Start Wirtschaft Unity Runtime Fee und die Folgen: „Der Puls ist über 100“

Unity Runtime Fee und die Folgen: „Der Puls ist über 100“

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Dr. Andreas Lober ist Partner bei Advant Beiten in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Technologie und Games (Foto: Advant Beiten)
Dr. Andreas Lober ist Partner bei Advant Beiten in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Technologie und Games (Foto: Advant Beiten)

Nutzt Unity mit der Runtime Fee eine marktbeherrschende Stellung aus? Fragen an Games-Anwalt Dr. Andreas Lober.

Auch zweieinhalb Wochen nach Ankündigung der sogenannten Unity Runtime Fee und zwischenzeitlicher Korrekturen ist die Wut über das US-Unternehmen Unity noch nicht verraucht – noch immer herrscht Verunsicherung unter Spiele-Studios und -Publishern, auch im deutschsprachigen Raum. „Der Puls ist über 100, würde ich sagen“ – so beschreibt Andreas Lober die Stimmungslage.

Lober ist promovierter Jurist und Partner der Frankfurter Kanzlei Advant Beiten. Als Rechtsbeistand und Berater großer internationaler und nationaler Publisher und Studios bekommt er die Auswirkungen der Gebühren-Reform hautnah mit. Sein Befund: „Viele Entwickler haben den Eindruck, Unity ausgeliefert zu sein und reden von dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Auch wenn die Frage rechtlich gar nicht so einfach ist und Unity mittlerweile etwas zurückrudert: Eine vertrauensbildende Maßnahme war das sicherlich nicht.“

Hinter der Runtime Fee verbirgt sich eine Gebühr, die Unity künftig pro installiertem Spiel kassieren will – zuzüglich zum regulären Abopreis bei Einsatz der Unity Engine, die zu den wichtigsten und populärsten Werkzeugen für die Entwicklung von Games zählt. Nicht nur würden sich die Produktionskosten über Nacht in vielen Fällen drastisch erhöhen – das Modell löst auch eine Menge von Fragen aus. Eine davon: Dürfen die das eigentlich?

Unity Runtime Fee: Nutzt Unity die Marktstellung aus?

Weil Unity neben der Unreal Engine von Epic Games als Quasi-Industriestandard gilt, lautet ein oft formulierter Vorwurf: Hier nutzt ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung aus – alleine deshalb, weil die Entwickler während der laufenden und meist über Jahre andauernden Produktion ja nicht einfach die Engine wechseln können.

Aber trifft das zu?

Die Antwort auf die Frage ist komplex. Lober verweist auf die Besonderheiten des europäischen Kartell- und Wettbewerbsrechts. Drei Kriterien seien hier von Bedeutung: technische Eigenschaften, Verwendungsmöglichkeit und Preis. „Im Zweifel – also beispielsweise bei einer Beschwerde – schauen sich das die Wettbewerbsbehörden sehr genau an, also zum Beispiel die Europäische Kommission oder das Bundeskartellamt, so der Experte. „Zu Games-Engines gibt es bisher keine Entscheidungen, man könnte sicher an einen Markt für Games-Engines denken. Nicht ganz ausgeschlossen ist aber auch, dass hier noch weiter segmentiert wird – auch über einen Markt für Games-Engines für mobile Endgeräte könnte beispielsweise nachgedacht werden.“

Im Falle der geplanten Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft hat die EU-Kommission zum Beispiel geprüft, ob sie den Spielemarkt nach Genres segmentiert, um ein mögliches Monopol bewerten zu können.

Im nächsten Schritt würde die Kartellbehörde dann die Marktstruktur analysieren und prüfen, ob tatsächlich eine Marktbeherrschung vorliegt: „Da spielen die Marktanteile eine Rolle, aber auch Wettbewerbsdruck von anderen Unternehmen. Unity hat ja mindestens einen potenten Wettbewerber (Epic Games, Anm. d. Red.). Aber: Die Developer sind natürlich massiv abhängig, insbesondere bei Produkten, die schon mitten in der Entwicklung oder gar live sind, und die Fachkräfteausbildung an Lehreinrichtungen erfolgt größtenteils nach Unity-Engine-Modellen. Das spricht also schon für eine gehörige Marktmacht.“

Unity Runtime Fee: Ist die rückwirkende Anwendung zulässig?

