Start Meinung 50 Jahre schlechte Entscheidungen (Fröhlich am Freitag)

50 Jahre schlechte Entscheidungen (Fröhlich am Freitag)

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Smarte Idee, mittelgut umgesetzt: ein Original Nokia N-Gage aus dem Jahre 2003 (Foto: GamesWirtschaft)
Smarte Idee, mittelgut umgesetzt: ein Original Nokia N-Gage aus dem Jahre 2003 (Foto: GamesWirtschaft)

Ob es sich um eine gute oder eine schlechte Entscheidung handelt, lässt sich meist erst im Rückblick seriös bewerten – das gilt erst recht für die Games-Industrie.

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

am vergangenen Sonntag war ich zu Gast beim hiesigen Tour-Stopp von Stay Forever: Das Podcaster-Duo Gunnar Lott und Christian Schmidt bespielt Mehrzweckhallen im ganzen Bundesgebiet – fast immer vor ausverkauftem Haus, so auch an diesem lauen Sommerabend im Nürnberger Orpheum.

Die Demographie des Publikums spiegelt wieder, womit sich Lott & Schmidt hauptberuflich in ihren Podcasts beschäftigen: Retro-Games, also Spiele-Klassiker, überwiegend aus den 80ern, 90er und 2000er Jahren. Jener Ära, in der die beiden Protagonisten als Chef- und leitende Redakteure bei GameStar und GamePro wirkten – was sie automatisch zu den Hauptgegnern meines damaligen Arbeitgebers im Kampf um Premium-Plätze in den Zeitschriftenregalen der Republik machte, um die ‚wir‘ und ‚die‘ konkurrierten.

Um jede Enthüllung, jede Titelstory und jeden Heft-DVD-Trailer wurde gerungen, oft mit härtesten Bandagen. Jeder Screenshot, der in den Heften der Mitbewerber stattfand und nicht bei uns, wurde als persönliche Provokation gewertet und löste bei Vertrieb und Redaktion DEFCON 1 aus.

Unser Wiedersehens-Foto, das ich im Vorfeld der Show auf Facebook teilte, trug die Bildunterschrift: „Das Nord- und Südkorea des Games-Journalismus der Anfangs-2000er“. Einige hielten das für einen Scherz.

Die einstigen Wogen sind natürlich längst geglättet – die Erfindung des Internets hat dazu beigetragen, dass sich die Frontverläufe verändert und verlagert haben. Über die Verbissenheit jener Tage lässt sich nur noch milde schmunzeln.

Der Reiz, von außen auf die Spiele-Industrie zu blicken, hat keinen von uns losgelassen. Nach zwischenzeitlichen Ausflügen in die Industrie sind Christian und Gunnar Vollzeit-Kräfte in einem Marktsegment, das nach den gleichen Spielregeln funktioniert wie andere Mediengattungen und -genres: The winner takes it all – zwei, maximal dreieinhalb relevante Anbieter generieren auskömmliche Reichweite und damit Umsatz. Die Einstiegshürden im Podcast-Gewerbe mögen niedrig sein, doch wer nicht am Ball bleibt und ‚liefert‘, stößt rasch an gläserne Decken, denn das Budget der Zielgruppe ist nun mal endlich. Bei Stay Forever hingegen läuft es offenkundig gut genug, um eine treue und immer noch wachsende, monetarisierbare Zuhörerschaft zu erreichen – auch für das Live-Programm.

Das Tour-Motto ’50 Jahre schlechte Entscheidungen‘ deutet es an: Im Lauf des knapp zweistündigen Vortrags dreht sich alles um strategische und/oder inhaltliche Fehleinschätzungen der Games-Industrie – von sexistischen Geht-GAR-nicht-Anzeigenmotiven über schräge Spiele-Titel bis hin zu fragwürdigen Produkt-Neuheiten, etwa dem Nokia N-Gage, einem Hybrid aus Mobiltelefon und Spielekonsole.

Der / Das N-Gage kam 2003 auf dem Markt und antizipierte im Grundsatz das iPhone-Konzept, war aber seiner Zeit in jeder Hinsicht so weit voraus, dass der Vertrieb schon drei Jahre später wieder eingestellt wurde. Aus Gründen: zu hoher Preis, kaum Spiele, eine kaum vermittelbare Akku-Fehlkonstruktion und die ziemlich schlechte Entscheidung, Lautsprecher und Mikrofon an der Längsseite anzubringen. Was nicht nur unpraktisch war, sondern die Nutzer auch unvorteilhaft aussehen ließ.

Wie es der Zufall will, fiel mir ein Original N-Gage erst vor wenigen Tagen beim Keller-Aufräumen in die Hände. Ich hatte das Modell bereits verdrängt, auch deshalb, weil ich es damals kaum genutzt hatte. Nach der Show wusste ich auch wieder, warum.

Nun zählt es zu den besonderen Talenten von Journalisten und anderen Berufskritikern, dass sie zwar selbst nicht frei von Fehlern sind, diese aber besonders gut erklären können – am liebsten im Nachhinein. Dabei gehört zur Wahrheit, dass zwischen Top und Flop, zwischen Erfolg und Misserfolg, zwischen Wii und Kinect oft nur Nuancen liegen: glückliches Timing, ein dankbares Wettbewerbsumfeld, ein kluger Preispunkt, seriöses Erwartungs-Management, eine selbsterklärende Killer-Application.

In einer Branche, in der Trends und Marken kommen und gehen, ist es besonders schwer, aufs richtige Pferd zu setzen – Genres, Plattformen, Geschäftsmodelle. So ist es Stand heute schlechterdings unmöglich zu bewerten, ob es sich bei Microsofts 70-Milliarden-Dollar-Scheck für Activision Blizzard letztlich um eine gute oder schlechte Entscheidung handelt – zumal Aktionäre, Management, Kunden und Belegschaft diese Frage im Rückblick ganz unterschiedlich bewerten werden.

Am Ende des Abends wurde mir nur eines wieder bewusst: Wie aufregend und skurril und unvorhersehbar diese Branche doch ist – trotz oder gerade wegen ihrer Macken. Langweilig wird es jedenfalls nie.

Stichwort ’50 Jahre schlechte Entscheidungen‘: Die Folgen meines runden Geburtstags in dieser Woche plus der regionale Feiertag in Bayern führen im Ergebnis dazu, dass die Kolumne diesmal etwas kompakter ausfällt und später erscheint als gewohnt. Am kommenden Freitag geht es in gewohnter Weise weiter.

Ein schönes, unwetterfreies Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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