Start Meinung Unity: Das Märchen von der guten Runtime-Fee (Fröhlich am Freitag)

Unity: Das Märchen von der guten Runtime-Fee (Fröhlich am Freitag)

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So stellt sich Midjourney die Unity Runtime Fee vor (Abbildung: ähnlich)
So stellt sich Midjourney die Unity Runtime Fee vor (Abbildung: ähnlich)

Gute Fee, böse Fee: Die geplante Einführung der Unity Runtime Fee legt die krassen Abhängigkeiten der Games-Industrie offen.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

„Wenn Steam heute käme und würde sagen: ‚Assemble, ihr habt irgendwas getan, was wir nicht mögen, ihr dürft ab sofort keine Spiele mehr bei uns verkaufen‘ – dann könnten wir am gleichen Tag noch zuschließen und nach Hause gehen.“

Der Satz, den Dennis Blumenthal während einer gemeinsamen Twitch-Talkrunde beim Kicker (ab Minute 1:30:30 ) formuliert hat, klang mir noch lange nach. Denn wenngleich ich natürlich um die schiere, ins Monopolige tendierende Marktmacht der PC-Spiele-Plattform weiß, hilft es gelegentlich, wenn Offensichtliches so klar ausgesprochen wird wie hier vom Marketing Director bei Assemble Entertainment.

Der Wiesbadener Indie-Publisher, für den Blumenthal arbeitet, ist eines von Hunderten deutscher Games-Unternehmen, die am Tropf von Steam hängen. Alle wissen: Wenn Betreiber Valve die Maschinen abklemmt, ist Schicht. Und da ist es dann auch schon egal, wie gut die Spiele sind. Denn Steam ist nicht nur Marketing-Maschine, Spielesammlung und Community-Treffpunkt, sondern eben in erster Linie: Schaufenster und Vertriebskanal.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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30 Prozent des Umsatzes behält Steam von jedem ausgegebenem Dollar/Euro ein, analog zum PlayStation Store oder zu Apples Appstore. Und ungefähr nichts könnte Valve davon abhalten, die Provisions-Schraube auf 33 oder 35 Prozent anzuziehen. Oder die Grundgebühr zu erhöhen, damit nicht jedes Dödelspiel wertvollen Server-Platz wegatmet. Was wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Statik von Geschäftsmodellen hätte.

Jetzt sagen Sie natürlich zurecht: „Haha, so doof kann doch keiner sein – damit würden sie sich ja selbst ins Bein schießen.“

Auftritt Unity: Am Dienstag vergangener Woche hielt das US-Unternehmen eine Märchenstunde ab. Die Sage handelte von einer guten Fee, die Wünsche von Investoren und Spiele-Entwicklern gleichermaßen erfüllt. Nennen wir sie: die Runtime-Fee.

Jene Fee (engl.: ‚Gebühr‘) hat der US-Software-Hersteller aus dem Nichts herbeigezaubert. Bislang rechnet Unity pro Arbeitsplatz ab, an dem die Software genutzt wird – was ein Problem ist, wenn eine Branche mehr Leute aus- als einstellt. Ab 2024 will der 8.000-Mann-Konzern zusätzlich an jedem installierten Spiel mitverdienen, und zwar mit besagter Unity Runtime Fee.

Unity ist der Zement, aus dem Hunderttausende Spiele gemacht sind, kleine wie große. Wird dieser Zement über Nacht teurer, lohnen sich Bau und Betrieb von Games möglicherweise nicht. Beziehungsweise: nicht mehr. Was das mittelgroße Entsetzen erklärt, das seit Tagen durch das Netz wabert – angereichert durch Verwünschungen, Sarkasmus, Frust, Wut und Abwanderungsankündigungen. Unity versuchte per FAQ zu deeskalieren, machte es aber nur schlimmer.

Am Montag dann die PR-Notbremse: Unity formuliert ein einigermaßen zerknirschtes, bedingt authentisches Tschuldigung, will noch einmal in Klausur gehen und zeitnah einen neuen Vorschlag vorlegen.

