolatier jedem Schokohasen persönlich das Glöckchen umlegt.
Möglicherweise war der Brezen-Einzelpreis auch deshalb so ambitioniert ausgestaltet, damit der 3er-Pack für pauschal 4 € nicht ganz so gierig wirkte.
In meiner Wahrnehmung sind 1,70 € für einen geflochtenen Teigstrang komplett unangemessen und überzogen, Inflation hin oder her. Das zeigt auch der Store-Check am Zielbahnhof in Nürnberg: Dort berechnet das örtliche Handwerk für das gleiche Produkt vertretbare 85 Cent. Noch.
Der Betreiber der Kölner Back-Filiale muss hingegen zur Überzeugung gelangt sein, dass selbst 1 € oder 1,50 € kein auskömmlicher Tarif sind. Schließlich wird ja alles teurer: Ob Döner, Pizza, Bundesliga-Trikots, Konzert-Tickets – allüberall werden Preise verlangt (und bezahlt), für die man den Gewerbetreibenden noch vor ein paar Jahren den Vogel gezeigt hätte. Das neue iPhone 15 Pro Max mit Titan-Beschichtung kostet mindestens 1.500 € – der Liter Bier in den Oktoberfest-Zelten wird für 13 bis 15 € ausgeschenkt.
In diese Gemengelage hinein hat Haruhiro Tsujimoto – Chef des sehr gut beleumundeten japanischen Spieleherstellers Capcom – in einem Interview etwas geradezu Ungeheuerliches formuliert: Computerspiele seien zu billig – die Preise müssten deshalb steigen. Und zwar deshalb, weil sich die Entwicklungskosten in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht hätten, die Abgabepreise aber nicht in gleichem Maße angewachsen sind.
Die Reaktionen im Netz auf das Interview fielen erwartbar aus und lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: „Geht’s noch?“. Genauso gut hätte der Capcom-Boss auch sagen können: Manager werden zu schlecht bezahlt.
Zur Wahrheit gehört natürlich, dass Capcom – anders als die Konkurrenz – noch nicht flächendeckend den Sprung auf den 80-€-Quasi-Standard für Konsolenspiele vollzogen hat. Ein Street Fighter 6 geht für 70 € über den Tisch. Das könnte sich ändern. Vielleicht wollte der Capcom-Manager die Kundschaft einfach nur sanft mental darauf vorbereiten, dass es ab 2024 zu preislichen Annäherungen an die neue Normalität kommt.
Aber sind Computerspiele-Preise wirklich zu niedrig? Kurze Antwort: Ja. Beziehungsweise: Nein.
Lange Antwort: Dass die Produktion und Vermarktung von Games irrsinnig teuer ist, da gibt es keine zwei Meinungen. Infolge steigender Ansprüche und krassem Mitbewerb werden Spiele tendenziell größer und aufwändiger – und damit auch die Teams. Irgendjemand muss das bezahlen.
Was der Capcom-Mann jedoch geflissentlich unterschlägt, ist die Perspektive der Verbraucher, die ja über ein begrenztes Budget verfügen. Nach dem Ende der Corona-Beschränkungen gibt es einen erkennbaren Nachholbedarf: Biergärten, Urlaubsflieger, Stadien und Konzertsäle sind rappelvoll – jeder Cent, der zum Beispiel in Gastronomie oder Hotellerie fließt, ‚fehlt‘ an anderer Stelle. Gepaart mit dem Überangebot an Games auf allen Plattformen muss man nicht Prophetentum auf Lehramt studiert haben, um zu ahnen: Der Kampf um den Geldbeutel wird anstrengender.
Wie groß der Konkurrenz-, Kosten- und Margen-Druck derzeit ist, ließ sich in den vergangenen Tagen besichtigen, als unter anderem Epic Games (Fortnite, Rocket League, Unreal Engine) einen substanziellen Personalabbau angekündigt hat. Nicht hier und da einzelne Stellen, sondern im großen Stil – im Falle von Epic ist jeder fünfte Beschäftigte betroffen. Und nach allem, was aus der Branche zu hören ist, sind das nur erste Vorboten.
Epic Games gehört zu jenen Unternehmen, die eine bemerkenswerte Kreativität entwickelt haben, wie sich einmal erschlossene Kundschaft monetarisieren lässt – mit Zusatz-Inhalten (DLCs), Battlepässen und Spielwährung wie den Fortnite-V-Bucks, deren Wechselkurs in wenigen Wochen ‚angepasst‘ wird. Zu Ungunsten der Spieler, versteht sich.