Eine marktbeherrschende Stellung alleine ist noch nicht per se verboten – entscheidend sei, ob sie missbraucht wird, etwa durch unangemessene Preise, Kopplungsangebote oder unvorteilhafte Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB).

Ursprünglich hatte Unity den Plan verfolgt, just diese AGBs auch rückwirkend für bestehende Projekte zu ändern, was besonders viele Kunden erzürnt hat. Aber das geht das denn ’so einfach‘?

„‚So einfach‘ sicher nicht“, weiß Andreas Lober. „Zum einen wäre eine Rückwirkung tendenziell ein ‚Missbrauch‘, wenn denn eine marktbeherrschende Stellung vorliegt. Und auch ein Verstoß gegen deutsches AGB-Recht – wobei die Frage ist, ob hier deutsches AGB-Recht überhaupt gilt, schließlich ist Unity ein US-Unternehmen – und eventuell würde ein deutsches Gericht diese Frage auch anders beantworten als ein US-Gericht. Amerikanische Gerichte jedenfalls werden auf diesen Fall eher kein deutsches AGB-Recht anwenden.“

Nach heftigen Protesten hat Unity den ursprünglichen Plan einkassiert – jetzt sollen die Regeln erst ab der neuen, für 2024 geplanten Version gelten. Doch der Anwalt warnt: „Eine wirkliche Rückwirkung braucht es wohl auch gar nicht, um die Entwickler in die Klemme zu bringen, denn die nächste Version der Engine kommt bestimmt – und die will genutzt werden, eben gegebenenfalls zu den neuen Bedingungen.“

Unity Runtime Fee: Wie misst man ‚Installs‘?

Weiterhin offen ist die Frage: Wie wird die Zahl der Spiele-Installationen – nach denen sich die Höhe der Provisionen bemisst – eigentlich in der Praxis gemessen? Eine klare Antwort ließ das Unternehmen offen: Jetzt sollen die Unity-Kunden diese Zahlen selbst melden.

Gibt es überhaupt einen gangbaren Weg, der die datenschutzkonforme Erhebung installierter Speile ermöglicht – über Geräte und Plattformen hinweg? Das könne nur dann klappen, wenn eine Messung ohne Verarbeitung personenbezogener Daten und ohne Cookies erfolgt: „Aber Achtung: Auch IP-Adressen, User- und Device-IDs oder Advertiser-IDs sind personenbezogen Daten. Wenn dagegen personenbezogene Daten verarbeitet werden, braucht es dafür eine Rechtsgrundlage. Mit Einwilligungen kann jedenfalls nicht gearbeitet werden, denn sonst könnten Nutzer nicht getrackt werden, die die Einwilligung verweigern“, warnt Lober. „Auch dürfen bestehende Datensätze mit personenbezogenen Daten nicht ohne Weiteres für neue Zwecke verarbeitet werden, etwa für eine statistische Auswertung, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch gar nicht geplant war.“

Die datenschutzrechtlichen Implikationen könnten ein Grund sein, weshalb Unity an dieser Stelle umschwenkt und das Reporting neuerdings den Studios überlässt – und als Alternative eine Flatrate-Provision von 2,5 Prozent des Umsatzes (Revenue Share) anbietet. „Aber natürlich müssen auch die Entwickler die Datenschutzgesetze einhalten, wenn sie die ‚Installs‘ ihrer Nutzerbasis messen wollen“, betont Lober. „Zur Not müssten diese Zahlen wohl geschätzt werden.“

Mindestens dieses Reporting der Installs bleibt also eine Herausforderung – inwieweit weitere Korrekturen am vorgestellten Modell erforderlich sind, gilt es aufmerksam zu beobachten. In Kraft treten soll das neue Modell zum 1. Januar 2024.


Mit den Risiken und Nebenwirkungen der Unity Runtime Fee beschäftigt sich auch diese GamesWirtschaft-Kolumne.