Das große Interview nach der Fusion der beiden Branchenverbände: Die frischgewählten Game-Vorstände Linda Kruse und Ralf Wirsing plus Geschäftsführer Felix Falk über die Ziele und Arbeitsweise des Game-Verband.
[no_toc]Am Ende eines eng getakteten Tages mit Abstimmungen, Notarterminen und Vorstandswahlen feierte der frisch fusionierte „Game – Verband der deutschen Games-Branche e. V.“ sich selbst und die deutsche Videospiel-Branche mit einer launigen Party am Berliner Alexanderplatz, inklusive gemeinschaftlichem Anschnitt einer romantischen „Hochzeitstorte“.
So gesehen haben nun die Flitterwochen begonnen. Das junge Verbands-Glück ist noch ganz frisch, die guten Vorsätze intakt, der Tatendrang enorm – optimale Voraussetzungen für einen Ausblick auf die erste Saison: Was hat sich der Verband vorgenommen, wie sieht die Arbeitsteilung aus, wie sollen die Mitglieder konkret eingebunden werden?
Die Teilnehmer des GamesWirtschaft-Gesprächs:
Ralf Wirsing
Vorstandsvorsitzender des Game-Verband und gleichzeitig Geschäftsführer der Deutschland-Niederlassung von Ubisoft in Düsseldorf
Linda Kruse
Bislang Vorstands-Mitglied beim GAME Bundesverband, jetzt im Vorstand des Game-Verband und gleichzeitig Gründerin des Kölner Studios The Good Evil
Felix Falk
Seit Januar 2017 Geschäftsführer des Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. (BIU), seit dieser Woche Geschäftsführer des Game-Verband
Darüber hinaus im fünfköpfigen Game-Vorstand vertreten: Jens Kosche (Electronic Arts) Stefan Marcinek (Assemble Entertainment) und Lars Janssen (Travian Games).
Game-Vorstands-Chef Ralf Wirsing: „Die Weiterentwicklung der Gamescom steht ganz oben auf der Agenda.“
GamesWirtschaft: Die Branche selbst hat ja ausgesprochen euphorisch auf die Fusion reagiert. Wie fiel denn die Resonanz von Seiten der Politik oder von anderen Branchen aus?
Falk: Die Resonanz ist sehr gut. Seit dem Zusammenschluss gab es sehr viele Mails aus dem In- und Ausland – auch europäische und internationale Games-Verbände beglückwünschen uns zu diesem zukunftsweisenden Schritt. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat sogar eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Sowohl die Politik als auch andere Verbände sehen das große Potential eines gemeinsamen starken Verbandes, mit dem wir zusammen an einem Strang ziehen und uns noch besser für die Stärkung des Standorts einsetzen können.
Was genau habt ihr für euch vorgenommen? Wo wollt ihr in den kommenden Monaten Schwerpunkte setzen?
Wirsing: Zunächst muss nach dem freudigen Zusammenschluss einiges neu organisiert werden, etwa die internen Arbeitsgruppen. Wir haben uns natürlich auch schon Themen vorgenommen, die besonders wichtig sind, etwa die Games-Förderung. Hier wollen wir schnell das Gespräch mit der Politik vertiefen.
Auch die Weiterentwicklung der Gamescom steht bei uns ganz oben auf der Agenda. Aber das sind nur zwei Themen. Mit unserer Geschäftsstelle, den Arbeitsgruppen, einem größeren Vorstand und einer sehr differenzierten Expertise haben wir jetzt eine sehr gute Basis, um wirklich alle Themen und Herausforderungen auch gut angehen zu können.
Kruse: Förderung ist sicherlich das Thema, was als nächstes ansteht und was wir schnellstmöglich angehen. Durch die gewachsene Anzahl und Vielfalt an Mitgliedern werden wir uns sehr bemühen, wirklich viele an einen Tisch zu kriegen und die Interessen aller abzufragen, um damit die aktuellen Schwerpunkte noch einmal überprüfen zu können.
Welche Arbeitsgruppen werden eingesetzt?
Falk: Die Themenvielfalt ist riesig: Entwicklungsförderung, Hochschulen, Fachkräfte, Jugendschutz, Breitbandausbau, Gamescom, eSport, Indies. Aber auch Themen wie Marktforschung oder Mitglieder-Services sind wichtig, auch wenn es hier eher um interne Prozesse geht. Für einige dieser Themen gibt es Arbeitsgruppen.