Eines der Märchen, die das Unity-Management erzählt, geht so: Von der neuen Gebühr seien höchstens 10 Prozent der Nutzer betroffen, wenn überhaupt. Wo doch jeder weiß: Wann immer jemand behauptet, eine Änderung beträfe maximal 1, 5 oder 10 Prozent der Kunden, dann besteht eine annähernd 100prozentige Wahrscheinlichkeit, dass man selbst Teil dieser 1, 5 oder 10 Prozent ist.

Die Causa Unity zeigt wie unter einem Brennglas, in welch existenziellen, weil vielfach alternativlosen Abhängigkeitsverhältnissen sich Betriebe aller Größen in der erweiterten Videospiele-Industrie befinden. Natürlich gibt es immer die Option, auf Systeme der zweiten oder dritten Reihe zu wechseln. Doch das kostet mindestens Zeit, meist aber vor allem: Geld. Und Umsatz.

Ausnahmen bestätigen folgende Regeln:

  • Spiele-Entwickler sind abhängig von Epic Games (Unreal Engine) und Unity.
  • PC-Spiele-Studios und -Publisher sind abhängig von Steam (in Abstufungen: GOG und Epic Games Store).
  • Konsolenspiele-Entwickler sind abhängig von Sony, Microsoft und Nintendo.
  • Mobilegames-Entwickler sind abhängig von Google (Android) und Apple (iOS) – zumindest im Freien Westen.
  • Hiesige Töchter internationaler Konzerne sind abhängig von der Kassenlage des Mutterkonzerns.
  • Anbieter von Zubehör und Spielen auf Disc sind abhängig von Amazon und/oder Google.
  • Gaming-Influencer und -Streamer sind abhängig von Amazon (Twitch) und Google (YouTube).
  • Podcaster und Blogger sind abhängig von Patreon und Steady.

Und so weiter.

Es wird Sie nicht überraschen, dass es derlei Abhängigkeiten logischerweise auch bei GamesWirtschaft gibt – beim Content Management System, bei Social Media, beim SEO. Eine gewisse Resilienz gegen die Unwägbarkeiten des Mediengeschäfts lässt sich bestenfalls herstellen, indem man im Rahmen der Möglichkeiten dafür sorgt, dass der Strauß an Traffic- und Erlösquellen möglichst bunt ausfällt. Aber das nur am Rande.

Nun sind Händler sowie Plattform- und Marktplatz-Betreiber meist schlau genug, das Motto „Leben und leben lassen“ zu beherzigen: Wenn es den Lieferanten gut geht, geht’s auch der Verteilerstation gut – und umgekehrt. Ein Grundsatz, der Apple, Sony oder Steam (hoffentlich) davon abhalten sollte, die Zulieferer abzuzocken und damit das Ökosystem zu gefährden. Eine Garantie gibt es nicht.

Denn egal ob DAZN-Abo, Frühstücksflocken-Füllmengen, PlayStation Plus-Gebühren oder eben das Unity-Desaster – nichts ist „Versehen“. Sondern ein systematisches Herantasten, wie weit man mit Leistungskürzungen und/oder Preiserhöhungen gehen kann, ohne dass zu viele Kunden durchdrehen. Und das klappt eben oft nur mit einer Operation am offenen Herzen. Wie soll das Ergebnis schon ausfallen, wenn man vorher in die Runde fragt, was die Zielgruppe von einer ‚Tarifanpassung‘ hält? „Super Idee, wir lieben euch!“?

Manchmal müssen die Unternehmen einfach nur auf den optimalen Moment warten. So wollte Microsoft im Januar 2021 schon mal die Gebühren für den Abodienst Xbox Live Gold erhöhen – auf’s Jahr gerechnet kaum mehr als ein Euro pro Monat. Doch die Kunden fanden das eher so mittelgut – also ruderte Xbox-Chef Phil Spencer zurück: „Sorry, hamm nen Fehler gemacht“. Ne, Spencer, ihr habt keinen ‚Fehler‘ gemacht, sondern einfach stumpf versucht, ob ihr damit durchkommt.

