
Der lange Schatten von Peter Molyneux reicht bis zum Nobelpreis-Komitee: Sein Zögling Demis Hassabis ist im Olymp angekommen.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
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Guildford ist ein 80.000-Seelen-Nest im Südwesten von London – eine knappe Autostunde von den Airports Gatwick und Heathrow entfernt. Es wird wenige Games-Journalisten geben, die länger als fünf Wochen im Biz sind und nicht schon den Charme der dortigen Gewerbegebiete kennenlernen durften.
Denn das beschauliche Städtchen hat sich ab den 90ern zum Hotspot der britischen Videospiele-Industrie entwickelt – Electronic Arts, Ubisoft, Larian Studios, Epic Games und Dutzende weiterer Spielehersteller haben sich dort mit großen Filialen niedergelassen, nebst ungezählten Startups.
Zum Aufstieg von Guildford mag das studentische Umfeld beigetragen haben, aber eben auch und vor allem Bullfrog Productions, das ab Ende der 80er die Games-Branche geprägt hat wie nur wenige andere. Unter der Leitung von Peter Molyneux entstanden Kult-Spiele wie Populous, Magic Carpet, Dungeon Keeper und Theme Park.

Zwei Jahre nach dem Auf-, konkreter: Ausverkauf von Bullfrog durch den US-Konzern Electronic Arts verließ Molyneux mit einigen seiner engsten Vertrauten das Unternehmen und gründete Lionhead Studios, das 2001 die Göttersimulation Black & White veröffentlichte. Der Clou: Ob man als gottgleicher Herrscher von den Inselbewohnern buchstäblich vergöttert, geduldet, gefürchtet oder ignoriert wurde, ergab sich entlang der Entscheidungen zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Das galt erst recht für die indirekt gesteuerte XXL-‚Kreatur‘ (zum Beispiel ein Löwe, ein Affe oder eine Kuh), die sich durch ‚Vorführen & Nachmachen‘ plus ‚Bestrafen & Belohnen‘ trainieren und erziehen ließen.
Einer der ersten Angestellten von Lionhead: der erst 20jährige Demis Hassabis. Doch anders als im Falle des Bestsellers Theme Park, wo er als Projektleiter und Chefprogrammierer ausgewiesen ist, wird Hassabis weder in den Black & White-Credits noch im Wikipedia-Eintrag auch nur mit einer Silbe erwähnt. Dabei wirkte er nachweislich an der zwar nicht untadeligen, aber für damalige Verhältnisse ziemlich beeindruckenden Künstlichen Intelligenz mit. Eine KI, die eben nicht nur Wenn-Dann-Wege kennt, sondern ‚dazulernt‘.
Mangelnde Wertschätzung und/oder zwischenmenschliche Differenzen mögen dazu beigetragen haben, dass er schon nach acht Monaten hinschmiss und 1998 sein eigenes Studio gründete: Elixir Studios. Dort entstanden die sperrige Politik-Simulation Republic: The Revolution und die launige Austin-Powers-Persiflage Evil Genius.
Zum Schluss beschäftigte sein Startup 65 Mitarbeiter – ein Teil arbeitete bereits an weiteren Prototypen. Der Vertrag mit einem Publisher stand offenkundig kurz vor dem Abschluss.
Doch daraus wurde nichts. In einer Stellungnahme beklagte Hassabis mangelnden Support für kleine, unabhängige Studios, die Risikoscheue der großen Player und das missgünstige Branchen-Klima, auch mit Blick auf die damals bevorstehende Markteinführung von PlayStation 3, Xbox 360 und Nintendo Wii. Gleichzeitig explodierten die Entwicklungskosten – die Industrie durchlief eine schmerzhafte Konsolidierung.
Der Markt war demzufolge kaum aufnahmefähig für neue Spiele-Marken, die nicht auf etablierten Lizenzen basierten. Gleichzeitig habe sein Team quasi rund um die Uhr an den Spielen gearbeitet – mit 80-90-Stunden-Wochen, über Monate hinweg, was viele Mitarbeiter überfordert und ihn selbst an den Rand eines Burnout gebracht habe.
Sein bitteres Fazit: Alle würden ständig innovative und originelle Ideen fordern – aber in der Praxis würde darin nicht investiert.
Wir lernen: Die Zeiten mögen sich ändern – die Zu- und Umstände nur bedingt.
Von den zweieinhalb Aufeinandertreffen mit dem ausgesprochen zurückhaltenden und freundlichen jungen Mann ist mir ein Aspekt besonders erinnerlich: nämlich, dass Demis Hassabis schon damals von seinen PR-Beratern als ‚Wunderkind‘ gepriesen und vermarktet wurde.
Offenkundig aus guten Gründen. In dieser Woche wurde dem Neuro-Wissenschaftler und späteren Google-DeepMind-CEO der Chemie-Nobelpreis zugesprochen. Mehr geht nicht. Sein Team prognostiziert und entschlüsselt Protein-Strukturen – mittels Künstlicher Intelligenz. Mehr als eine Million Forscher und Labore arbeiten weltweit mit den Daten. Im besten Fall wird die Entwicklung lebensrettender Medikamente und Therapien beschleunigt oder überhaupt erst ermöglicht.
