Start Meinung Hipster Ground Zero (Fröhlich am Freitag)

Hipster Ground Zero (Fröhlich am Freitag)

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Game-Sommerfest am 31. Mai 2022 in Berlin (Foto: GamesWirtschaft)
Game-Sommerfest am 31. Mai 2022 in Berlin (Foto: GamesWirtschaft)

Deutschlands Games-Industrie hat in nur zehn Jahren ihre Nerdigkeit abgelegt – und ist dadurch anschlussfähig geworden für den Berliner Politik-Betrieb.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

„Die Branche ist auch nicht mehr das, was sie mal war.“

Dieser Satz, ein dahingeseufzter Mix aus Ver- und Bewunderung, fiel kurz vor Mitternacht beim Sommerfest des Industrieverbands Game, das am Dienstagabend in Berlin unweit des Kanzleramts über die Bühne ging. Ausgesprochen hatte ihn ein anwesender Bekannter, der selbst einmal Teil der Branche war, das Gewerbe aber mittlerweile von außen mit der nötigen Distanz verfolgt – also mit Blick auf Betriebsblindheit als unverdächtig gilt.

Beispiel: Früher wäre eine größere Verbands-Veranstaltung ohne Nintendo, Sony und Microsoft undenkbar gewesen. Anders 2022: Ausgerechnet bei der first party nach einsamen Lockdown-Monaten glänzten die drei First Partys durch physische Abwesenheit. Mit der ‚alten‘ Games-Branche, wo die Marketing- und Vertriebs-Silberrücken großer Publisher regelmäßig mit Einkäufern und Großhändlern bei Gesottenem und Hochprozentigem Hof hielten, hat die Games-Industrie des Jahres 2022 erst recht so gut wie gar nix mehr zu tun.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Nicht zuletzt die anhaltende Konsolidierung samt Compliance internationaler Groß-Konzerne hat dazu beigetragen, dass sich der Rock’n Roll inzwischen weitgehend komplett aus der deutschen Games-Industrie verabschiedet hat. Heute haben wir es mit einer gereiften Branche zu tun, die sicherheitshalber North-Face-Übergangsjacken an der Garderobe hinterlegt („Falls es später kühl wird“), Tofu-Spießchen vom ‚vegetarischen BBQ‘ fischt und veganes, laktose- und glutenbefreites Bio-Gurken-Zitronen-Eis lutscht.

„Hipster Ground Zero“, wie ein anderer Bekannter diese Gemengelage zu beschreiben pflegt. Dit is Berlin.

Die Branche inhaliert den Zeitgeist erkennbar in vollen Zügen – auch deshalb, weil sie es sich leisten kann: Obstkörbchen statt Kitkat. Da werden Gamescom-Wäldchen aufgeforstet und CO2-Zertifikate zertifiziert – und pünktlich zum Pride Month lackiert die Social-Media-Abteilung die Instagram-Logos von Blau-Gelb auf Regenbogenfarben um.

Allüberall lässt sich das Bestreben besichtigen, die richtige Tonalität zu treffen. Bisheriger Höhepunkt aus der Wir-sind-die-Guten-Abteilung: das „Diversity Space Tool“, eine Anti-Klischee-Software, mit der die Game-Designer von Activision Blizzard ihre Spielfiguren dahingehend abklopfen, ob Kulturen, Ethnien, Altersgruppen, Geschlechter, Hautfarben, Körperformen und Abweichungen vom ‚Schönheitsideal‘ hinreichend gleichmäßig abgebildet sind.

Ein fehlendes Auge? Macht vier Punkte. Ägypter? Eine klare 7 von 10. Heterosexuelle Neigungen? Null Punkte. Also ungefähr so, wie die Oscars in der Kategorie „Bester Film“ ermittelt werden.

Was die Branche in all ihrer Nerdigkeit und Klischeehaftigkeit mal ‚war‘, ließ sich am Dienstag jedenfalls nur noch in Ansätzen erahnen – und liefert auch eine Erklärung, warum Politiker zunehmend die Nähe zur Spiele-Industrie suchen. Und nicht mehr das Weite, wie vor gerade mal zehn Jahren. Damals, im Frühjahr 2012, schämte sich CDU-Kulturstaatsminister Bernd Neumann als Gastgeber des amtlichen Deutschen Computerspielpreises öffentlich dafür, dass Crysis 2 als „bestes deutsches Spiel“ gekürt wurde. Ein Ego-Shooter aus Frankfurt, frei ab 18 – unerhört, sowas.

