Warum wird „Europas größtes Spielemagazin“ eingestellt? Mit dem angekündigten Aus für die gedruckte Computer Bild Spiele endet eine 20jährige Ära – die Analyse zur Meldung des Tages.
Zeitschriften sind ganz schön zähe Biester: Verlage stellen Hefte üblicherweise erst dann ein, wenn es gar nicht mehr anders geht – oder wenn ein Objekt im Rahmen einer Sortimentsbereinigung keine strategische Rolle mehr spielt.
Warum? Insbesondere eingeführte Magazine mit treuem Abonnenten-Stamm verfügen über hinreichend Fettrand bei der Kostenstruktur. Die Einsparungs-Potenziale sind vielfältig – Seitenumfänge, Papierqualität, Heftvarianten, Druckauflagen, Druckerei-Standort und nicht zuletzt: Personal. Ganze Redaktionen und Abteilungen werden entweder reduziert oder gleich komplett ausgelagert, wodurch weitere Monate „erkauft“ werden.
Deshalb halten Zeitungen und Zeitschriften normalerweise viel länger durch, als dies von außen betrachtet beim Blick auf die erdrutschartige Auflagen-Entwicklung der Fall sein dürfte.
Doch in den vergangenen Monaten muss bei Springer die Erkenntnis gereift sein, dass die Möglichkeiten nun endgültig ausgereizt sind. Insbesondere die unbefriedigende Rendite-Situation dürfte ausschlaggebend gewesen sein. Wie sonst ist zu erklären, dass die Beschäftigten der ausgelagerten Axel Springer Digital GmbH unter dem Motto „Wir sind keine Schnäppchen!“ erst vor wenigen Monaten in den Warnstreik traten, weil die letzte Gehaltserhöhung zehn Jahre her ist?
Und deshalb wurde heute bekannt, dass in zwei Monaten die letzte Ausgabe der Computer Bild Spiele erscheint – ein Heft, das einst 700.000 Menschen in Deutschland gekauft haben und zuletzt nur noch mit Mühe 28.000 Käufer fand.
Fünf Faktoren dürften eine Rolle gespielt haben:
1. Vertriebs-Teufelskreis
Print ist keineswegs tot: Monat für Monat gibt es höchst erfolgreiche Neueinführungen. Doch der Trend ist eindeutig: Spätestens seit Mitte der 2000er Jahre kennen die Auflagenzahlen von Tageszeitungen, Nachrichtenmagazinen und Yellow-Press-Heften nur eine Richtung – nach unten.
Das hat etwas mit Demographie zu tun, mit Mediennutzung, mit dem Internet, mit Preisleistung, manchmal mit Qualität. Oft liegt es aber auch schlichtweg daran, dass ein Titel aus dem Sichtfeld des Käufers verschwindet. 2018 gab es immer noch 100.000 Orte in Deutschland, an denen Zeitschriften angeboten wurden – Bahnhofsbuchhandlungen, Schreibwarenläden, Supermärkte, Tankstellen, Discounter, Kioske. Doch was einst in dicken Stapeln an der Kasse auslag, verschwindet heute als trauriges Einzelstück im Regal.
Weniger Verkäufe bedeuten geringere Druckauflage – geringere Auflage bedeutet wiederum weniger Standorte, an denen das Heft überhaupt zu bekommen ist. Dies resultiert in weniger Verkäufen, und der Teufelskreis beginnt von neuem. Hat sich diese Abwärtsspirale einmal in Gang gesetzt, ist sie kaum zu stoppen. Aus Stammkäufern werden Gelegenheits-Käufer – und schließlich: Gar-nicht-mehr-Käufer.
2. Eingebrochener Anzeigen-Markt
Um die Jahrtausendwende herum galten Computerspielemagazine als regelrechte Goldgruben – auch deshalb, weil die Anzeigen-Einnahmen nur so sprudelten. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ein Publisher nach dem anderen stoppte das Print-Marketing – nahezu das komplette Budget wurde in die Online-Werbung und in Influencer-Kampagnen umgeleitet.
