Start Politik Studie: 330.000 Kinder mit ‚krankhafter‘ Gaming-Nutzung

Studie: 330.000 Kinder mit ‚krankhafter‘ Gaming-Nutzung

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DAK und Forscher warnen vor Mediensucht unter Kinder und Jugendlichen (Foto: DAK-Gesundheit / iStock)
DAK und Forscher warnen vor Mediensucht unter Kinder und Jugendlichen (Foto: DAK-Gesundheit / iStock)

Die Pandemie hat laut einer DAK-Studie zu einer Verdoppelung der Mediensucht von Kindern und Jugendlichen geführt.

Wie steil die Medien-Nutzung während der Corona-Lockdowns angestiegen ist, zeigen die Geschäftsberichte und Umsätze von Streaming-Diensten und Computerspiele-Herstellern. Gerade Familien und Teenager mussten viel freie Zeit füllen – und während die meisten minderjährigen Nutzer zwischen 10 und 17 Jahren längst zu einem ’normalen‘ Maß zurückgefunden haben, hat sich die Mediensucht entlang der Pandemie glatt verdoppelt.

Das geht aus einer Studie der Krankenkasse DAK hervor, die die Mediennutzung seit Jahren von einem Team des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) beobachten und auswerten lässt (PDF). Im Ergebnis seien 6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland „abhängig von Gaming und Social Media“.

Laut der Untersuchung in 1.200 Familien sei der Anteil abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent (2019, also im Jahr vor Corona) auf 6,3 Prozent (Juni 2022) gestiegen. Auch in den Disziplinen „Streaming“ und „Social Media“ hätten sich die Werte verdoppelt. Kinder, die mindestens einmal pro Woche digitale Spiele nutzen, verbringen werktags durchschnittlich 115 Minuten mit Games; an Wochenenden sind es 182 Minuten, also mehr als drei Stunden pro Tag.

Bundesweit über 600.000 Mädchen und Jungen zeigen aus Sicht der Forscher ein „pathologisches Nutzungsverhalten“. Nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO weisen 330.000 Minderjährige in Deutschland sogar eine „krankhafte Gaming-Nutzung“ auf.

Eine solche pathologische Mediennutzung lässt sich anhand definierter Kriterien diagnostizieren: Jenseits der Nutzungszeiten wird dazu die Tagesstruktur der Betroffenen, deren Selbstreflexion, das Kontaktverhalten und der Affekt (etwa wütende oder depressive Reaktionen auf ‚Entzug‘) herangezogen.

Zum Gesamtbild gehört allerdings auch: 800.000 Kinder nutzen gar keine digitalen Spiele – bei 3,5 Millionen sprechen die Forscher von einer „unauffälligen Nutzung“.

Laut Projektleiter Prof. Dr. Rainer Thomasius sind insbesondere Jungs mit einem Anteil von 68 Prozent häufiger suchtgefährdet oder bereits von einer Sucht betroffen als Mädchen gleichen Alters – dies gelte insbesondere für das Gaming-Segment.

DAK-Vorstand Andreas Storm wertet die Zahlung und insbesondere den Trend als „alarmierend“: „Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, rutschen immer Kinder und Jugendliche in die Mediensucht und der negative Trend kann nicht mehr gestoppt werden. So würden Familien zerstört und die Zukunft vieler junger Menschen bedroht.“

Storm bringt mehr Prävention und Hilfsangebote ins Gespräch – und sieht hier neben Eltern und Schule auch Politik und Gesellschaft in der Pflicht: „Es ist eine neue Entwicklungsaufgabe von Politik und Gesellschaft, dass Kinder und Jugendliche lernen, die Risiken der Nutzung digitaler Medien einschätzen zu können und ihr Nutzungsverhalten zu reflektieren, damit sie die Möglichkeiten der digitalen Welt langfristig für ihr privates und berufliches Leben konstruktiv nutzen können.“

Die DAK-Gesundheit fordert außerdem eine politische Debatte über bessere Mechanismen zur Regulierung von suchtförderndem Potenzial in Computerspielen: Die Gaming-Branche müsse stärker in die Pflicht genommen werden. So würden Kinder und Jugendliche durch sogenannte Lootboxen an die Mechanismen des klassischen Glücksspiels herangeführt. Die DAK verweist in diesem Zusammenhang auf ein aktuelles Urteil eines österreichischen Gerichts, das FIFA Ultimate Team-Lootboxen als „illegales Glücksspiel“ bewertet. Ein von der Krankenkasse behauptetes „Verbot“ solcher Lootboxen ergibt sich daraus allerdings bislang nicht.

Den Eltern raten die Forscher, sich mit den Spielen und dem Spielverhalten auseinander zu setzen: Entscheidend seien darüber hinaus klare Regeln und insbesondere deren Um- und Durchsetzung, analoge Freizeit-Alternativen und eine glaubwürdige Vorbildfunktion.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ): „Auch nach der Corona-Pandemie ist eine riskante Mediennutzung bei vielen Kindern und Jugendlichen Alltag. Jetzt ist es wichtiger denn je, die Prävention zu stärken, allen voran im schulischen Bereich. Ebenso wichtig ist aber auch die Früherkennung von Mediensucht, beispielsweise durch ein Mediensucht-Screening in der Kinder- und Jugendarztpraxis.“