Im Netz wird plagiiert, was das Zeug hält – mal unter dem Radar, mal ganz offensichtlich. Und KI verschärft das Problem.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
in dieser Woche ist mir wieder etwas passiert, was Ihnen Ihrem beruflichen Alltag sicher auch schon untergekommen ist: Es wurde abgekupfert. Von einem Mitbewerber. Und zwar einigermaßen skrupellos.
Ein etwas längerer Beitrag zum nunmehr offiziellen Rückzug des Spiele-Händlers GameStop aus Deutschland tauchte eine Stunde später an anderer Stelle im Netz wieder auf – nicht 1:1, aber in Inhalt, Struktur und Formulierung extrem nah am Original. Einige Passagen wurden wortwörtlich übernommen – die nicht öffentlich zugänglichen Zahlen sowieso.
Die Quellen-Angabe hat der Autor vergessen. Sicher nur ein Versehen. Hätte es sich um eine Dissertation gehandelt, wäre infolge des Plagiat-Tatbestands der Doktortitel ziemlich sicher futsch, will ich meinen.
Auch wenn mir im ersten Moment das Unterputzkabel anschwoll: Prinzipiell ist sowas natürlich nichts, worüber es sich aufzuregen lohnt. Schließlich weiß jeder, der was mit Medien macht: Alle schreiben voneinander ab oder lassen sich ‚inspirieren‘ – Musiker, Autoren, Grafiker, Komiker, Journalisten, Regisseure, YouTuber, Werbetreibende und natürlich Games-Entwickler. Dazu muss man nur mal einen scheuen Blick in die Appstores werfen: Alles, was einigermaßen stabil läuft, wird sofort dutzendfach geklont – bis hin zum Thumbnail.
Mich hat der Vorgang deshalb gefuchst, weil dem Artikel ein halber Vormittag Recherche vorausging. Gerade bei sensiblen Themen – Schließungen, Insolvenzen, Stellenabbau, Projektstopps – ist ja immer besonders viel Sorgfalt vonnöten, ehe man in die Bütt steigt. Das muss wasserdicht sein.
Anstelle den Fall auf sich beruhen lassen, habe ich meinen Groll daher in eine schmallippige Mail an den presserechtlich Verantwortlichen gehackt. „Keine Ahnung, ob da eigenes Hirnschmalz reinfloss oder einfach der ChatGPT drüber lief – am Ende ist es auch egal: Ich finde, das geht so nicht.“ Der Wink zeigte Wirkung – und der Kollege Einsicht. Mund abputzen, weitermachen.
Die Nummer mit ChatGPT war nicht einfach so dahin gesagt. Denn auch wenn im vorliegenden Fall offenkundig ein junger, frisch rekrutierter Mitarbeiter etwas zu stumpf die Vorlage abgepaust hat: Das minimal umformulierte Plagiat lieferte einen milden Vorgeschmack auf das, was Künstliche Intelligenz auch mit ‚meinem‘ Gewerbe anstellen wird – hier ein Synonym, dort eine eingedeutschte Anglizisme, da ein umgedrehter Satzbau.
Schon jetzt ist es ja so, dass sich Börsen-Websites erst gar nicht mehr die Mühe machen, Adhoc-Meldungen händisch zu paraphrasieren: Die wichtigsten Zahlen und Passagen – Umsatz, EBIT, CEO-Quote – werden vollautomatisch herausgezogen, ins Verhältnis zum Vorjahres-Quartal gesetzt und fertig ist die Laube. Gleiches gilt für Polizeiberichte, Agentur-Meldungen, Sport-Ergebnisse oder Pressemitteilungen – also alles, was ohnehin frei verfügbar im Netz rumschwirrt und nur noch per Autotune zusammengedampft, ausgeschmückt und suchmaschinen-optimiert werden muss.
Ehrbare Berufe, für die einst mehrjährige Volontariate, Lehr- und Studiengänge vonnöten waren, wurden zunächst von Praktikanten und perspektivisch vom Prompt ersetzt. Das Ergebnis ist von einer Qualität, die im Jahr 2024 noch vereinzelt ihre Tücken haben mag, aber vielleicht schon 2025 oder 2026 nicht mehr von Handgeklöppeltem zu unterscheiden ist. Das Tempo dieser Entwicklung ist pervers: Midjourney & Co. liefern mit jeder Iteration bessere Ergebnisse – sie lernen schlichtweg dazu.
Das hat zwangsläufig Folgen für das Ein- und Auskommen ganz vieler Berufsgruppen – für Grafiker, Übersetzer, Cutter, Synchronsprecher, Game-Designer, aber eben auch für den Journalismus.