Die Aktion wurde abgesagt – die dazugehörige Ankündigung heimlich und klamm gelöscht. Mit dem Ergebnis, dass die Preiserhöhung jetzt eben vor ein paar Wochen im Zuge eines größeren Tarif-Umbaus durchgedrückt wurde. Was etwas leichter fiel, weil ja Mitbewerber Sony PlayStation unmittelbar zuvor schon kräftig an der Preisschraube gedreht hatte – „Seht her, alle machen’s – und wir haben immer noch den besseren Deal.“

Wie es mit der Unity Runtime Fee weitergeht, ist völlig offen. Zur Stunde (Freitag, 22.9., 10 Uhr) gibt es keine Indizien, wie eine Version 1.1 oder gar eine Version 2.0 aussehen könnte. Zurück auf Anfang wird kaum funktionieren. Denn bei Unity spürt man den kalten Atem der Anleger, die gerne mal Geld verdienen möchten: Seit dem Frühjahr 2022 dümpelt das Papier uninspiriert vor sich hin – zuvor erlebte die Aktie einen krassen Einbruch.

Klar ist nur eines: dass das Unity-Management vor dem Hintergrund der Marktstellung geradezu fahrlässig mit dem Vertrauen einer ganzen Branche umgegangen ist. Und dass es jetzt eine sehr schnelle, sehr brillante Lösung braucht, die sowohl das Controlling als auch die Nutzer glücklich macht.

Falls die Nummer mit der eierlegenden Wollmilchsau nicht zeitnah gelingt, werden sich Studios zehn Mal überlegen, ob sie sich jemals wieder auf einen solchen Rasierklingenritt einlassen und auf einem System entwickeln, das unterwegs die Spielregeln nach Belieben ändert – in einer Branche, die ohnehin nicht arm an Risiken ist. Für Unity steht extrem viel auf dem Spiel.

Und die Moral von der Geschicht? Mag sein, dass ein Märchen mit „Es war einmal“ beginnt. Im Falle von Unity könnte es so enden.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. Ich wiederhole es gerne nochmal: Der beste Weg aus dem ganzen herauszukommen wäre wenn jedes Studio sich an einem pool mit Mitarbeitern oder Geld beteiligt und dafür eine Eingine entwickelt wird, die für alle passt. Open-Source, Open-Service, Open-Crowd und eines was für jeden (mit entsprechenden Anpassungen) passt.

    Technisch ist das kein Problem – es gibt entsprechende Systeme mit denen sich alles handlen lässt. Von daher wäre das wohl mittel- und langfristig die beste Lösung!

    Aber was weiß so ein Typ im Internet schon, macht ruhig weiter so …

    • Inhouse-Engines sind nicht die Lösung, da sie andere Probleme verursachen. Kratzen doch eh die meisten am Minimum; dass Unreal und Co. einiges abnehmen ist notwendig, damit manche Studios überhaupt existieren können.

      IdR müssen Studios dann auch in-house sämtliche Schnittstellen für Artists und Designer entwerfen, implementieren und maintainen. Fehlt ein Tool, oder gibt es einen Bug kann plötzlich Teile des Content Teams nicht arbeiten.

      • Da hast du recht, deswegen sagte ich ja auch, dass sich ALLE Studios odder ein Großteil davon an EINEM Pool beteiligen sollten, entweder mit Mitarbeitern oder einem regelmäßigen Geldbetrag um die Entwicklung einer Engine für alle zu ermöglichen. Da jedes beteiligte Unternehmen dann in diesem Pool mit Expertise oder finanziell einen Beitrag leistet, können Pipelines dann natürlich auch an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasst werden.

        Dazu gibt es ja bereits Technologie wie Cargo um Features zu trennen und individuell nach Projekt und Unternehmen zusammenfügen zu können.

        Das Problem damit ist nur leider, dass Unternehmen üblicherweise alles unter Verschluss halten und mit NDAs pflastern. Verstehe ich zu einem gewissen Grad aber verhindert natürlich auch, dass man weiter auf Firmen wie Unity oder Epic angewiesen ist. Obwohl es ja gdht, siehe OpenGL und die Khronos Group

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