Start Meinung Ukraine-Krieg: Games-Branche im Cancel-Rausch (Fröhlich am Freitag)

Ukraine-Krieg: Games-Branche im Cancel-Rausch (Fröhlich am Freitag)

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Der ukrainische Vize-Präsident Mykhailo Fedorov bittet Microsoft und Sony um Unterstützung (Tweet vom 2. März 2022)
Der ukrainische Vize-Präsident Mykhailo Fedorov bittet Microsoft und Sony um Unterstützung (Tweet vom 2. März 2022)

Nach einer Woche Krieg in der Ukraine ist die Welt eine andere – das hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Games-Industrie.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

beim Rumzappen landete ich am Dienstagabend zufällig beim Premium-Sender RTL Nitro. Laut Einblendung sollte zu diesem Zeitpunkt der 007-Klassiker Liebesgrüße aus Moskau laufen. Mein Bond-geschultes Auge analysierte allerdings messerscharf: ‚Moment, fehlt da nicht Sean Connery?‘ Und tatsächlich hatten sich die Programmplaner kurzfristig entschieden, stattdessen Im Geheimdienst ihrer Majestät mit One-Hit-Bond George Lazenby zu programmieren. Aus Gründen.

Es war nicht das letzte Mal, dass ich in dieser Woche den Eindruck hatte, ich sei im falschen Film.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Playmobil, IKEA, Disney, Porsche, SAP, Apple, Adidas, Nike, Schalke 04, die Formel 1, selbst die moralisch verkommene FIFA: Westlichen Unternehmen und großen Verbänden kann es mit dem Abschied aus dem russischen Markt gar nicht schnell genug gehen. Jahrzehntelang gewachsene Strukturen, Kooperationen, Partnerschaften, ja: Freundschaften, werden mit Blick auf die grauenvolle Lage in der Ukraine auf Eis gelegt, wenn nicht beendet.

Wo die feine Grenze zwischen aufrichtiger Empörung, innerer Einkehr, öffentlichem Druck und stumpfer PR verläuft, lässt sich im Einzelfall kaum unterscheiden: Wenn Aldi die 0,7-Liter-Buddel Wodka aus dem Regal schmeißt, ist das zwangsläufig Symbolik – weh tut das exakt niemandem. Vor wenigen Jahren hat Rewe zur Fußball-WM in Russland noch Sammelsticker ausgegeben und der kulinarischen Vielfalt gehuldigt – jetzt wird eben flächendeckend ausgelistet. Mal sehen, wie lange Dr. Oetker den ‚Russischen Zupfkuchen‘ („Schön cremig“„Nach Großmutters Back-Idee!“) noch im Sortiment belässt. Und ob der Ralph-Siegel-Gassenhauer Moskau („Wirf die Gläser an die Wand / Russland ist ein schönes Land“) jemals wieder auf der Wiesn gespielt wird.

Auch in der Games-Industrie wird nach Kräften solidarisiert, gesammelt, gespendet – und gecancelt:

  • Der US-amerikanische Spielehersteller Electronic Arts nimmt russische Nationalmannschaften und Teams aus FIFA 22 und NHL 22. Heißt: Zenit St. Petersburg, Dynamo, Spartak, ZSKA Moskau – alles No-Go-Area.
  • Nach nur einer Woche lauten Schweigens und nach Abschluss der hauseigenen Großveranstaltung schließt der E-Sport-Marktführer ESL bis auf Weiteres alle russischen Teams aus.
  • Große Publisher wie CD Projekt verkaufen keine Spiele mehr an Kunden in Belarus und Russland.
  • Am Mittwoch hat der ukrainische Vize-Präsident Mykhailo Fedorov die Spiele-Entwickler im Allgemeinen und Microsoft Xbox und Sony PlayStation im Besonderen aufgerufen, den russischen Markt komplett aufzugeben – noch konnten sich die Plattform-Betreiber nicht dazu durchringen (Stand: 4.3., 12 Uhr).

Wir sehen: Es ist unglaublich viel in Bewegung.