Ungefähr zwei Mal pro Jahr denke ich deshalb in einem mittelleichten Anfall von Altersarmut-Panik angestrengt über Paywall-Mechaniken nach. Es klingt verlockend: Man zieht einen Wassergraben um den superwertvollen Content – und nur wer zahlt, darf über die Zugbrücke. Mitbewerber werden am plumpen Abschreiben gehindert – so, als würde man einen Ranzen mittig auf dem Schultisch platzieren. Ätsch!
Doch genauso schnell verwerfe ich den Gedanken wieder, weil ich zwar die Notwendigkeit und den Sinn von Paywalls prinzipiell sehe und verstehe, sie aber trotzdem doof finde. Schon immer.
Denn analog zu führenden Kirchen und Religionsgemeinschaften wird auf Paywall-Kanzeln exakt das (und nur das) referiert, was die Community hören will – schließlich zahlen die Gemeinde-Mitglieder ja dafür. Ein- und derselbe Sachverhalt wird von taz und FAZ komplett unterschiedlich eingeordnet und beleuchtet und konnotiert und so dem Weltbild der Zielgruppe maßgeschneidert – preaching to the choir, wie der Lateiner sagt.
Als ziemlich praxisfern hat sich in diesem Zusammenhang die Erwartung (genauer: der fromme Wunsch) erwiesen, dass Paywalls die journalistische Qualität heben, weil ja angeblich auf werbefinanzierten Reichweiten-Clickbait verzichtet werden kann – so zumindest die komplett uneigennützige Erzählung jener, die Abos verticken. Oder den Rundfunkbeitrag verteidigen.
Das exakte Gegenteil ist eingetreten. Entlang der GameStop-Schließung konnte man das schön beobachten, indem Dutzende ehrloser Lokal-Redaktionen in ihren SEOptimierten Headlines wolkig von einer großen, bedeutenden Handelskette sprachen, die ihren Laden im örtlichen Einkaufszentrum schließt. Um wen es sich handelte (also GameStop), war nur gegen Gebühr zu erfahren.
Frei nach der Yellow-Press-Devise: „Helene Fischer: Alles aus! Damit konnte keiner rechnen!“.
Ab- und Umschreiben ist Branchen-Standard. Doch mit Blick auf das, was per KI perspektivisch auf uns zurollt, tut jeder Anbieter gut daran, sich auf diese Realitäten einzustellen – und gegebenenfalls das eigene Geschäftsmodell an das Copy-Paste-Zeitalter anzupassen.
Denn wirklich verhindern lässt sich das Abkupfern, Sampeln und Remixen natürlich nicht. Allenfalls tracken. Jetzt, da vermutlich die Verjährung greift, kann ich es ja sagen: Im Vorfeld der Gamescom 2024 habe ich mir mal den Jux erlaubt, in einer aufwändig kuratierten Diese-Neuheiten-sind-in-Köln-spielbar-Liste ein frei erfundenes Game unterzubringen.
Was soll ich sagen: Es hat viel Schönes, wenn der ‚eigene‘ Titel seine Reise um die Welt antritt.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Bei dem Vorschaubild dachte ich erst, die problematische Verwendung von KI-generierten Bildinhalten in der Gamesbranche wäre Thema des Artikels. Aber es ging dann doch nur um ihren eigenen Job. Und KI-Bildgeneratoren sind halt doch irgendwie geil.
Botschaft der Kolumne zu 100 % verstanden – Gratulation 🙂
Auf die Botschaft der Kolumne hat sich mein Kommentar ja eben nicht bezogen, sondern auf die Bildwahl, die mich ein anderes Thema erwarten ließ.
Schon vor gefühlten Äonen in meiner Kindheit warst du bei der PCG eine der Besten. Ich mag einfach deinen Humor und musste eben über das Easteregg sehr lachen! Genau so wäre ich auch vorgegangen, um den Langfingern liebevoll eins auszuwischen.
Hoffentlich bleiben uns deine Artikel noch lange erhalten. 🙂
Hast du entsprechenden Seiten kontaktiert?
Schöner Text, nur dass die taz keine Paywall hat – auch wenn sie sich hier so gut auf FAZ gereimt hat.
Ebenfalls auf Paywall verzichten der Guardian und die Frankfurter Rundschau- scheint als hätten manche Zeitungen das preaching zum zahlenden Choire weniger nötig als andere oder weniger Angst vor kostenlos möglicher Kritik.
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