Wirsing: Ergänzend gibt es natürlich auch Themen wie Serious Games oder Virtual Reality, also Zukunftsthemen wie bestimmte Technologien, die uns am Herzen liegen. Mit der größeren Vielfalt an Mitgliedern können wir jetzt alle Themen der Games-Branche abdecken. Unser Anspruch ist es zu allen Fragen unserer Branche und unseres Mediums einen abgestimmten Standpunkt abgeben zu können.
Game-Vorstand Linda Kruse: „Die Meinungsbildung findet zum größten Teil in den Arbeitsgruppen statt.“
In der Vergangenheit war der Vorstand in der Außenwahrnehmung nicht überpräsent. Wird sich das durch die neue Konstellation und den erweiterten Vorstand ändern?
Kruse: Im Gegensatz zum Vorstand ist der Geschäftsführer nicht ehrenamtlich, sondern komplett nur für den Verband tätig. Deshalb ist es auch richtig, dass Felix den Verband stärker repräsentiert und im Tagesgeschäft nach vorne bringt. Für die vielen Aufgaben ist zudem der Standort Berlin mit der Nähe zum Regierungsviertel Voraussetzung. Natürlich stimmen wir die großen Themen und Projekte gemeinsam eng ab. Wir haben beispielsweise gleich am Montag nach der Wahl Themenverantwortlichkeiten für die Vorstandsmitglieder festgelegt.
Wirsing: Das soll aber nicht heißen, dass wir jetzt unsere Scheuklappen aufsetzen und nur noch unser eigenes Süppchen kochen. Alle sind natürlich im Boot und über zentrale Dinge informiert. Aber es gibt eben entsprechende Arbeitsschwerpunkte, die dann jeder der Vorstände aktiver verfolgen kann.
Wir haben uns sehr bewusst für einen größeren Vorstand entschieden, um die Last der Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen zu können, aber auch, um die individuelle Expertise einfließen zu lassen. Jeder hat einen gewissen Erfahrungsschatz aus seinen täglichen Arbeitsbereichen und das soll aktiv in die Verbandsarbeit einfließen.
Wie ist denn diese Verbandsarbeit konkret organisiert?
Falk: Wir haben schon zum Start fast 200 Unternehmen und Institutionen als Mitglieder. Seit dem Zusammenschluss haben uns zudem viele neue Mitgliedsanträge erreicht. Der Game wächst also stetig. Derzeit haben wir über 50 ordentliche, über 50 Basis- und noch viel mehr außerordentliche Mitglieder. Die Hauptarbeit wird in der Geschäftsstelle, dem Vorstand, den Arbeitsgruppen und der Mitgliederversammlung gemacht.
Der Verein hat bislang zwar viele Mitglieder, aber der überwiegende Teil – rund zwei Drittel – darf nicht mitbestimmen, wie sich zum Beispiel der Vorstand zusammensetzt, ist also bei den wirklich relevanten Weichenstellungen außen vor. Wie ist sichergestellt, dass die Interessen kleiner Studios, aber auch der Ausbilder hinreichend vertreten sind?
Kruse: Es gibt einmal Delegierte der Basismitglieder, die deren Blickwinkel in die Mitgliederversammlung einbringen und die natürlich auch eine Stimme haben. Das war uns ein sehr großes Anliegen, damit auch die kleinen Studios in der Mitgliederversammlung Gehör finden.
Daneben gibt es noch eine Gruppe von Studios wie Mimimi Productions, Z-Software, Flying Sheep Studios oder auch wir mit The Good Evil, die ebenfalls zu den ordentlichen Mitgliedern zählen. So bringen eben nicht nur die „Großen“ ihre Themen ein, sondern auch die Kleineren. Die Meinungsbildung findet zum größten Teil eh in den Arbeitsgruppen statt. Hier können und sollen sich alle beteiligen.
Falk: Ein großer Verband mit so vielen Mitgliedern muss eine Struktur finden, in der er seine Schlagkraft erhält. Es war uns zum Beispiel wichtig, dass wir das sehr demokratische Prinzip „One Member One Vote“ in der Mitgliederversammlung umsetzen konnten. Vereinsrechtlich muss diese zwei Mal im Jahr stattfinden.
Die tatsächliche Arbeit könnte aber gar nicht so lange warten, bis die Entscheidungen in den Versammlungen getroffen werden. Dafür haben wir eine zu hohe Taktfrequenz. Der Vorstand und die Arbeitsgruppen treiben die einzelnen Themen voran. Dadurch liegt die Entscheidungsfindung bei allen Mitgliedern, die sich engagieren wollen.
Wirsing: Die Arbeitsgruppen können alle Wünsche und offenen Themen einfangen und diese entsprechend aufbereiten. Dadurch stellen wir auch sicher, dass alle Wünsche, die möglicherweise noch nicht auf dem Radar sind, trotzdem Gehör finden. Diese können in den Arbeitsgruppen dann weiterbearbeitet und von der Geschäftsstelle vorangetrieben werden.
