Start Meinung Außergewöhnliches aus Austria (Fröhlich am Freitag)

Außergewöhnliches aus Austria (Fröhlich am Freitag)

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Auch Österreichs Games-Industrie blickt über den Tellerrand hinaus.
Auch Österreichs Games-Industrie blickt über den Tellerrand hinaus.

Österreichs Games-Industrie hat zeitweise in den Abgrund geblickt – jetzt backen die Studios wieder größere Schnitzel.

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

falls Sie sich je gefragt haben, was es mit den Hotelpreisen einer europäischen Metropole macht, wenn 35.000 Radiologen zwecks Kongress gleichzeitig einfallen, dann kann ich Ihnen aus aktuellem Anlass berichten: Die innerstädtischen Herbergen in Wien bringen den Gamescom-Faktor zur Anwendung und multiplizieren den Listenpreis mit 2 bis 3. Und schon stellen gewöhnliche Business-Butzen humorlose 5-Sterne-Konditionen in Rechnung. Angebot, Nachfrage. Selbst dem Rezeptionisten war der Aufschlag erkennbar unangenehm.

Doch spätestens in dem Moment, wenn man im Kaffeehaus heimlich nach der Bedeutung eines ‚Einspänners‘ googelt und der Kellner in Anzug und Fliege mit einem „Bittschön …“ an den Tisch tritt, dann kann man dem gastgebenden Gewerbe nimmer bös sein.

Lebensqualität könn’se, die Wiener. In dieser Disziplin macht ihnen so schnell niemand was vor: In Studien und Umfragen liegt die Hauptstadt regelmäßig auf vorderen Plätzen. Das spürt man als Tourist und Geschäftsreisender auf Schritt und Tritt – und es wird auf Nachfrage bestätigt von jenen, die hier tatsächlich leben und arbeiten und nicht im Verdacht stehen, die (Wahl-)Heimat schönzureden.

Denn von Berlinern, Kölnern oder Münchern höre ich meist das komplette Gegenteil, etwa über den ÖPNV. So gibt es in Wien seit langem ein 365-Euro-Ticket für den ÖPNV. Für konkurrenzlose 1 Euro pro Tag gelangt man schnell an jeden relevanten Ort der Stadt – die Fahrpläne von U- und S-Bahnen sind zudem absurd eng getaktet. Abseits grüner Oasen und gut ausgebauter Fahrradwege schnüren Taxis und Busse leise und abgasfrei durch die Gassen. Ohne es evaluiert zu haben, würde ich vermuten, dass der Antrieb der Fiaker mehr CO2 ausstößt als der Straßenverkehr.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil mich eine kleine Publisher- und Studio-Tour in dieser Woche mal wieder ins sonnige Wien geführt hat (mehr dazu in den kommenden Tagen). Messe- und Konferenz-Gespräche oder Zoom-Schalten sind gut und schön, aber erst bei solchen Vor-Ort-Besuchen lernt man erfahrungsgemäß wirklich etwas darüber, wie ein Unternehmen oder eine Region ‚tickt‘.

Just während eines laufenden Gesprächs lief eine Umfrage des deutschen Branchenverbands über den Ticker, wonach es für Deutschlands Spielehersteller verflixt anstrengend geworden ist, geeignete Fachkräfte außerhalb der EU zu rekrutieren. Erwartbar lag der Fokus auch diesmal auf den äußeren Umständen, die leider, leider verhindern würden, dass die Branche angemessen zügig zur Weltspitze aufschließt. Die Bürokratie, die langen Prozesse, die lahmen Behörden, nicht anerkannte Abschlüsse – und zu allem Überfluss „Gehaltsuntergrenzen“.

All das gibt es natürlich auch in Österreich und vermutlich überall sonst in der Welt – auch in die USA oder nach Neuseeland kann man ja bekanntlich nicht einfach so zu- und einwandern. Und gegen Politiker-Zuneigung und massive staatliche Subventionen wie in Deutschland würden sich natürlich auch österreichische Studios nicht wehren – aber man kommt mit den bestehenden Förder-Instrumenten auch so ganz gut zu recht. Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.

Wo in Deutschland großes Wehklagen einsetzt, dass angehende Programmierer überraschenderweise lieber dort unterschreiben, wo sie besser bezahlt werden als in der Computerspiele-Industrie, greifen in Österreich sogenannte Kollektivverträge. Arbeitnehmer sind durch diese branchenweit geltenden Vereinbarungen zudem beneidenswert gut abgesichert – etwa für den Fall, dass der Arbeitgeber gegen die Wand fährt.

Österreichs Hochschulabsolventen können ihr Hobby daher zum Beruf machen – ohne Gefahr zu laufen, dass die Bezahlung perspektivisch auf Hobby-Niveau bleibt. In Deutschland hingegen ballt die halbe Industrie die Fäuste in der Tasche, wenn es eine Firma – wenngleich aus durchschaubaren HR-PR-Gründen – wagt, die Gehaltsspannen offenzulegen.

Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt in der Games-Republik Österreich. Große Publisher wie Electronic Arts, Ubisoft, Microsoft oder Sony Interactive haben ihre Niederlassungen aufgegeben und betreuen den 9-Millionen-Einwohner-Markt von Deutschland oder England aus. GameStop Österreich hat vor einigen Wochen ‚Baba‘ gesagt, für immer. Und mindestens die spektakuläre JoWood-Pleite hat eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, deren Folgen bis heute nachwirken.

