Abo-Flatrates wie PlayStation Now haben das Potenzial, den Spielemarkt auf links zu drehen – was am Preis liegt, aber nicht nur.
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
im letzten Jahrtausend, als es noch Plattenläden und Elektronikmärkte mit ganzen Stockwerken voller Musik-CDs gab, befand sich inmitten des Ladens oft eine lange Theke mit Kopfhörern. Man wartete geduldig, bis man vom Angestellten dazu aufgefordert wurde und überreichte ihm die gewünschte Ware, die man zuvor sorgfältig aus den Regalen gefischt hatte. Der Fachverkäufer musterte Cover und Kunde mit kundigem, zuweilen abschätzigem Blick, nahm den Tonträger aus der Hülle und legte ihn in das Abspielgerät ein. Anschließend stülpte man einen der Kopfhörer über die Ohren und überzeugte sich davon, dass Single, Maxi oder Album den eigenen musikalischen Ansprüchen genügten.
Nichts wäre ärgerlicher gewesen, als erst zu Hause festzustellen, eine kostspielige Fehlentscheidung getroffen zu haben.
Fiel der Testlauf zur Zufriedenheit aus, trug man Kassette, CD oder Schallplatte heimwärts, wo sie fortan in Endlosschleife aus Walkmans oder Stereoanlagen quoll. Stundenlang. Tagelang. Wochenlang. An dieser Herangehensweise sollte sich selbst dann nichts ändern, als Apple die Alben filetierte und in 99-Cent-Portiönchen via iTunes verkaufte – und damit angeblich den Nieder-, wenn nicht den Weltuntergang der Musik-Industrie einläutete. Mindestens.
Doch erst durch Flatrates wie Amazon Music und Spotify änderten sich die Spielregeln. Mit dem Ergebnis, dass die Idee des Einzelkaufs oder des „Ausleihens“ auf dem kommerziellen Musik-Markt kaum noch vermittelbar ist und als Auslaufmodell gilt. Gleiches trifft auf Blu-Ray- und Download-Filme und -TV-Serien zu – und demnächst für Games.
Jüngstes Indiz: In dieser Woche hat Sony nicht nur den Preis für den Streaming-Abo-Dienst PlayStation Now um ein Drittel gesenkt, sondern zur ohnehin vorhandenen Wagenladung an Games auch noch Blockbuster wie „Uncharted 4“, „God of War“ und „GTA 5“ draufgepackt, die zwar schon in Ehren ergraut sind, aber bei Einzelkauf nach wie vor kaum unter 20 Euro zu haben wären. Allein damit würden sich die jährlich 60 Euro für PlayStation Now schon rechnen.
Natürlich ist dieser SSV (Sony-Schlussverkauf) kein Akt der Nächstenliebe, sondern eine Reaktion auf die umtriebigen Mitbewerber, die immer größere Flatrate-Pakete zu immer kleineren Preisen schnüren: Apple, Google, Microsoft. Wer wie Ubisoft oder Electronic Arts über einen hinreichend großen Spielekatalog verfügt, kann sogar eigene Abo-Dienste auflegen.
Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Entwicklung liegen nahe: Dem Kunden wird konsequent das Gefühl für den „Wert“ eines konkreten Spiels abtrainiert. Wer wird jemals wieder 60 Euro in ein Konsolenspiel oder 5 Euro in eine Premium-App investieren, wenn selbst Top-Neuheiten in der monatlichen 5-, 10- oder 15-Euro-Flatrate inklusive sind?
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Das Momentum des Flatrate-Tsunamis ist gewaltig. Dabei ist das aberwitzige Preisleistungsverhältnis nur ein Neben-Aspekt, warum diese Pakete mit großer Wahrscheinlichkeit die Spielebranche auf links drehen und sich zum führenden Geschäftsmodell abseits von Free2play entwickeln dürften.
Denn wenn der Verbraucher eines hasst, dann das: Entscheidungen treffen zu müssen – die sich schlimmstenfalls als Fehlentscheidung entpuppen. Unterjährig sind die meisten Menschen dankbar für jede Stunde Bedenkzeit, für jede Nacht des Nochmal-drüber-Schlafen-Könnens, für jede Probefahrt, für jedes weitere Vergleichs-Angebot, mit denen sich Entscheidungen hinauszögern lassen. Wer den Kellner im Restaurant danach fragt, was er ihm denn heute Schönes empfehlen könne, macht es sich buchstäblich einfach, weil dadurch die Verantwortung für etwaige Konsequenzen an die Servicekraft delegiert wird.
Und deshalb gieren wir nach Angeboten, die uns alle Optionen offen halten. Gemäß dem Motto: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.“
Dieses Grundprinzip hat schon ganz andere Branchen durchgekärchert, etwa den Tourismus. Kreuzfahrten und Freizeitparks boomen ja auch deshalb, weil wir uns damit zum Pauschaltarif den Zugriff auf einen Markt der Möglichkeiten erschließen. Sie werden kaum eine Metropole finden, die ihren Touristen nicht eine offizielle So-und-so-Card bestehend aus ÖPNV-Ticket, Stadtrundfahrt und einem Rudel Sehenswürdigkeiten-Rabatten anbietet – egal ob New York, Barcelona oder Münster.
Alles kann, nichts muss.
Deshalb bin ich mir sehr sicher, dass das, was Spotify, Netflix und Amazon Prime Video im Musik- und Filmbereich praktizieren, auch der Games-Industrie bevor steht. PlayStation Now, Uplay+, Google Play Pass, Xbox Game Pass, EA Access und Apple Arcade sind das All-you-can-eat-Buffet, an dem wir uns den Spiele-Teller randvoll laden.
Sowohl stationäre als auch digitale Einzelhändler wie Steam oder GOG werden das schmerzlich zu spüren bekommen.
Eine solche mediale Völlerei kann man natürlich kritisieren. Doch wer dieser Entwicklung als Spiele-Studio, Publisher oder Kunde bewusst entsagt, braucht schon außergewöhnlich gute Argumente und noch außergewöhnlichere Produkte, um weiterhin 30-, 40-, 50-Euro-Tickets zu rechtfertigen. Ich glaube: Das wird auf Dauer allenfalls noch jenen Anbietern gelingen, die wie im Falle von Nintendo ein eigenes Ökosystem betreiben.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
Alle Folgen unserer Kolumnen-Reihe finden Sie in der Rubrik „Meinung“