Fortnite ist Free2Play. Aber längst stellt selbst bei Vollpreis-Titeln der Verkaufspreis nur noch eine Art Grundgebühr dar – für viele Leistungen werden saftige Aufpreise fällig. Das Geschäftsmodell ähnelt also jenem von Freizeitparks: Das erforderliche Investment ist nicht auf die Tagestickets begrenzt, sondern kann sich rasch verdoppeln – und das fängt bereits bei der Stellplatz-Gebühr an.
Nehmen wir EA Sports FC 24, das am heutigen Freitag erscheint:
- Der Listenpreis der PlayStation-5- oder Xbox-Version liegt bei 79,99 €. Für die ‚Ultimate Edition‘ mit digitalem Krimskrams und Spielwährung werden 110 € fällig. Ebenfalls inklusive: der Vorabzugang, der immer öfter als Feature verkauft wird.
- Hinzu kommen digitale Packs für den Modus Ultimate Team – der eigentliche Hebel im EA-Businessplan: Denn der US-Publisher erwirtschaftet drei von vier Dollar mit solchen „Live Services“. Wie schon bei FIFA 23 lassen sich auch in EA Sports FC 24 Weltstars freischalten. Das Prinzip: Je Haaland, desto geringer die Wahrscheinlichkeit. Mindestens Österreichs Justiz hält das für ‚Glücksspiel‘.
- Und wer EA Sports FC 24 auf der Konsole online mit und gegen andere spielen will, braucht zusätzlich und zwingend ein Abo von PlayStation Plus (mind. 72 € pro Jahr) beziehungsweise Xbox Game Pass (mind. 60 € pro Jahr). Microsoft und Sony haben die Spieler daran gewöhnt, dass für diesen ‚Service‘ laufende Gebühren erhoben werden, die – Sie ahnen es – zuletzt spürbar gestiegen sind. PC-Spieler benötigen so ein Abo nicht.
Nebenbei bemerkt: Anders als bei den FIFA-Vorgängern muss Electronic Arts keine Lizenzgebühren an den Weltfußballverband mehr leisten. Am Abgabepreis von EA Sports FC 24 ändert das natürlich: nichts.
Mit FIFA Soccer 95 oder FIFA 13 hat EA Sports FC 24 nicht mal mehr den Namen gemein. Reichlich albern ist daher aus meiner Sicht der gern genommene Verweis auf die Konditionen der 80er, 90er und 2000er Jahre. Denn Spiele werden heute ja ganz anders kalkuliert, produziert, vermarktet und konsumiert als zu Monkey Island-Zeiten – und das fängt schon mal damit an, dass die Entwicklung mit dem Launch nicht abgeschlossen ist, sondern vielfach erst so richtig beginnt.
Gleichzeitig ist der damals übliche Gebrauchtspiele-Markt faktisch zum Erliegen gekommen, weil sich Games – einmal aktiviert und freigeschaltet – nicht mehr weiterverkaufen lassen. Auch das hat Einfluss aufs Preisleistungsverhältnis. Entsprechend anachronistisch mutet es an, wenn Aiwangers Freie Wähler mit der Forderung nach einem „digitalen Second-Hand-Verkauf“ – also dem Recht auf Weiterverkauf von Zugriffsrechten auf Computerspiele – in den bayerischen Wahlkampf ziehen (kein Scherz).
Die Behauptung, dass PC- und Konsolenspiele pauschal zu günstig oder zu teuer seien, kann man insbesondere deshalb nicht gelten lassen, weil sich das Gefühl für den angemessenen ‚Wert‘ durch Free2Play und Flatrates verändert, manche sagen: verwässert hat – genauso wie Mediatheken und Streaming-Dienste die Wertigkeit von Filmen, TV-Serien und Musik beeinflusst haben (und nicht zum Besseren). So viel Qualität und Quantität gab’s noch nie fürs Geld.
Kurzum: Computerspiele sind weder zu günstig noch zu teuer. Computerspiele haben vielmehr exakt den Preis, den hinreichend Menschen bereit sind zu bezahlen. Wie bei der Laugenbreze am Gamescom-Bahnhof. Sollte sich zur Verblüffung aller Beteiligten herausstellen, dass 1,70 € doch kein marktgerechter Preis sind, bleibt die Breze in der Auslage.
Mit Blick auf die anhaltenden Kosten-Explosionen könnte eine Lösung darin bestehen, wieder vermehrt kleinere Brötchen beziehungsweise Brezeln zu backen – es ist ja kein gottgegebenes Naturgesetz, dass der Umfang von Spielen immer größer werden muss. In jedem Fall ist die Branche aufgerufen, mit großer Vor- und Umsicht vorzugehen und die Preis-Schrauben nicht zu überdrehen – so wie es jüngst bei Unity passiert ist.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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