Denn es ist noch nicht allzu lange her, dass der Standort durch ein tiefes Tal der Tränen galoppiert ist. Aus den qualmenden Ruinen von JoWood (bis 2011) oder Rockstar Vienna (bis 2006) sind respektable Unternehmen hervorgegangen, allen voran THQ Nordic. Viele der damals leidenden Mitarbeiter sind heute Leitende Mitarbeiter bei neuen Spieleherstellern – und nicht wenigen von ihnen steckt immer noch in den Klamotten, was es bedeutet, wenn man in den Abgrund blickt und der vermeintlich sichere Traumjob zwischen den Fingern verrinnt.

Dass die österreichische Branche eine andere Betriebstemperatur und eine andere Taktung aufweist als der deutsche Markt, hat nach meinem Eindruck auch damit zu tun, dass erstens das Geschäftsmodell Free2Play und zweitens internationale Investoren eine Nebenrolle spielen. Den Schwerpunkt bilden Games für PC, Xbox, PlayStation und Switch.  Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied zum stets unter Dampf stehenden, extrem daten-und KPI-fokussierten Mobilegames-Gewerbe in Hamburg, Berlin oder Karlsruhe.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die österreichische Spiele-Industrie nach wie vor sehr überschaubar ist – gerade im Vergleich zum großen Nachbarn: In Summe gibt es zwischen Steiermark, Tirol und Salzburger Land kaum mehr Games-Entwickler als allein bei Ubisoft Düsseldorf.

Beschäftigt man sich indes näher mit der Branche, stellt man erstaunt fest, dass die Studios nicht nur schöne eigene Marken auf- und ausbauen, sondern als Dienstleister seit jeher eng mit den ersten Adressen zusammenarbeiten – mit Remedy, mit den Hitman-Machern von IO Interactive, mit Microsoft, mit Ubisoft, natürlich mit Embracer. Auch etliche deutsche Publisher stehen auf der Kundenliste.

Keine Frage, Österreichs Games-Branche hat sich gewandelt, ist selbstbewusster und internationaler geworden und hat das Provinzielle abgeschüttelt. Denn lange Zeit fand die Spiele-Entwicklung regelmäßig dort statt, wo andere Urlaub machen – etwa in Schladming (Anno) oder Ebensee (Industriegigant). Mittlerweile kristallisieren sich mit Wien, Innsbruck und Graz einige Hotspots heraus.

Das neue Selbstverständnis der Österreicher lässt sich im Übrigen auch daran ablesen, dass der größte Publisher des Landes – THQ Nordic – in dieser Woche einen eigenen Flagship Store in bester Wiener City-Lage eröffnet hat. Sowas leistet sich sonst nur Nintendo am Rockefeller Plaza.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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4 Kommentare

  1. Obwohl ich eigentlich seit knapp zwei Jahren täglich auf Games Wirtschaft vorbeischaue, finde ich den heutigen, freitäglichen, Meinungsbeitrag weniger gelungen. Grob gesagt ist er sogar sehr polemisch gegenüber Deutschland, ohne dabei Patriot zu sein, im Gegenzug wird das austro-deutsche Ausland glorifiziert. Bei näherer Betrachtung stimmen die vorgebrachten Argumente aber nicht mit der Realität überein.

    Ausgerechnet Wien, das selbst unter der eigenen Bevölkerung und im Umland als störend empfunden wird, soll ein Vorbeil gegenüber Deutschland sein.

    Mal abgesehen von der fragwürdig sympathischen Art der Einwohner, wird zum Beispiel das erwähnte 365 Euro Ticket kontrovers diskutiert. Investitionen fehlen, der ÖPNV hängt hinterher und die Kosten müssen quersubventioniert werden.

    Angeblich sollte aber dieses tolle Ticket wenigstens für klare Luft sorgen, doch scheinbar war dem nicht so.

    https://www.iqair.com/de/austria/vienna

    Aus diesen Argumenten wird nun die Theorie gestrickt, dass die deutsche Bevölkerung weniger patriotisch zum eigenen Land stehen würde und neidvoll zum Ausland blickt.

    Dies ist wohl eher in unzufriedenen Einzelfällen der Fall, wie es immer vorkommt, wenn überhaupt…

    Letztendlich bleibt nur noch der eigentlich Sinn der Kolumne, nämlich THQ Nordic. Nur weil sich ausgerechnet dort eine Niederlassung eines schwedischen Konzerns befindet, bedeutet das nicht, dass dort bessere Arbeitsverhältnisse herrschen…

    • Für meine Begriffe stimmt in der hälfte der Welt etwas grundlegend nicht. Ich bin weder sozialist noch halte ich Diktaturen für wünschenswert, dennoch bin ich der Meinung, dass der Kapitalismus seinen Zenit überschritten hat und wir uns langsam mal gedanken über eine neue Gesellschaftsform machen müssen. Deutschland hat genau so Probleme wie Österreich und der Rest von Europa und meistens lassen sich diese Probleme auf Geld bzw. die damit verbundene Gier von Politik und Wirtschaft zurückführen.

      Um es klar zu formulieren, Deutschland ist genauso beschissen wie der Rest der EU! Unsere Politik ist korrupt, der normale Durchschnittsbürger ist eine Kuh die von allen Seiten gemolken wird und unser ÖPNV ist der letzte Rotz!

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