Start Meinung Deutscher Computerspielpreis: Jäger der verlorenen Stimmen

Deutscher Computerspielpreis: Jäger der verlorenen Stimmen

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Deutscher Computerspielpreis 2017: Dominik Abé von Mimimi Productions (Mitte) mit den Laudatoren Jens Kosche (Electronic Arts) und Mareike Ottrand (Studio Fizbin)
Deutscher Computerspielpreis 2017: Dominik Abé von Mimimi Productions (Mitte) mit den Laudatoren Jens Kosche (Electronic Arts) und Mareike Ottrand (Studio Fizbin)

Egal ob Politik, Verbände oder Mimimi Productions: Alle wollen am Deutschen Computerspielpreis (DCP) festhalten. Doch Reformen sind überfällig – fünf konkrete Vorschläge von GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich.

Fast eine Woche ist seit der ereignisreichen Verleihung des Deutschen Computerspielpreises 2017 inzwischen vergangen. Fest steht bislang nur, dass nichts fest steht. Den DCP 2017 umwabern weiterhin unausgeräumte Geheimnisse, Deutungen und Verdächtigungen, als würde es um Rüstungsgeschäfte mit Schurkenstaaten gehen.

Wer noch nie bei einem DCP-Hauptjury-Treffen live zugegen war, muss den Eindruck gewinnen, die diesjährige Verteilung der Preisgelder sei abgelaufen wie die Fußball-WM-Vergaben im FIFA Exekutiv-Komitee: Einer verlässt ‚zufällig‘ den Raum – und plötzlich ist „die Welt zu Gast bei Freunden“ in Deutschland.

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Doch das ungute Gefühl bleibt: Where there’s smoke there’s fire. Wo’s qualmt, brennt’s meist auch.

Die bittere Nebenwirkung: Weil nach wie vor nicht klar ist, von welchen drei Kategorien sich der GAME Bundesverband eigentlich namens seiner Mitglieder distanziert hat, stehen im Grunde alle Preisträger unter Generalverdacht, ihr Sieg sei womöglich unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommen. Natürlich fühlen sich auch mehrere Nominierte um den Schlaf gebracht – wer „verliert“ schon gerne ein Finale wegen einer ungeahndeten Schwalbe?

Die Situation ist mit „unwürdig“ nicht hinreichend umschrieben.

Deutscher Computerspielpreis 2017: Fast alle wussten Bescheid

„Das wäre ja schade, wenn nur wir hier ein kleines Spiel spielen“ orakelte Laudator Jens Kosche bei der Verleihung ins Mikrofon, nachdem „Shadow Tactics“-Spieldesigner Dominik Abé die Bühne verlassen hatte.

Worauf der Deutschland-Geschäftsführer des BIU-Mitglieds Electronic Arts anspielte, löste sich erst im Nachhinein auf: Veranstalter und Ausrichter waren vorab ganz offiziell informiert worden, dass Mimimi Productions keine Preise entgegen nehmen würde. Auch Kosches Co-Laudatorin Mareike Ottrand schien wenig überrascht, dass Mimimi nicht unmittelbar auf der Bühne eine Erklärung lieferte: „Ich nehme an, das wird noch weiter ausgeführt werden…“

Der GAME Bundesverband hatte seine Mitglieder ohnehin bereits im Vorfeld der Verleihung in Kenntnis gesetzt – streng vertraulich, versteht sich.

Also alles nur ein „kleines Spiel“? Bei dem ungefähr jeder Bescheid wusste, zumindest backstage?

Das Münchner Studio hält nach eigener Darstellung weiterhin große Stücke auf den Computerspielpreis. Und sah sich trotzdem oder gerade deswegen außerstande, einen Preis anzunehmen, bei dem es – möglicherweise – zu „Unstimmigkeiten“ gekommen sein könnte. „Informationen aus zuverlässigen Quellen“ hätten sich da in den Tagen vor der Gala verdichtet, hieß es am Freitag. Doch Mimimi legte nach: Es gäbe „ernstzunehmende Bedenken“, dass sich die Hauptjury nicht „vernünftig“ mit den eingereichten Spielen auseinandergesetzt habe.

