Zu viel, zu oft, zu lange: Suchtforscher warnen vor den Risiken und Nebenwirkungen übermäßigen Spiele-Konsums. Warum die Games-Industrie spätestens jetzt handeln muss.

Fröhlich am Freitag 10/2019: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion

Sehr verehrte GamesWirtschaft-Leser,

in der abgelaufenen Woche hat eine von der Krankenkasse DAK finanzierte Studie ungewöhnlich großen Widerhall in der deutschen Medienlandschaft gefunden – bei Radio- und Fernsehsendern, bei überregionalen und regionalen Zeitungen und auf Online-Portalen, von der Süddeutschen bis zur ZEIT. Selbst die Tagesschau widmete dem Thema einen mehrminütigen Beitrag.

Überschrift der Studie: „Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird.“

Seitdem weiß die ganze Republik relativ präzise, wie viele jugendliche „Risiko-Gamer“ (so heißt das wirklich) unter uns weilen: 465.000. Ungefähr jedem sechsten jungen Menschen zwischen 12 und 17 Jahren attestiert das Deutsche Zentrum für Suchtfragen an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf eine „riskante“ oder gar „pathologische“ Nutzung von „Fortnite“, „Minecraft“, „Clash Royale“ und „FIFA“.

Diagnose: zu viel, zu oft, zu lange.

Mögliche Risiken und Nebenwirkungen: Die schulische Leistungskurve tendiert in südliche Richtung, Konzentration und Aufmerksamkeit schwinden, anderweitige Sport- und Freizeit-Aktivitäten leiden. Und wehe, überforderte, verzweifelte, mindestens aber genervte Eltern drohen mit kaltem Konsolen-Entzug – dann beben die Wände der Kinderzimmer.

Selbst wenn man statistische Unschärfe abzieht: Die Botschaft der Studie ist alarmierend.

Die Wissenschaftler, die seit Jahren an diesem Thema arbeiten, führen die Ergebnisse auf Mechanismen zurück, die inzwischen in ungefähr jeder neuzeitlichen Spiele-App verbaut sind. Vermeintlich kostenloser Zugang, kein Spiel-‚Ende‘, ständig neue Reize durch Updates, Gruppendruck durch Clans und Teams, Ränge und Ranglisten, Gratis-Belohnungen für täglichen Login. All das plus die – selbstverständlich komplett optionalen – virtuellen Wundertüten („Lootboxen“) sind demnach geeignet, das Suchtverhalten zu fördern, allen voran bei Minderjährigen.

Spiele-Apps sind immer und überall verfügbar, zur Not beim Kumpel, auf dem Schulweg. Der damit einhergehende Kontrollverlust durch Erziehungsberechtigte ist ein wesentlicher ‚Game-Changer‘ gegenüber all dem, was Kinder und Jugendliche in den vergangenen Jahrzehnten vorgeblich verdorben hat – Plattenspieler, Comics, Fernseher, Video-Recorder, C64, Rock-Musik.

Dabei geht es nicht um Komplettverbote, so weit gehen weder Krankenkasse noch Suchtforscher. Die wenigsten würden Süßigkeiten verbieten wollen. Wohl aber fordern die Experten zum Beispiel einen Verzicht auf Lootboxen – also eine Reduktion von Zucker, künstlichen Aromen und anderen digitalen Geschmacksverstärkern. Weniger Candy, weniger Crush.

Der Haken: Die Kooperationsbereitschaft der Spiele-Industrie in solchen Fragen geht traditionell gegen Null. Als es die Weltgesundheitsorganisation vor ziemlich genau einem Jahr wagte, die „Gaming Disorder“ analog zur Glücksspielsucht als therapierbare Krankheit anzuerkennen, beklagte unter anderem der deutsche Branchenverband fehlende ‚Beweise‘ in Form einer belastbaren Studie.

Jetzt läge eine solche vor – ein guter Zeitpunkt, um die Phase der Lobby-Nebelkerzen zu überwinden.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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