Computerspiele müssen nicht ’nützlich‘ sein – aber mindestens der Dauererfolg der Nintendo Switch zeigt: Es schadet auch nix.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
„Auf den Gamescom-Klos gibt’s geniale Kinect-Spiegel … ahmen jede Bewegung der Spielerin nach. Verzögerungsfrei!!!“
So lautete die Bildunterschrift eines Postings, das ich 2010 aus den Waschräumen der Kölner Messehallen absetzte. Zur Markteinführung von Xbox Kinect hatte Microsoft die Wände mit dem Spruch „Du bist der Controller“ beklebt. Ich fand’s lustig.
Das Kinect-Prinzip: Sensoren, Mikrofone und Kameras orteten den Spieler im Raum – für Zumba, Kickboxen oder Formationstanz war also kein gesondertes Eingabegerät erforderlich. Was einigermaßen okay funktionierte. Aber eben nicht wirklich verzögerungsfrei.
Es war die Hoch-Zeit der Bewegungssteuerung: Einige Jahre zuvor hatte Nintendo mit Wii Sports für einen Golf- und Bowling-Boom in Seniorenheimen gesorgt. 2008 folgte das Wii Balance Board – ein weißes Plastikbrett, das wahlweise als Snowboard, Rennrodel oder als schnöde Waage fungierte. Groß war die Freude, wenn mit etwas Übung Yoga-Stunts wie der ‚Halbmond‘ oder der ‚Baum‘ gelangen.
Doch wie bei allen fragwürdigen Anschaffungen – Raclette-Grills, Bauchtrainer, Thermomix oder ungefähr jede Weltneuheit aus Die Höhle der Löwen – galt sowohl für Kinect als auch fürs Wii Balance Board: Alles, was mehr als 2 Quadratmeter Wohnzimmerfläche benötigt oder erst mühsam aufgebaut, verkabelt, konfektioniert oder endgereinigt werden muss, kommt mit überragender Wahrscheinlichkeit nur an Silvester und anderen hohen katholischen Feiertagen zum Einsatz.
Unterjährig verschwindet das teure Stehrümchen dann irgendwo zwischen Bügelbrett, Weihnachtsbaumkugeln und Katzenstreu. Frag nach bei Peloton-Aktionären, die sich wünschen, sie hätten stattdessen McDonald’s-Anteile erworben.
Während Microsoft das Kinect-Abenteuer aus deckungsbeitragstechnischen Gründen längst wieder beerdigt hat, sind die Nintendo-Strategen anhaltend erfolgreich darin, schnödes Entertainment mit Mehrwert zu veredeln – sozusagen das Nimm2 unter den Bonbons. Oder wie es in meiner Jugend hieß: „Den PC kann Ihre Tochter ja auch für die Schule nutzen.“
Haha.
Was mit Dr. Kawashimas Gehirnjogging einsetzte und in anhaltender Switch-Nachfrage gipfelt, lässt umso mehr rätseln, warum die Mitbewerber den Japanern den Mehrwert-Markt fast komplett überlassen. Während des Corona-Lockdowns wurden den Händlern zum Beispiel die Ring Fit Adventure-Kartons nur so aus den Händen gerissen. Darin enthalten: ein elastischer Kunststoffring, der sich mit Muskelkraft dehnen und zusammenpressen lässt.
Mein erster übermütiger Feldversuch endete mit einem veritablen Muskelkater. Wirkt also.
Und Nintendo legt kontinuierlich nach: Seit heute ist Switch Sports samt Beingurt im Handel, quasi der Wii Sports-Enkel. Zur Anwendung kommen unter anderem Tennis, Bowling, Badminton und Volleyball. Preispunkt: um die 50 €. Und ein schöner Beleg, dass Videospiele ja doch zu was nütze sein können.
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An dieses Trauma wird die Games-Branche schließlich regelmäßig erinnert: Wann immer sich ein Politiker zu Videospielen äußert, ist jederzeit damit zu rechnen, dass spätestens im zweiten Satz fast schon entschuldigend der praktische Nutzen von Games gepriesen wird – für die Gesundheit, für die Bildung, im Zweifel für die ja sehr wichtige bayerische Auto-Industrie.
Besonders gut verfängt dieses Nützlichkeits-Narrativ beim E-Sport: Mit Studien, Stiftungen, Trainings- und Ernährungsplänen plus Krankenkassen-Koops wirkt die Branche sehr erfolgreich dem schlimmen Verdacht entgegen, Deutschlands FIFA-Athleten würden chips-mampfend und energydrink-schlürfend an der Konsole abhängen. Was ja keinesfalls stimmen kann, schließlich: Mens sana in corpore sano.
Und so kommt es, dass in nahezu allen Partei-Programmen der beiden anstehenden Landtagswahlen nachzulesen ist, warum der E-Sport sehr dringend bezuschusst und noch dringender gemeinnützig werden muss.
Einzig bei Serienmeister FC Bayern München ist in den vergangenen Monaten der Glauben an den E-Sport-Nutzen verloren gegangen – vermutlich, weil unterwegs die erstaunliche Erkenntnis gereift ist, dass Marketing-Geld keine Tore schießt und demzufolge auch nicht das Champions-League-Aus verhindert. Oder wie es Sportvorstand Salihamidžić analysierte: „Wir brauchen mehr Straßenfußball und weniger FIFA-PlayStation.“
Von Kinect und Wii habe ich mich im Übrigen erst vor kurzem getrennt, nachdem beide Systeme anderthalb Jahrzehnte in einer Umzugskiste im Keller gammelten (Sie kennen das). Nach kurzem Technik-Check landete der Geräte- und Kabelsalat verzögerungsfrei beim örtlichen Gebrauchtwarenhof.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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