Durch unsere gut aufgestellte Geschäftsstelle können wir wirklich zeitnah agieren. Unsere Branche ist so dermaßen schnell: Was heute noch erfolgreich ist, kann morgen schon kalter Kaffee sein. Dementsprechend brauchen wir als Verband auch eine höhere Taktzahl – und die erreichen wir durch das Zusammenspiel von Arbeitsgruppen und Geschäftsstelle.
Game-Geschäftsführer Felix Falk: „Wir schauen natürlich alle sehr gespannt auf die Koalitionsverhandlungen.“
Dem neuen Verband gehören die meisten Publisher und Studios bereits an, einige namhafte fehlen hingegen. Wie wollt ihr Flaregames, Daedalic, Sandbox, Handy-Games, Bigpoint oder Goodgame Studios von einer Mitgliedschaft überzeugen?
Wirsing: Ich finde es völlig legitim, dass der eine oder andere sagt: ‚Ich möchte mir das erstmal in Ruhe anschauen‘. Manche Teams müssen sich derzeit stärker auf ihr Geschäft konzentrieren und haben weniger Zeit für die Verbandsarbeit. Das muss man einfach berücksichtigen. Aber ich glaube, wir werden mit Leistung und Ergebnissen überzeugen.
Kruse: Und der Zusammenschluss wurde auch so schnell vollzogen, dass manche gar nicht so schnell mitgekommen sind…(lacht)
Wenn es einen großen Verband gibt, dann ist ja nicht zu erwarten, dass öffentlicher Widerspruch zu den Verbandspositionen kommt…
Kruse: Ich glaube, hierfür gibt es auch keinen Anlass. Alleine das positive Echo im Vorfeld und nach dem Zusammenschluss zeigt ja, dass viele in der Games-Branche und darüber hinaus diesen überfälligen Schritt gewollt und uns das Vertrauen geschenkt haben.
Falk: Um es klar zu sagen: Wir sind eine sehr vielfältige Branche mit unterschiedlichen Unternehmen, deren Interessen und Bedürfnisse sich hier und da auch unterscheiden. Das Wichtige ist aber, dass der Austausch und die Willensbildung innerhalb des Verbandes geschehen. Wenn man dann bei schwierigen Themen einen Konsens erreicht, können wir dennoch mit einer Stimme nach außen sprechen und die Interessen der Branche gut vertreten.
In eurer Selbstbeschreibung heißt es: „Unsere Mission ist es, Deutschland zum führenden Standort für die Spiele-Entwicklung zu machen.“ Jetzt ist es so, dass viele der umsatzstärksten Mitglieder überhaupt keine Spiele in Deutschland entwickeln. Wie passt das zusammen?
Wirsing: Die Frage ist ja: Haben alle großen internationalen Publisher das Interesse, in Deutschland etwas aufzubauen? Die Antworten hierzu variieren und werden durch die Rahmenbedingungen vor Ort bestimmt. Drehen wir mal das Rad der Zeit 20 Jahre zurück, da gab es in Montreal, Kanada, auch kaum Spiele-Entwickler.
Dort wurde ein Hotspot mit großer internationaler Anziehungskraft geschaffen – und peu à peu siedelten sich große internationale Firmen an und haben hierbei ein Ökosystem geschaffen, von dem auch viele unabhängige Entwickler heute profitieren. Denn außer der Förderung braucht ein erfolgreicher Standort auch die entsprechende Infrastruktur und einen Pool an gut ausgebildeten Fachkräften. Wieso soll sowas nicht auch hier möglich sein?
Kruse: Bei uns und anderen Unternehmen, die noch nicht so groß sind, ist die Personalsuche sehr schwierig. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Studio 100 oder 200 Leute braucht, dann haben die noch deutlich größere Probleme. Gut ausgebildete Fachkräfte sind ein wichtiger Faktor, damit sich ein Unternehmen in Deutschland ansiedelt.
Abschließend: Was ist der nächste größere Meilenstein, auf den ihr zuarbeitet?
Falk: Wir schauen natürlich alle sehr gespannt auf die Koalitionsverhandlungen und arbeiten seit vielen Monaten hart daran, dass die Games-Branche immer mehr Berücksichtigung findet. Wir müssen das riesige Potenzial, das es bei der Spiele-Entwicklung in Deutschland zweifelsfrei gibt, endlich nutzen. Dafür werden wir weiter kämpfen!
Vielen Dank für das Gespräch.