Dadurch ist es auch nicht länger notwendig, Auflagenkosmetik zu betreiben, um möglichst hohe Anzeigenpreise verlangen können. Marktübergreifend werden zum Beispiel sukzessive Bordexemplare zurückgefahren – also jene Gratis-Hefte, die unter anderem in Flugzeugen ausliegen. Und: Computer Bild Spiele war eines von ganz wenigen Computer-Heften, das bis zuletzt Auflagen an die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) gemeldet hat.
3. Sondersituation Computer- und Games-Magazine
Mit Ausnahme von Jugendmagazinen wie der legendären BRAVO gibt es kein Zeitschriftensegment, das in den vergangenen 15 Jahren derart unter die Räder gekommen wäre wie der Computer- und Spiele-Sektor.
Das liegt natürlich in erster Linie an der Online- und YouTube-Konkurrenz, aber eben auch an der Aktualität: Der Druckunterlagenschluss ist ein (meist) unverhandelbarer Termin – alles, was eine Stunde später ankommt, schafft es nicht mehr ins Heft. Dadurch sind monatlich erscheinende Printmagazine zwangsläufig schon ab der Sekunde veraltet, in der sie in Druck gehen.
4. Überaltertes Geschäftsmodell
Computerspielemagazine sind wie Volksparteien: Sie müssen ein gewaltiges Spektrum an Themen abdecken, um die Stammkundschaft bei Laune zu halten. Doch dieser Spagat gelingt bei steigendem Konkurrenzdruck immer seltener: Online-Rollenspiele, Strategiespiele und Open-World-Action-Adventures bieten genügend Stoff, um den Spieler tage-, wochen-, monate-, immer öfter: jahrelang zu beschäftigen – zumal sich die Spiele durch Battlepasses, Updates sowie DLCs permanent verändern.
Rund um „Minecraft“, „Fortnite“, den „Landwirtschafts-Simulator“, „League of Legends“ oder „FIFA“ haben sich eingeschworene Communities herausgebildet, die mit einem gedruckten One-size-fits-all-Monatsmagazin nichts anfangen können, weil sie ihre sehr speziellen Interessen dort buchstäblich nicht abgebildet sehen.
5. Achillesferse Vollversion
Ausschläge in den CBS-Auflagenkurven hatten meist einen klar benennbaren Grund: die Aktualität und Qualität der jeweiligen Vollversion, also des beigepackten Spiels auf der Heft-CD beziehungsweise -DVD. Zuweilen überstieg der Wert der Vollversion den Kaufpreis des Heftes um ein Vielfaches. Mit Ausgabe 7/2018 wurde zum Beispiel der Bestseller „Shadow Tactics: Blades of the Shogun“ ausgeliefert – ein Spiel, das zu diesem Zeitpunkt bei Steam für 40 Euro angeboten wurde.
Das Modell hat Springer bis zuletzt unverändert fortgeführt: Inklusive „Vorteilsaktionen“, Rabatt-Codes und Vollversion wurde die Ausgabe 5/2019 als „wertvollste Ausgabe des Jahres“ beworben – angeblicher Wert: 290 Euro.
Der rasche Preisverfall bei Vollpreis-Spielen und das Überangebot an herausragenden, immer öfter kostenlosen Spielen (Stichwort „APEX Legends“) hat den Stellenwert der Vollversion kontinuierlich sinken lassen. In einem Alles-oder-nichts-Schritt stellte Springer zuletzt sogar von DVD auf Vollversions-Download-Codes um, was die Wertigkeit des Hefts zusätzlich schrumpfen ließ.
War das Aus für Computer Bild Spiele vermeidbar? Tendenziell: nein. Die genannten Entwicklungen waren und sind unumkehrbar. Analog zur Titanic war nicht die Frage, ob der Dampfer untergeht, sondern wann und wie schnell.
Diese Frage ist seit heute beantwortet: Anfang August wird es soweit sein. Immerhin: Kündigungen wird es nach Unternehmensangaben vorerst nicht geben – die Belegschaft soll vollumfänglich für den Betrieb von computerbild.de eingesetzt werden.
Disclaimer: GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich war über 20 Jahre für den Computer-Bild-Spiele-Mitbewerber Computec Media (u. a. PC Games) tätig, davon 14 Jahre in der Chefredaktion.