Mimimi Productions fordert nun die Ausrichter auf, man möge „gemeinschaftlich klären“, inwieweit diese doch erheblichen Vorwürfe zutreffen. Nur: Wie soll das in der Praxis gelingen, bei maximal gegensätzlichen Positionen?

DCP-Wechsel ins Verkehrsministerium: Es war nicht alles schlecht

Dabei sah alles so vielversprechend aus: Selbst die hartnäckigsten Kritiker müssen im Rückblick zugestehen, dass nicht alles schlecht war beim umstrittenen Wechsel des DCP ins Verkehrsministerium im Jahr 2014.

Staatssekretärin Dorothee Bär hat von Minute 1 an für den Preis geworben, auch gegen innerparteilichen Widerstand – und selbst Verkehrsminister Alexander Dobrindt fremdelt immer weniger mit der Games-Branche, sondern attestiert ihr auch abseits der DCP-Gala eine ebenso hohe Bedeutung wie dem Film-Gewerbe.

Wer hätte ein solches Bekenntnis vor ein paar Jahren für möglich gehalten, noch dazu aus dem CSU-Präsidium?

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Vor dem Wechsel ins Verkehrsministerium lag der Schwerpunkt auf pädagogisch/kulturell „wertvollen“, sprich: harmlosen Spielen – inzwischen genügt es, wenn die eingereichten Titel einfach nur Spaß machen (und natürlich handwerklich möglichst hohen Ansprüchen genügen). Spätestens seit der Regelreform 2015 dürfen sich Juroren „sicher“ fühlen vor dem langen Arm der Politik, die sich phasenweise nicht zu schade war, Jury-Entscheidungen nach Belieben zu korrigieren.

Wo ist die künftige politische Heimat des DCP?

Eklat hin oder her: Es spricht Einiges dafür, dass der Computerspielpreis nach der Bundestagswahl einem anderen Ministerium zugeschlagen wird. Denkbar ist beispielsweise ein Wechsel ins Wirtschaftsministerium oder aber die Rückkehr ins Kanzleramt zum Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, wo bereits der Deutsche Filmpreis zu Hause ist. Nicht ausgeschlossen ist auch ein Andocken an ein noch zu gründendes Digitalministerium, das unter anderem von Dobrindt favorisiert wird und mittlerweile auch im FDP-Wahlprogramm steht.

Kultur, Wirtschaft, Digitales: Die künftige politische Heimat des DCP ist ein Indiz dafür, wo die künftige Koalition die Games-Branche in den nächsten vier Jahren verorten möchte.

Bereits in wenigen Wochen soll nun feststehen, wie es mit dem DCP weitergeht. Klar ist nur eines: Branche, Politik und Verbände wollen an der Auszeichnung festhalten. Irgendwie. Selbst das Team von Mimimi Productions wünscht sich „einen starken, glaubwürdigen und branchen- sowie bundesweit akzeptierten DCP“ und blickt dem DCP 2018 „positiv entgegen“.

Deutscher Computerspielpreis 2018: Fünf konkrete Vorschläge

Doch ein Medienpreis ist natürlich immer nur so gut wie das Vertrauen und der Respekt, der ihm in der Öffentlichkeit entgegen gebracht wird. Daher muss zwangsläufig das Regelwerk weiterentwickelt werden – hier fünf konkrete Vorschläge.

1. Abwesenheiten und Enthaltungen protokollieren

Überfällige Verbesserungen und Selbstverständlichkeiten sind häufig die Folge kleiner und großer Katastrophen. Erst nach dem Untergang der Titanic im April 1912 wurden Vorschriften erlassen, die hinreichende Rettungsboote in der Seefahrt verbindlich machten.

