Start Meinung Erwartungs-Management: Sind wir bald da-ha? (Fröhlich am Freitag)

Erwartungs-Management: Sind wir bald da-ha? (Fröhlich am Freitag)

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Hohe Erwartungen: So soll das PS5-Spiel Horizon 2: Forbidden West aussehen, wenn es irgendwann 2021 (2022?) erscheint - Abbildung: Sony Interactive
Hohe Erwartungen: So soll das PS5-Spiel Horizon 2: Forbidden West aussehen, wenn es irgendwann 2021 (2022?) erscheint - Abbildung: Sony Interactive

Wie ehrlich dürfen oder sollten Spiele-Entwickler gegenüber Kunden sein? Kluges Erwartungs-Management gleicht einem Ritt auf der Rasierklinge.

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

in diesen Tagen ist viel vom suboptimalen „Erwartungs-Management“ die Rede. Klingbeil, Spahn, Habeck, Söder – sie alle verwenden die Vokabel und meinen damit: Die Impfstoff-Beschaffung und -Verteilung sei verhühnert worden oder zumindest nicht ideal gelaufen.

Schließlich lautete die gefühlte Verheißung: Jetzt nochmal ein paar Wochen die Lockdown-Po-Backen zusammenkneifen, dann kommt der Pieks und wir haben (fast) wieder 2019. Die Impfstoff-Versprechen ist somit die Erwachsenen-Version von „Wenn ihr beim Besuch von Oma Hedwig alle schön brav seid, dann kauft euch der Papa später noch ein Eis.“

Das ganze Leben besteht aus derlei Erwartungs-Management: Einschulung, Weihnachtsfeiern, Kindergeburtstage, Hochzeiten, Wohnungsbesichtigungen, Pauschalreisen. In allen Fällen geht es für Veranstalter darum, einen klugen Mittelweg zu finden, um einerseits die Vorfreude am Köcheln zu halten, gleichzeitig aber auch keine unerfüllbaren Hoffnungen zu schüren.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

In diesem Zwiespalt befindet sich seit jeher auch die Games-Industrie. Gretchenfrage: Wie gut dürfen (müssen) Werbe-Trailer und Vorab-Screenshots aussehen, um erstens die Vision des Teams zu transportieren, zweitens die Vorbestellungen zu maximieren und drittens der Zielgruppe ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern – aber gleichzeitig zu vermeiden, dass eine Unterwältigung eintritt?

Ein „Zu viel“ ist genauso schädlich wie ein „Zu wenig“ – frag nach bei Microsoft, wo die Reaktionen auf die Vorstellung des wichtigsten Xbox-Series-X-Launch-Titels Halo Infinite nicht gut ausfielen, vorsichtig formuliert. Dem Entwicklerteam wurde Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben – das Spiel soll jetzt irgendwann 2021 auf den Markt kommen soll.

In die Abteilung „Enttäuschung durch Unterlassung“ fällt der Fall Cyberpunk 2077: CD Projekt Red hatte jahrelang ausschließlich die durchoptimierte PC-Version vorgeführt. Die Ernüchterung folgte erst am Tag des Verkaufsstarts: Die PlayStation-4- und Xbox-One-Versionen konnten mit der kolportierten Bildqualität nicht mithalten, was für Kunden-Frust, schlimme Reputations-Minuspunkte und Milliarden an vernichtetem Börsenwert sorgte. Seit bald zwei Monaten ist das ansonsten ziemlich großartige Spiel nicht mehr im PlayStation Store gelistet.

Die Liste versemmelter Kunden-Hoffnungen ist lang – kaum ein Publisher, der nicht schon bei Twitter trendete, weil zwischen selbstformuliertem Anspruch und Realität eine XXL-Lücke klafft. Und sei es nur deshalb, weil zum Verkaufsstart die Server abrauchen. Oder weil „the biggest console launch in history“ trotzdem dazu führt, dass die PlayStation 5 seit Anfang Dezember europaweit nicht zu bekommen ist.

Klar ist: Je größer der Name, desto kniffliger das Erwartungs-Management. An ein Battlefield 6, an ein Foo-Fighters-Album oder an einen neuen Christopher-Nolan-Streifen werden zwangsläufig höhere Erwartungen geknüpft als an Werke von Indie-Studios und Newcomern.

Wenn sich Spielehersteller aber auf eins verlassen können, dann auf die enorme Leidensfähigkeit der Zielgruppe. Stoisch wird hingenommen, wenn sich das Produkt ein ums andere Mal verschiebt oder analog zu Bananen erst beim Kunden reift. „Spiel XY hatte beim Start ja auch Bugs“, liest man dann oft. Also eine Es-hätt-noch-immer-jot-jejange-Geisteshaltung, die man in wenig anderen Branchen findet. Was auch daran liegt, dass sich Games zur Not fixen, updaten, patchen lassen. Immer und immer wieder.

Vielleicht sollten noch viel, viel, viel mehr und vor allem große Spiele einen öffentlichen Early-Access-Prozess durchlaufen, um das Erwartungs-Management aller Beteiligten auf ein realistisches, tatsächlich erreichbares Maß einzupegeln. Aufrichtiges und vor allem rechtzeitiges Feedback hat noch keinem Produkt geschadet.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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