Müssen / sollen / dürfen sich Branchenverbände wie der Game zu antisemitischen Strömungen positionieren? Guido Alt hat dazu eine klare Meinung.
Ob Naturkatastrophen, Rassismus, Anschläge oder Russlands Krieg gegen die Ukraine: Sowohl Unternehmen als auch Verbände, Einrichtungen und Institutionen positionieren sich üblicherweise schnell und klar – via Pressemitteilung und Social Media, oft aber auch mit Hilfsangeboten oder Spenden.
Anders im Falle des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit (bislang) mehr als 1.400 Toten und knapp 200 entführten Menschen, darunter fünf Deutsche: Abseits der Politik schweigen die offiziellen Kanäle vielfach – proaktive Stellungnahmen oder Solidaritätsbekundungen finden nur vereinzelt statt, wenn überhaupt. Große Verbände wie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) kommentieren und kommunizieren in dieser Angelegenheit nur auf Medien-Nachfrage.
Nicht öffentlich geäußert haben sich auch weite Teile der nationalen und internationalen Games-Industrie – was insofern überrascht, da die branchenverbandseigene Stiftung Digitale Spielekultur seit Jahren eine eigene Online-Datenbank Games und Erinnerungskultur betreibt. Die Erweiterung dieses Angebots wurde vom Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus finanziell gefördert.
Mit Blick auf die teils gewalttätigen Ausschreitungen in deutschen und europäischen Städten infolge des wiederaufgeflammten Nahostkonflikts fordern Publizisten wie der SPIEGEL-Autor Sascha Lobo, es dürfe nicht sein, dass zu latentem oder offen zur Schau getragenem Antisemitismus laut geschwiegen werde.
Dieser Umstand treibt auch Guido Alt um: Bis März diesen Jahres war der Head of PR für die deutsche Niederlassung von Sony Interactive tätig, ehe er den PlayStation-Hersteller nach zwei Jahrzehnten verlassen hat. Alts Branchen-Karriere reicht bis Anfang der 90er Jahre zurück: Als PR Director von Publisher Softgold betreute er Klassiker wie Monkey Island und Rebel Assault.
Obligatorischer Hinweis: Gastkolumnen geben grundsätzlich die persönliche Einschätzung des jeweiligen Autors oder der Autorin wider und müssen sich daher nicht zwingend mit der Meinung der Redaktion zu einem konkreten Thema decken.
Gastkommentar von Guido Alt: Kommt da noch was?
Ich hab gesucht. Ehrlich. Und gewartet. Bis heute. Und wieder gesucht, aber ich kann nichts finden.
Es gibt anscheinend kein Statement vom Branchenverband Game zu Israel. Das kann doch eigentlich nicht sein, oder?
Da passiert der größte Massenmord an Juden seit dem Holocaust und es passiert – nichts. Da wird in Berlin quasi vor dem Büro des Game dieser Massenmord von tausenden Terror-Sympathisanten auf der Straße gefeiert und man schweigt. Da werden wieder Davidsterne an Häuser jüdischer Mitbürger zur Markierung geschmiert – und nichts passiert.
Glaubt man, es geht einen nichts an – es geht der Branche nichts an? Wieso eigentlich? Gibt es in der deutschen Gamesbranche keine jüdischen Mitarbeiter, die jetzt Angst um ihre Existenz, ihr Leben haben?
Das kann eigentlich aufgrund von Demographie und Wahrscheinlichkeit nicht sein.
Ich möchte mir auch nicht vorstellen, dass der Game, der seit Jahren so überaus vorbildlich Gerechtigkeit und Diversität in den Fokus der Verbandsarbeit gerückt hat, ausgerechnet jüdische Mitmenschen davon ausnimmt, undenkbar.
Was also dann – menschliches Versagen, schlichte Bräsigkeit?
Ich meine, der Verband wird ja nicht müde, zu betonen, das „Games in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen sind und dass sie „Kulturgut“ sind. Um das zu untermauern, werden ja auch meisten Spiele wie etwa Through the Darkest of Times öffentlichkeitswirksam mehr oder weniger interessierten Politikern präsentiert. Klar, Kampf gegen Nazis kommt in diesem Kontext immer gut an (und ist zweifellos wichtig). „Nie wieder“ und so.
Das Problem ist nur, „Nie wieder“ ist plötzlich keine auf historische Verbrechen bezogene Floskel mehr: „Nie wieder“ ist jetzt. Hier. Heute. In diesem Land.
Und niemand kann mehr so tun, als ginge ihn das nichts an. Wer sich immer noch fragt, wie der Holocaust passieren konnte und warum fast alle geschwiegen haben, sieht an den jetzigen Geschehnissen die Blaupause dafür.
Von daher ist eine eindeutige Aussage des Game schmerzlich vermisst – gerade von einer Institution, die „Deutschland zum Herzen der Gameswelt“ machen will. Es sollte ein leuchtendes sein und kein Conradsches Herz der Finsternis.
Bei aller Schrecklichkeit der Situation, muss wirklich jeder eine Stellungnahme abgeben? Ich warte zB auch nicht auf den Bund der Fahrradfahrer oder den Dachverband der Dackelzüchter.
Es ist eigentlich alles gesagt, nur nicht von jedem …
Selbstverständlich gibt es keine Verpflichtung, sich zur Weltlage zu äußern. Eine Rolle spielt aber schon, zu welchen Themen sich Institutionen, Unternehmen und Verbände in der Vergangenheit geäußert haben und wo Schwerpunkte gesetzt wurden – sprich: ob es einen thematischen Zusammenhang gibt. Wie im Eingangstext erwähnt, hat die verbandseigene Stiftung u. a. Fördermittel des ‚Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus‘ sowie von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft erhalten. Das ist schon ein wesentlicher Unterschied zu den Dackelzüchtern.
Danke Guido!
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