Die Gedanken in der heutigen Freitagskolumne sind Michael ‚Mick‘ Schnelle gewidmet, der in dieser Woche gestorben ist.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
am gestrigen Donnerstag ist Michael ‚Mick‘ Schnelle verstorben – im Alter von gerade mal 58 Jahren. Die Nachricht vom Tod des langjährigen Spiele-Journalisten hat in den vergangenen 24 Stunden unglaublich viele Menschen innerhalb und außerhalb der Industrie bewegt und beschäftigt, aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Sicher einer der wichtigsten Faktoren: Tausende sind mit Mick gleichsam ‚aufgewachsen‘, denn als gut beschäftigter Redakteur marktführender Fachblätter war er in den 90ern und Anfangs-2000ern ein Vorläufer heutiger Gaming-Influencer. Hunderttausendfach verkaufte Zeitschriften wie PC Player oder GameStar funktionierten analog zu Bravo oder M-TV: Was auf den Titelblättern und in den Heft-DVD-Videos stattfand, war relevant.
Vorbestellmengen des Handels hingen sehr konkret davon ab, ob Menschen wie Mick in ihren Previews und Reviews den Daumen hoben oder senkten. Und weil Mick häufig den Daumen senkte, war sein Urteil gefürchtet. Bei den Lesern kam die Grund-Grummeligkeit und die Allergie mit Blick auf technische Unzulänglichkeiten gut an. Die Spielehersteller fanden das regelmäßig eher so mittelgut und ließen prophylaktisch besorgt anfragen, ob das Spiel „nicht jemand anders“ testen könne.
Übersetzt: jemand, der nicht so genau hinschaut. Oder zumindest jemand, der zwar genau hinschaut, aber es für sich behält.
Ich selbst kannte Mick abseits seiner Arbeit für ‚die Konkurrenz‘ nur von (vielen) Zufallsbegegnungen bei Spielepräsentationen und auf Messen. Für einen seriösen Nachruf gibt es daher ungleich berufeneres Personal, das viele Jahre Schreibtisch an Schreibtisch mit ihm verbrachte – etwa seine GameStar-Mitstreiter Heiko Klinge oder Jörg Langer, die sehr persönliche Erlebnisse aufgeschrieben haben. Empfehlenswert ist auch eine 2016 entstandene Episode des Spieleveteranen-Podcast.
Aus seiner medizinischen Odyssee hat Mick nie einen Hehl gemacht: Via Facebook hat er das Umfeld teilhaben lassen, oft mit schonungslosen Details. Dass in den vergangenen Jahren nicht wenige Menschen mit ihm gebrochen haben, lag weniger an seiner Zuneigung für Helene Fischer, sondern vielmehr an dem Umstand, dass politisch und weltanschaulich mindestens irritierende Positionen zutage traten. Auch das gehört zum kompletten Bild. Aber es ändert natürlich nichts an dem Fußabdruck, den Mick Schnelle in der Industrie hinterlassen hat.
Nun sind 58 Jahre ‚kein Alter‘, wie gestern oft zu lesen war. Zu jung, zu früh. Nachrichten wie diese oder wie 2021 im Falle von PlayStation-Deutschland-Chef Bassendowski sind daher Anlass, für einen Moment inne zu halten und über Grundsätzliches nachzudenken – zumindest mir geht es so. Sprich: Was stellt man mit dem zwangsläufig begrenzten Zeitbudget an? Und warum kann die Antwort lauten: „Erstmal die neueste Folge Better Call Saul gucken“?
Ich habe seit geraumer Zeit für mich entschieden, nichts auf die lange Bank zu schieben und grundsätzlich an nichts zu knausern, was einem selbst und den Liebsten gut tut. Faustregel: Events, Konzerte, Familienfeiern, Reisen, Spontankäufe – alles mitnehmen, nix auslassen. So jung kommen wir nicht mehr zusammen. Wer Bucket-Listen pflegt und etwa die Rolling Stones live sehen will, sollte diesen Plan tunlichst zügig umsetzen, denn es besteht eine hinreichende und statistisch steigende Wahrscheinlichkeit, dass wahlweise Keith Richards oder man selbst nicht dazu in der Lage sein wird – aus welchen Gründen auch immer.
Verwandte von mir bangen zum Beispiel seit mittlerweile vier Jahren um eine akribisch geplante Ostsee-Kreuzfahrt: Stockholm, Helsinki, Tallinn, Kopenhagen und als Highlight Sankt Petersburg. Die Tour wurde ein ums andere Mal verschoben, von einem Quartal ins nächste – erst wegen der Pandemie, dann wegen der Raketen auf die Ukraine. Bauchgefühl: Mindestens die Eremitage wird auf absehbare Zeit No-Go-Area für deutsche Touristen bleiben. Und die Frage bleibt: Warum um alles in der Welt hat man mit der Sehnsuchtsreise bis zum Renten-Eintrittsalters gewartet?
Ich kann in diesem Zusammenhang gut nachvollziehen, wenn derzeit häufig zu hören ist: Muss ich mir die Gamescom (24. – 28. August in Köln) wirklich antun? All die Absagen, dazu immer noch Corona, das Gedränge, der Lärm, das Gelatsche, die lästige An-/Abreise, die gierige Hotellerie?
Ich finde: Man sollte sich das ‚antun‘, soweit es sich irgendwie einrichten und verantworten lässt. Es ist eine der viel zu seltenen Gelegenheiten im Kalender, jene Gesichter zu sehen (oder zumindest hinter den FFPs zu erahnen), die man teils seit gefühlter Ewigkeit nicht mehr getroffen hat. Solche Begegnungen – so kurz und zuweilen oberflächlich sie auch sein mögen – sind durch Zoom-Schalten, Mails, WhatsApp und Telefonate nicht zu ersetzen.
Ganz besonders freue ich mich auf Leute, mit denen ich seit Jahren quasi im Wochentakt kommuniziere, mit denen aber naheliegenderweise nie ein persönliches Treffen zustande gekommen ist.
Zuhause bleiben ist immer eine Option, aber meines Erachtens auch in diesem Fall nur die zweitbeste. Mehr denn je sollte die Devise lauten: Carpe Gamescom – viva la vida.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Mein aufrichtiges Beileid an seine Familie. Er bleibt unvergessen. Ich sehe ihn heute noch im Raumschiff Gamestar auf der Suche nach neuen Abenteuern.
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