Start Meinung Moral oder Money: Was stimmt mit dem E-Sport nicht? (Fröhlich am Freitag)

Moral oder Money: Was stimmt mit dem E-Sport nicht? (Fröhlich am Freitag)

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E-Sport-Spektakel Intel Extreme Masters in Katowice (Foto: ESL Gaming / Helena Kristiansson)
E-Sport-Spektakel Intel Extreme Masters in Katowice (Foto: ESL Gaming / Helena Kristiansson)

Pecunia non olet, wie der Lateiner sagt: Zugunsten der Erschließung neuer Märkte rudern Spielehersteller erst dann zurück, wenn die Community aufbegehrt.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

am vergangenen Sonntag hat Ubisoft die ‚Roadmap‘ für internationale E-Sport-Großturniere auf Basis des Online-Shooters Rainbow Six Siege bekannt gegeben. Eine der Stationen: Abu Dhabi, Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.

Nur 48 Stunden später dann die Vollbremsung: Der Tour-Stopp fällt aus.

Damit reagierte Ubisoft auf die Forderungen von Fans, bei denen die Ankündigung mittelschweres Entsetzen ausgelöst hatte. In Petitionen wurde unter anderem darauf verwiesen, dass etwa Homosexualität in den Vereinigten Arabischen Emiraten schlichtweg illegal ist. Die Wahl des Austragungsorts steht somit von vornherein in krassem Widerspruch zum Bekenntnis von Ubisoft und ungefähr allen anderen Akteuren einer Branche, die sich ja gerne bunt, divers und tolerant gibt.

Der Unterschied: Das Einfärben von Twitter-Logos in Regenbogenfarben ist kostenlos – die Kündigung bestehender Verträge tendenziell nicht.

In einer Stellungnahme verweist der französische Publisher kleinlaut auf vorangegangene, intensive Gespräche mit den regionalen Teams, der Regierung und lokaler Partner. Deren Zusicherung: Alle Zuschauer und Teilnehmer seien von Herzen willkommen, unabhängig von sexueller Orientierung oder kulturellem Hintergrund.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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Der Fall erinnert an die Rückwärtsrolle des US-Studios Riot Games im Sommer 2020: Nur wenige Stunden nach Bekanntgabe hat der Hersteller des weltweit führenden E-Sport-Titels League of Legends einen Sponsoring-Deal mit dem saudi-arabischen Infrastruktur-Projekt Neom wieder aufgelöst.

Riot Games bezeichnete die Entscheidung damals angemessen geläutert als „Fehler“ – Ubisoft konnte sich zu einer solch klaren Einordnung nicht durchringen.

Beide Fälle zeigen wie unter einem Brennglas den Konflikt, dem global agierende Publisher ausgesetzt sind: Einerseits sollen dringend neue Märkte erschlossen und Zielgruppen abgeholt werden – andererseits kollidiert dieses Interesse mit ‚Stakeholdern‘, die nicht zwangsläufig mit westlichen Vorstellungen kompatibel sind.

Als Korrektiv muss die Community herhalten: Außergewöhnlich lauter Social-Media-Protest nötigt Hersteller für gewöhnlich zu einer außergewöhnlich schnellen und außergewöhnlich scharfen Reaktion.

Umso erstaunlicher ist es in diesem Zusammenhang, dass die geplante milliardenschwere Komplettübernahme des Kölner E-Sport-Turnier- und Ligen-Betreibers ESL Gaming durch den Staatsfonds von Saudi-Arabien bestenfalls für hochgezogene Augenbrauen gesorgt hat.

Dabei lautet die zwangsläufige Konsequenz: Wer künftig ein Ticket für die Intel Extreme Masters Cologne in der Kölner Lanxess-Arena löst oder sich als Sponsor von Dreamhack- oder ESL-Formaten engagiert, zahlt im wahrsten Sinne des Wortes auf die Marke und das Konto eines Königreichs im Nahen Osten ein, dem Amnesty International eine „katastrophale“ Menschenrechtslage bescheinigt.

Die Website des Auswärtigen Amts formuliert diplomatischer, aber nicht weniger deutlich: „Homosexuelle Handlungen sind in Saudi-Arabien strafverfolgt und auch gesellschaftlich nicht akzeptiert.“ Entsprechende Handlungen würden „nach Ermessen des Richters mit Freiheitsentzug und/oder Stockschlägen bestraft, ggf. kann auch die Todesstrafe verhängt werden.“

Das E-Sport-Gewerbe, das ja nicht müde wird, mit Kennzahlen und Fan-Folklore die Nähe zum traditionellen Sport zu suchen, steht mit diesem Moral-oder-Money-Dilemma nicht alleine da: Die halbe Premier League wird von Oligarchen und Scheichs finanziert, das Endspiel der Fußball-WM 2022 steigt kurz vor Weihnachten in Doha und der FC Bayern-Vorstand sitzt kritisches Fan-Feedback zum Qatar-Airways-Sponsoring einfach aus.

Immerhin: Beim FC Schalke 04 will man sich allerspätestens seit gestern nicht mehr für das Gazprom-Logo auf den Trikots schämen.

Nun wäre es naiv anzunehmen, Ubisoft oder Riot Games wären sich der Tragweite ihrer Entscheidungen nicht im Vorfeld vollumfänglich bewusst. Schließlich werden Risiken und Nebenwirkungen von Sponsoren und Austragungsorten ja sorgsam abgewogen. Vielmehr muss man nacktes Kalkül unterstellen: Fiele der Protest nur ein Jota geringer aus, würde man Kooperationen oder Veranstaltungen stumpf durchlaufen lassen. Shitstorms haben kurze Halbwertszeiten.

Und während im ukrainischen Lwiw (Lemberg) Sirenen vor Luftangriffen warnen, steigt an diesem Wochenende im gerade einmal 400 Kilometer entfernten polnischen Katowice das größte E-Sport-Spektakel des Kontinents: das Finale der Intel Extreme Masters 2022 in der Spodek Arena.

Für 14:30 Uhr hat die ESL die spektakuläre „Opening Ceremony“ angekündigt. Ab 15:30 Uhr beginnen dann die Viertelfinal-Spiele in der Disziplin Counter-Strike: Global Offensive – unter Beteiligung russischer und ukrainischer Teams. Ein aus Kiew stammender Finalist twitterte gestern: „Meine Stadt wird bombardiert“.

Vor wenigen Stunden teilte die ESL als Veranstalter mit: „Wir beobachten sehr aufmerksam die Situation in der Ukraine. Unsere höchste Priorität gilt der Unterstützung von Spielern und den Teams, die davon betroffen sein könnten. Die Turniere finden wie geplant statt.“

Und wieder fragt man sich: An welcher Stelle sind den Verantwortlichen Empathie und Taktgefühl abhanden gekommen?

Ein schönes Wochenende (trotz allem) wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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