Wie es der Zufall will, stieß ich auf seinen Namen vor gut einem Jahr entlang meiner Urlaubs-Lektüre. Eingangs der Reise hatte ich nämlich die druckfrische, fast 700 Seiten starke Musk-Biografie von Walter Isaacson beim Bahnhofs-Buchhändler erworben. Der Autor hatte zuvor schon Steve Jobs, Albert Einstein und Leonoardo da Vinci portraitiert.
In einem Kapitel beschreibt Isaacson das Kennenlernen zwischen dem Tesla-/SpaceX-Boss und Demis Hassabis auf einer Konferenz – was zu einem gemeinsamen Besuch in Musks Weltraumraketen-Fabrik und schließlich zu einem 5-Mio.-$-Investment in das Hassasbis-KI-Startup DeepMind führte.
In den Folgejahren kam es zu weiteren Treffen, auch mit LinkedIn-Gründer Reid Hoffman und dem Top-Management von Google, das DeepMind 2014 für einen dreistelligen Millionen-Dollar-Betrag übernommen hat. Vor einigen Jahren gehörten Musk und Hassabis zu den Initiatoren einer Erklärung, die sich sinngemäß vornimmt, dass KI nicht zum Schaden der Menschheit eingesetzt wird. Also eine Art ‚Lex Skynet‚.
Und jetzt eben der Nobelpreis.
Wer Hassabis’ Biografie und die Liste der Ehrungen durchscrollt, ahnt auch als Laie, dass die höchsten akademischen Weihen praktisch nicht zu verhindern waren. Doch die Grundlagen wurden vor ziemlich genau 30 Jahren gelegt, als der 16jährige das Verhalten der Freizeitpark-Besucher in Theme Park programmierte. Mehr Salz auf den Pommes führt beispielsweise zu höherem Getränke-Absatz – was aber in langen Achterbahn-Warteschlangen zum Problem werden konnte. Die Bedürfnisse und Erwartungen jeder einzelnen Figur wurden kontinuierlich simuliert – damals eine kleine Sensation.
Warum ich ‚seinem‘ Spiel als frischgebackene Jungredakteurin anno 1994 eine vergleichsweise magere 85 %-Wertung aufdrückte, war mir später und bis heute ein Rätsel.
Während ‚Ziehvater‘ Molyneux omnipräsent blieb (zuletzt auf der Gamescom 2024), ist die Games-Industrie-Karriere von Demis Hassabis nach der Elixir-Schließung anno 2005 zu einem abrupten Ende gekommen. Was die Frage triggert, wie seine Laufbahn weitergegangen wäre, wenn er Erfolg gehabt hätte. Angeblich war zwischenzeitlich sogar Microsoft ‚dran‘: Der Konzern soll auf dem Höhepunkt der Dot-Com-Welle zur Jahrtausendwende eine absurde Summe geboten haben, die Hassabis jedoch ablehnte, wie ein Ex-Mitarbeiter später spoilerte.
Fakt ist: Hassabis war leidenschaftlicher Computerspiele-Nutzer, analog wie digital – Quake, SimCity, Civilization, Command & Conquer, außerdem ein Riesen-Fan „schräger deutscher Brettspiele“.
Fakt ist aber auch: Games waren ihm stets Mittel zum Zweck, eine Art Testlabor für seine eigentliche Passion. KI war seit jeher sein ‚Ding‘, bei Bullfrog, bei Lionhead, bei Elixir, wie er freimütig einräumte. Das zeigt sich auch für an späteren Durchbrüchen mit DeepMind, wo er Algorithmen gegen Schach- und Go-Weltklassespieler antreten (und gewinnen) ließ.
Vor acht Jahren träumte er in einem Interview laut davon, eines Tages das ultimative Spiel zu bauen – inklusive lernender KI. Um gleich einzuschränken: „Aber ich weiß nicht, ob dafür genügend Zeit in meinem Leben bleibt.“
Ganz ehrlich: Ich bin ganz froh, dass offenkundige Genies wie Hassabis ihr Talent in die Lösung von ‚real-world problems‘ wie Alzheimer, Malaria und Krebs einbringen – und sich nicht an Steam-Wishlists, App-Monetarisierung oder Games-Förderung abarbeiten.
Und trotzdem war und ist Hassabis natürlich ein Gamer. Und damit ein bisschen einer von uns.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Also ich glaube es ist richtig, dass er der Games Branche den Rücken gekehrt hat. Gute KI macht kein gutes Computerspiel aus. Sie kann ein Teil davon sein, dass ein Spiel gut ist – ja! Aber das alleine reicht nicht. Genauso wenig macht gute Grafik ein gutes Spiel aus.
Und ich glaube auch, dass man der Menschheit mit guten Computerspielen helfen kann. Kunst kann Menschen heilen – Computerspiele haben mir geholfen enorm schwere Phase im Leben zu meistern.
Danke für die Kolumne!
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