Interessant wird in den kommenden Tagen und Wochen insbesondere der Umgang der Branche hinsichtlich Inhalten und Marketing bei ihren Franchises und Games, die ja randvoll gefüllt sind mit russischer Artillerie, Truppen und Panzern: World of Tanks, Battlefield, Call of Duty, um nur die prominentesten zu nennen. Selbst für unübersehbare Anleihen an schon damals umkämpften Regionen wie dem Donbass inklusive Donezk waren sich einzelne Studios in den letzten Jahren ja nicht zu schade.

Völlig wohl ist mir bei der anhaltenden Cancel-Culture nicht: Ich verstehe, dass sich Unternehmen schnell und klar positionieren müssen und erst gar nicht den Verdacht aufkommen lassen dürfen, sie würden aus rein wirtschaftlichen Interessen wegschauen oder gar das Wirken von Aggressoren tolerieren.

Nur: Wie kommt all das bei den Menschen in Russland an – und zwar sowohl in den Köpfen als auch in deren Geldbeutel? Werden dadurch nicht just jene Der-Westen-hat-was-gegen-uns-Propaganda-Erzählungen bestätigt und verstärkt, die mangels freier Presse unwidersprochen bleiben? Will sagen: Man meint Putin – und trifft die Russen. Mit Sanktionen, aber auch Anfeindungen und Cancel-Culture.

Und: Wie sieht der Weg zurück aus? Wie will man auf absehbare Zeit auf ein seriöses Miteinander zusteuern, wenn Drähte gekappt und Brücken abgerissen werden? Diese Frage wird sich auch die Games-Industrie stellen müssen, die ja perspektivisch irgendwann wieder mit Dienstleistern, Studios und Partnern in Russland zusammenarbeiten will.

Um das klar zu sagen: Ich hab Riesen-Respekt vor der Großherzigkeit und der Solidarität Dutzender nationaler wie internationaler Publisher, die ihre Reichweite und finanzielle Potenz für Spendenaktionen und Aufmerksamkeit nutzen. Die Menschen in der Ukraine können jede humanitäre Hilfe gebrauchen – in der Branche laufen gleich mehrere grandiose Aktionen (zum Beispiel hier und hier).

Gleichwohl wirkt die Schärfe der Formulierungen mit Blick auf russische Kollegen, Kunden, (E-)Sportler oder Künstler auf mich zuweilen unangenehm schroff. Es wird sehr viel gecancelt – und sehr wenig erklärt. Ich finde, man sollte gerade jetzt ausführlicher und deutlicher kommunizieren, welche Beweggründe und Ziele mit dem Rückzug aus dem russischen Markt verbunden sind – und zwar nicht nur hinsichtlich der dortigen Partner und Kunden, sondern gerade in Richtung des Publikums außerhalb Russlands.

Die Cyberpunk 2077-Macher vom polnischen Studio CD Projekt Red haben das schon ganz okay hinbekommen, als sie ihren Boykott folgendermaßen begründeten: „Uns ist bewusst, dass von dieser Entscheidung Spieler in Russland und Belarus betroffen sind, die nichts mit der Invasion der Ukraine zu tun haben. Gleichwohl wünschen wir uns, dass durch diese Maßnahme unsere weltweite Community noch mehr dazu ermuntert wird, über das zu sprechen, was im Herzen Europas passiert.“

Eine solch feinfühlige Differenzierung und Klarstellung hätte ich mir auch von anderen Herstellern gewünscht.

Jedenfalls ahnt auch der geostrategische Laie: Anders als in den Bond-Filmen wird sich die aktuelle Ost-West-Krise voraussichtlich nicht mit wilden Verfolgungsjagden, geschüttelten Martinis, Röntgensonnenbrillen und lockeren Sprüchen lösen lassen. Aber zumindest ein glimpflicherer Verlauf als in Im Geheimdienst Ihrer Majestät ist uns allen in Europa zu wünschen: Denn der 1969 entstandene Bond ist einer von ganz, ganz wenigen, die maximal tragisch und ohne das übliche Happy-End enden.

Mehr denn je bin ich gespannt auf Ihre Meinung (via E-Mail, Twitter, Facebook, Kommentar).

Ein schönes Wochenende (trotz allem) wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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