Start Meinung Das Ende der KI-Scham (Fröhlich am Freitag)

Das Ende der KI-Scham (Fröhlich am Freitag)

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Auch wer des Koreanischen nicht mächtig ist, ahnt, was PUBG-Publisher Krafton uns (und seinen Mitarbeitern) sagen möchte.
Auch wer des Koreanischen nicht mächtig ist, ahnt, was PUBG-Publisher Krafton uns (und seinen Mitarbeitern) sagen möchte.

Die Antwort der Games-Industrie auf ein Überangebot an Content lautet: noch mehr Content – und zwar per Künstlicher Intelligenz.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

es ist noch gar nicht so lange her, da litten nicht wenige Menschen unter pathologischer Flugscham: Im Lichte der Erderwärmung galt es für ungefähr zweieinhalb Minuten als gesellschaftlich geächtet, mindestens aber unschicklich, für ein Wochenende mit RyanAir oder EasyJet nach Malle zu reisen. Oder für ein Could-have-been-an-E-Mail-Meeting die Strecke von München nach Frankfurt per Flieger zu überwinden.

Die Auslastung von Airports und Airbussen legt nahe: Die Flugscham wurde vollumfänglich überwunden.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Dann gab es mal so etwas Ähnliches wie Scheich-Scham. Sie erinnern sich vielleicht: Die deutsche Innenministerin dankte herzlich für die Gastfreundschaft anlässlich der Fußball-WM 2022 in Katar, indem sie auf der VIP-Tribüne eine Regenbogen-Armbinde spazieren trug. Die Nationalmannschaft präsentierte zum Anstoß ihre eingeübten Schweigefuchs-Gesten.

Es war auch die Zeit, als etwa League of Legends-Hersteller Riot Games noch kleinlaut zurückzuckte, als sich zarte Community-Kritik am Sponsoring durch Saudi-Arabien regte. Alles überwunden.

Überhaupt Saudi-Arabien: Während kaum ein Tag in und um Riad ohne Hinrichtung vergeht, kauft das Königshaus im Games-Segment zu, als wär’ Sale im Gucci-Outlet. Jüngster Schnapper: Electronic Arts.

Mit der Konsequenz, dass die papierdünne Brandmauer der Branche bröckelt und mittlerweile kaum noch vorhanden ist. Dem anfänglichen Unbehagen ist längst kollektives , pragmatisches Schulterzucken gewichen: Ach, guck, die Saudis mal wieder … So wie vor ein paar Jahren, als Embracer-Boss Wingefors einen „Wikinger-Kreuzzug“ (seine Worte, nicht meine) nach dem anderen startete. Und man sich sorgte: Wenn das mal gut geht …

Es ist wie beim sprichwörtlichen Frosch, der sich über das angenehm temperierte Wasser im Kopftopf freut und gar nicht merkt, wie der Kesseldruck immer weiter ansteigt.

Womit wir bei Künstlicher Intelligenz wären. Noch bis vor ein, zwei Jahren beömmelte sich das Publikum, wenn die doofe KI einer geprompteten Person mehr als fünf Finger oder eine überzählige Kniescheibe generierte.

Inzwischen ist den Meisten das Lachen vergangen – gerade in administrativen oder kreativen Berufen, wo viel zu viele Erwerbstätige gerne die Erzählung glauben wollten, dass KI ja bestenfalls ein Werkzeug sei und auf gar keinen Fall in der Lage wäre, eigenständig Inhalte zu generieren – oder gar ihre in jahrzehntelanger Übung optimierten Fertigkeiten zu ersetzen.

Auch bei Unternehmen gab es eine Zeitlang eine erkennbare KI-Scham. Mittlerweile hat sich der Wind komplett gedreht, wie sich an der laufenden Earnings Season besichtigten lässt. Gerade börsennotierte Tech- und Games-Konzerne liefern sich eine Art Wettrennen, wie oft sich der Begriff AI oder KI in Presse-Aussendungen unterbringen lässt.

Der südkoreanische Publisher Krafton (PUBG, InZoi) will gar den kompletten Betrieb auf ‚AI first‘ ausrichten – damit den Kreativen mehr Zeit bleibt fürs Wesentliche. Hoffentlich glaubt das keiner.

Mag sein, dass der Druck des Marktes – Anleger, Analysten, Konkurrenz – eine gewisse Torschluss-Panik befeuert. Doch am Ende lässt sich das Thema ganz humorlos auf Kosten, Tempo und Wettbewerbsfähigkeit herunterbrechen.

Die Erfahrung lehrt: Wenn sich Gelegenheiten bieten, mehr Spiele-Inhalte schneller mit weniger Personal zu produzieren und zu vermarkten, dann wird das geschehen. Mir scheint, als sickere diese Zwangsläufigkeit in den Belegschaften mittlerweile schneller ein als noch vor einigen Monaten. Kein Gewerk bleibt außen vor: Coding, Animation, Marketing, Public Relations, BizDev, Analytics, Finanzen, HR, Quest-Design, Dialoge und Story, Lokalisierung.

Und Take-Two-Boss Strauss Zelnick mag sicher Recht haben, dass sich ein Grand Theft Auto 6 nicht auf Knopfdruck mit KI produzieren lässt. Hat auch niemand behauptet. Aber was ist mit NPCs, Klamotten, Fahrzeugen, Häuser-Fassaden, Highway-Billboards, Alligator-Animationen oder – Gott bewahre – deutschsprachiger Synchro, die hiesigen Fans mit dem dünnen Verweis auf den enormen Umfang der Dialoge stets versagt blieb?

Das bislang klarste Signal, dass die KI-Scham im Medien-Bereich einem regelrechten KI-Rausch gewichen ist, datiert vom vergangenen Sonntag: Der Premium-Sender ProSieben strahlte das „erste rein KI-generierte Satireformat“ aus – zunächst testweise im österreichischen Fernsehen und im Streaming-Sender Joyn. „Prompting-Nerds“ sind aufgerufen, eigene Beiträge für kudlmudl.ki einzusenden – also America’s Funniest Home Videos, nur halt mit Grok.

ProSieben schreibt: Im Unterschied zu Nachrichten-Formaten, wo „weiterhin Information und der gemeinsame Kampf gegen Fake-News und Desinformation im Vordergrund stehen“, ergäben sich im Entertainment-Sektor ganz neue Möglichkeiten.

Das steht da wirklich.

Und so banane das Format sein mag (die Süddeutsche watschte es mit „Shitparade“ ab), so sehr sollte man sich davor hüten, bei allen Übertreibungen das feine Gespür der Unterhaltungs- inklusive Games-Industrie für kostenoptimierten Output zu unterschätzen.

Gefühl: Wir sehen bestenfalls die Spitze eines Eisbergs.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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1 Kommentar

  1. Mal gucken.

    NFT war doch der sh!t, dann das Metaverse und VR irgendwann davor. Alles der geile Kram von übermorgen. Und dann…? Stille.

    Was aber irgendwie nicht beleuchtet wird: Alle drücken ziemlich zeitgleich sowas raus. ChatGpt, Copilot, Grok, Gemini und so weiter.
    Wurde da untereinander das Personal getauscht oder wieso dauert es nicht ewig bis andere auch sowas haben?

    Dass der AI Kram bleibt ist keine Frage. Dass es kommt, war nur eine Frage der Zeit und das ist nur die Vorstufe. Und die Teile lernen global und öffentlich. nicht im stillen, sondern im großen Stil. Das treibt das alles noch schneller an.

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