Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, will die Branche verhindern, dass Videospiele-Abhängigen professionell geholfen wird – eine Farce.

Fröhlich am Freitag 39/2018: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

wenn ein Teenager an Feierabenden und Wochenenden mal wieder ein Spiel „durchsuchtet“, fällt er sicher nicht unter die landläufige Definition eines krankhaft Süchtigen. Nahezu immer handelt es sich schlichtweg um Phasen, die beginnen und irgendwann auch wieder enden – spätestens dann, wenn Mutti das WLAN abklemmt oder das Handy einkassiert, weil aus „Nur noch 5 Minuten – versprochen!“ mal wieder eine gute Stunde geworden ist.

Doch wo der kalte Entzug nicht (mehr) ohne Weiteres gelingt, da braucht es professionelle Unterstützung. Die Weltgesundheitsorganisation will nun jenen helfen, deren Gedanken und Alltag dauerhaft nur noch um Smartphone und Gamepad kreisen – und die dadurch Schule, Ausbildung, Studium, Job oder Familie aufs Spiel setzen, buchstäblich.

Daher soll die „Gaming Disorder“ als Krankheit anerkannt werden, damit diese erforscht, diagnostiziert, erfasst und ihre Therapie von Krankenkassen bezahlt werden kann. Betroffen seien insbesondere Jugendliche und junge Männer zwischen 12 und 25 Jahren, sagt eine Forsa-Studie, also im Wesentlichen das Gamescom-Publikum. Die Rede ist von 8,4 Prozent – einer von zwölf.

Videospiele, die abhängig machen? Das Kulturgut Games – ein Stoff, vor dem man möglicherweise warnen muss? Harmlose Mobile-Games in einem Atemzug mit Kippen, Koks und Korn?

Allein der Gedanke bringt die Verbände der Spiele-Industrie rund um den Globus zum Schäumen, auch in Deutschland.

Schließlich würden dadurch all die mündigen Bürger stigmatisiert, die die hochwertigen Produkte des Games-Gewerbes mit großer Freude, kontrolliert und maximal maß- und verantwortungsvoll einsetzen. Wissenschaftlich bewiesen sei schon mal rein gar nichts.

Es sind Sankt-Florians-Argumente wie diese, die erklären, warum es kein Tempolimit auf Autobahnen gibt, weshalb weiterhin Glyphosat auf deutschen Äckern eingesetzt wird, weshalb immer noch keine einheitliche Lebensmittel-Ampel auf Cornflakes-Packungen und Cola-Dosen existiert und weshalb in den USA vermutlich noch viele, viele Kerzen nach School Shootings angezündet werden, ohne dass es zu Einschränkungen beim verfassungs- und gottgegebenen Besitz von Schusswaffen kommt.

Die Erfahrung lehrt: Vonseiten der jeweiligen Lobby-Verbände ist bei Fragen der Regulierung ganz grundsätzlich wenig bis keine konstruktive Mitarbeit zu erwarten. Denn solche Verbände sind nun mal dazu da, dass sie die Interessen ihrer zahlenden Mitglieder wahren – und mit Zähnen und Klauen gegen alles verteidigen, was Image, Umsatz, Rendite oder Geschäftsmodell gefährden könnte.

Oder wie es 55 internationale Wissenschaftler und Sucht-Experten im Vorfeld der Gamescom haben durchblicken lassen: Wer partout verhindern will, dass neben der Glücksspiel-Sucht auch eine Videospiel-Sucht anerkannt wird, hat entweder keine Ahnung (weil nicht vom Fach) – oder einen Job in der Games-Branche.

Es wird Zeit, dass Spiele-Hersteller die verbauten Mechanismen kritisch überprüfen und das Zumutbare zur Linderung beitragen. Und vor allem: die Blockade-Politik beenden.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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