Dient JusProg wirklich dem Jugendschutz oder kann das weg? Industrie und Behörden beurteilen diese Frage höchst unterschiedlich – und sorgen für allgemeine Verunsicherung.
Fröhlich am Freitag 20/2019: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
um zu verstehen, was Deutschlands oberste Medienaufsicht in dieser Woche beschlossen (manche sagen: angerichtet) hat, hilft möglicherweise folgender Vergleich.
Stellen wir uns vor, das Internet sei ein zoologischer Garten. Darin gibt es Heimisches, Exotisches, Flauschiges, Spektakuläres, Possierliches, aber auch reichlich Gruseliges, Fieses, ja: Gefährliches. Das (kostenlose) Jugendschutzprogramm JusProg fungiert wie eine Art Sicherheitsglas, das insbesondere arglose Kinder davor bewahrt, mit potenziell verstörenden Attraktionen überhaupt in Kontakt zu kommen.
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat in dieser Woche dem Sicherheitsglas die Betriebserlaubnis entzogen – mit sofortiger Wirkung und der sinngemäßen Begründung, dass JusProg zwar vor Laubfröschen, Springmäusen und Kreuzottern schützt, nicht aber vor … sagen wir … ausgehungerten Raubtieren.
Die JusProg-Anbieter argumentieren hingegen, dass es doch ganz gut sei, wenigstens einen Teil der potenziellen Gefahren abzufangen. Überhaupt sei das Sicherheitsglas in den vergangenen Jahren mehrmals ohne Beanstandungen durchgewunken worden. Außerdem werde mit Hochdruck an Metallzäunen für die Gehege der Grizzlys und Alligatoren (die bislang frei rumlaufen) gearbeitet. Voraussichtliche Fertigstellung: 2020. Doch der Jugendschutz-TÜV zeigt sich unbeeindruckt, das Sicherheitsglas wird als sinn- und wirkungslos klassifiziert.
Im Ergebnis gibt es nun weder Sicherheitsglas noch Metallzäune.
Das Problem: Eine gesetzeskonforme Alternative zum Sicherheitsglas existiert schlichtweg nicht. Damit ist die Zoo-Direktion gezwungen, andere Maßnahmen zu ergreifen, um bestimmte Zielgruppen auszusperren, etwa eine Alterskontrolle am Eingang. Oder aber eine „Sendezeitbeschränkung“ analog zum TV wird eingeführt – in der Praxis würde dies bedeuten, dass Tiger und Jaguar erst ab 22 oder 23 Uhr zu sehen wären.
Tagsüber bestünde das Programm aus Unproblematischem – Hängebauchschweine, Pinguine, Erdmännchen. Und zwar für alle, auch für die Volljährigen. Die Konsequenz: YouTube, Twitch und Games-Portale kämen einem Streichelzoo gleich.
Die Spiele- und Webvideo-Branche tobt und spricht von einem Rückschritt ins analoge Zeitalter – umso mehr, da es nun, von jetzt auf gleich, keine Rechtssicherheit mehr gibt. Strenggenommen ist das, was derzeit tagsüber im Online-Schaufenster großer Spielehersteller, Streaming-Portale und TV-Sender ausliegt, irrsinnig illegal.
Ob das Berliner Verwaltungsgericht die KJM-Entscheidung einkassiert und damit JusProg zumindest vorübergehend wieder in den Sattel hilft, wie es die Anbieter erhoffen, das gilt unter Juristen als mindestens fraglich. Zumal die KJM kaum von ihren Zweifeln abrücken wird, dass JusProg im deutschen Jugendschutz jene unverzichtbare Rolle spielt, die ihr von den kommerziell gelenkten, sich selbst kontrollierenden Unterstützern zugeschrieben wird. Das können Sie selbst vergleichsweise leicht überprüfen, indem Sie einfach mal unverbindlich im Bekannten-/Verwandtenkreis das Stichwort „JusProg“ in den Raum werfen.
Der scharfen Reaktion nach zu urteilen existiert kein Plan B oder C. Nirgends. Das ist ein Problem. Denn das, was auf dem Markt an Kindersicherung angeboten wird, fällt in Tests regelmäßig durch – weil es entweder nicht funktioniert, umständlich oder lästig ist, sich leicht umgehen lässt oder, wie im Falle der YouTube-Kids-App, die jungen Nutzer mit Werbung und fremdsprachigem Material zukippt.
Landesmedienanstalten und Staatskanzleien sehen die Verantwortung bei der Privatwirtschaft und unterstellen fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung: Wenn die Industrie es wirklich wollte, hätte sie’s längst hingekriegt. Eine Argumentation, die schon beim Thema Upload-Filter im Zuge der EU-Urheberrechts-Debatte für Erheiterung sorgte.
Linderung soll die seit Jahren überfällige Reform des chaotischen Jugendmedienschutzes bringen – doch allzu hohe Priorität scheint das Mega-Projekt nicht zu haben. Jedenfalls würde ich nicht darauf wetten wollen, was früher eintritt: ein zeitgemäßer Staatsvertrag (der Unternehmen, Nutzer, Jugendschützer, Bund und Länder zufrieden grinsen lässt) oder die Eröffnung des BER.
Solange herrscht allerorten Verunsicherung – und die Causa JusProg trägt zusätzlich dazu bei. Wenn mit schöner Regelmäßigkeit nach mehr Medienkompetenz im Land gerufen wird, fragt man sich als neutraler Beobachter mittlerweile, wer diese eigentlich am dringendsten nötig hat – wirklich die Kinder und ihre Eltern? Oder doch eher Politik, Behörden und Industrie?
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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