Weite Teile der CDU-/CSU-Fraktion waren ebenfalls mit der Gesamtsituation unzufrieden. Der medienpolitische Unions-Sprecher Wolfgang Börnsen schäumte: „Sogenannte Killerspiele dürfen nicht honoriert werden, auch wenn sie technisch noch so ausgereift sind.“ Börnsen signalisierte namens seiner Partei, man stünde einer Neubesetzung der Jury offen gegenüber.

Teil dieser Jury war auch Thomas Jarzombek, damals wie heute CDU-Bundestagsabgeordneter, der Crysis 2 nach Kräften verteidigte und auch beim diesjährigen Game-Sommerfest zu vorgerückter Stunde gesichtet wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Habecks Staatssekretär Michael Kellner samt Entourage schon das Gelände verlassen, mutmaßlich immer noch beseelt von einer Runde Dorfromantik und Nintendo Sports. Kellner – das steht spätestens seit Anfang Februar fest – hat Dorothee Bär als neuen Top-Alliierten der bundesdeutschen Videospiele-Lobby abgelöst. Nicht nur deshalb, weil der Grünen-Politiker gerne privat zum Gamepad greift, sondern auch ein kleines bisschen deshalb, weil es sein Ministerium ist, das in den kommenden Jahren mehrere hundert Millionen € an deutsche Studios überweisen wird.

Am 24. August kommt zudem Kellners Chef nach Köln-Deutz, um die Gamescom 2022 freizuschalten: Robert Habeck, derzeit auf dem ZDF-Politbarometer-Beliebtheits-Allzeit-Zenit, ist der zweite Wirtschaftsminister und Vizekanzler auf der Gamescom nach 2013, wo sein FDP-Vorvorvorgänger Philip Rösler übers Gelände flanierte (die Älteren erinnern sich).

Wenn das offizielle Messemotto auch noch „Gamescom goes Green“ lautet, schreibt sich das Redemanuskript fast von selbst.

Fresh, divers, inklusiv, vegan, alkoholreduziert, digital, aber trotzdem irgendwie klimaneutral: Sollte es noch eines Beleges bedurft haben, dass Deutschlands Games-Industrie auch nicht mehr das ist, was sie mal war, dann musste man nur mit offenen Augen übers Game-Sommerfest streifen.

Und ehrlich: Das ist schon ganz gut so.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. Naja, auf der einen Seite mag das gut klingen wenn sich reihenweise Politiker die Klinke in die Hand drücken um mal etwas von den „jungen kreativen“ auf sich abfärben zu lassen, doch am anderen Ende steuert die Industrie auf immer mehr scheinbar unlösbare Probleme zu. Angefangen von „alten weißen herren“ in Führungs- und Entwicklungspositionen, die das ja „schon immer“ so gemacht haben bis hin zur radikalen Durchkapitalisierung einer früher mal kreativen und innovativen Branche. Was simplicissimus schon über Lootboxen sagte trifft auch auf immer mehr Produktionen zu: „es wird sich erst überlegt wie man Geld verdienen kann und daraus dann ein Spiel gemacht“.

    Auch wenn es noch so viel Akzeptanz und Fördermittel gibt, früher hatte die Branche noch viel mehr Schneit wenn es um ihre Produkte ging. Da wurden hop-oder-top einfach mal Konzepte am freien markt getestet, Day-1-Patches waren nahezu undenkbar und man scherte sich auch nicht so sehr darum eine möglichst breite Masse an Konsumenten zu erreichen. Ich hoffe, dass sich ein Trend abzeichnen wird, bei dem so Spiele wie Dorfromantik, kreativ, verspielt und etwas gewagt, nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel werden. Wir brauchen auch wieder mehr Diversität hinter den Pixeln anstatt nur davor!

  2. War es nicht “the Surge(2017)“,das für den DCP abgelehnt wurde,2017 ist jetzt nicht so lange her?

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