Weil bei DCP-Hauptjury-Sitzungen bislang weder Enthaltungen und Abwesenheiten notiert werden, kam überhaupt der Verdacht auf, ungezählte Stimmen hätten zu zweifelhaften Ergebnissen geführt. Daher: Im Protokoll muss vermerkt sein, welcher Juror bei einer Wahlrunde nicht abstimmen darf, kann oder will.

2. Funktionäre raus aus der Jury

Um jeden noch so minimalen Anschein fehlgeleiteter Einzel-Interessen zu vermeiden, sollten weder Fach- noch Hauptjury mit Vertretern der Ausrichter besetzt sein – egal ob Geschäftsführer, Geschäftsstellen-Team, Berater, Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter des zuständigen Ministeriums. Das gilt auch und gerade für den Jury-Vorsitz. Nur so wird die nötige Unabhängigkeit und Neutralität gewahrt.

3. Hauptjury-Protokoll veröffentlichen

Auch in den Tagen nach der DCP-Gala kreiste die Debatte im Wesentlichen um jenes ominöse „Protokoll“, das den GAME Bundesverband zur Distanzierung von den Entscheidungen in drei Kategorien veranlasst hatte. Das Sitzungs-Protokoll unterliegt weiterhin der Geheimhaltung. Mindestens die konkreten Abstimmungsergebnisse sollten aber nach künftigen Verleihungen im Internet einsehbar sein, so dass sich sowohl Preisträger als auch Nominierte und natürlich die Öffentlichkeit ein eigenes Bild machen können.

4. Publikumspreis überdenken

Das Pracht-Rollenspiel „The Witcher 3“ hat zweimal in Folge den Publikumspreis gewonnen – zu Recht. Ein solcher Publikumspreis gehört zur Serienausstattung vieler Preisverleihungen, a) aus PR-Gründen und b) um dem „Volk“ ein Gefühl der Teilhabe zu geben.

Der Haken: Den Preis räumt zwangsläufig das meistverkaufte Spiel beziehungsweise das Spiel mit der größten/aktivsten Community ab. Übertragen auf den Oscar hieße das: Den „Best Picture“ gewinnt nicht „Moonlight“ oder „No Country for Old Men“ oder „12 Years A Slave“, sondern „Fifty Shades of Grey“, „Fast and Furious 8“ oder „The Avengers“.

Für diese Mechanik gibt es unzählige Beispiele – siehe Bayerischer Filmpreis 2016: Den Publikumspreis holt sich – Überraschung! – die Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“, mit über 3 Millionen Zuschauern der erfolgreichste deutsche Film 2016. Beim Deutschen Filmpreis hat man die Online-Abstimmung 2014 aus exakt diesem Grund wieder abgeschafft und gibt den Preis seitdem der Einfachheit halber direkt an den besucherstärksten Kinofilm.

Vorschlag stattdessen:

5. Endverbraucher einbinden

In früheren DCP-Hauptjurys gab es stets einen Vertreter der Spielerschaft – ein Amt, für das man sich im Vorfeld bewerben konnte. An seine Stelle trat zur Regelreform 2015 der „Publikumspreis“. Doch der hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten (siehe vorheriger Punkt). Warum nicht jede Fachjury mit einem Spieler-Vertreter besetzen oder ergänzen, zumindest bei den nationalen Kategorien? Oder fünf, sechs Endverbraucher in die Hauptjury holen, die sich nicht von Berufs wegen mit Spielen auseinandersetzen? Je vielfältiger die Jury-Besetzung, desto besser.

In einem Interview hat die Jury-Vorsitzende Bär übrigens zu Protokoll gegeben, man wolle mit der glamourösen Gala „möglichst große Teile der Gesellschaft“ ansprechen. Dem Medien-Echo auf den Eklat nach zu urteilen lautet die Erkenntnis: Mindestens dieses Ziel wurde erreicht.

Disclaimer: GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich ist Jury-Mitglied des Deutschen Computerspielpreises und war 2017 Fachjury-Mitglied in der Kategorie „Bestes Gamedesign“ sowie Teil der 25köpfigen Hauptjury.