Start Marketing & PR Cyberpunk 2077-Doku: „Wir standen kurz davor, das Thema zu beerdigen“

Cyberpunk 2077-Doku: „Wir standen kurz davor, das Thema zu beerdigen“

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ttt-Redakteur David Gern und Fabian Döhla, Head of Communications bei CD Projekt Red (Fotos: hr / privat)
ttt-Redakteur David Gern und Fabian Döhla, Head of Communications bei CD Projekt Red (Fotos: hr / privat)

Der lange Weg von der Idee in die ARD Mediathek: Warum CD Projekt Red das Wagnis einer Doku über Cyberpunk 2077 eingegangen ist.

Ganz ohne Vorkenntnisse geht es nicht: Ungefähr erst auf halber Strecke der 75minütigen Dokumentation Inside the Game – Cyberpunk 2077: Phantom Liberty erschließt sich dem Laien das ganze Ausmaß jenes Dramas, das zum Jahreswechsel 2020/21 die Videospiele-Welt erschütterte.

Denn Cyberpunk 2077 war (und ist) nicht irgendein Action-Rollenspiel, sondern ein Mammutprojekt, das mit jeder Verschiebung und jedem Trailer noch höhere Erwartungen triggerte. Mit dem Ergebnis, dass CD Projekt Red ein Produkt mit schlimmen technischen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten auslieferte (Details). CD Projekt Red – ausgerechnet. Jenes polnische Studio, das sich mit der The Witcher-Serie beispielloses Renommee aufgebaut hat.

Wie es zu dieser Tragödie kommen konnte, was das mit den Entwicklern gemacht hat und wie das Team die Rehabilitierung via Phantom Liberty angegangen ist, all das zeichnen die Autorinnen einer Doku nach, die seit dem 20. September in der ARD Mediathek abrufbar ist.

Das Kamerateam hat die Spieldesigner sowohl privat als auch bei Besprechungen und bei Präsentationen begleitet – was gleichermaßen selten wie ungewöhnlich ist, denn gerade Hersteller von Blockbustern lassen sich äußerst ungerne in die Karten blicken. Vielmehr legen Publisher großen Wert darauf, die gesamte Kommunikation sorgsam zu choreographieren und die ‚Message‘ jederzeit zu kontrollieren.

Wie die Zusammenarbeit in der Praxis abgelaufen ist, erklären Fabian Döhla (Head of Communication bei CD Projekt Red) und David Gern, verantwortlicher Redakteur beim ARD-Kulturmagazin tttTitel Thesen Temperamente.

Cyberpunk 2077-Doku: Die Autorinnen Mariska Lief und Agata Pietzrik mit Spieldesigner Pawel Sasko (Foto: CD Projekt Red)
Cyberpunk 2077-Doku: Die Autorinnen Mariska Lief und Agata Pietzrik mit Spieldesigner Pawel Sasko (Foto: CD Projekt Red)

Cyberpunk 2077-Doku: „Wir standen kurz davor, das Thema zu beerdigen“

GamesWirtschaft: Fabian, wie und wann und über welche Wege kam die Doku zustande? Und wie kompliziert beziehungsweise anstrengend war es, bei den Chefs das Okay zu bekommen?

Döhla: Den Kontakt gab es schon länger – unter anderem über den ttt-Beitrag aus 2020. 2022 haben wir dann erneut gesprochen und mögliche Ansätze diskutiert.

Die interne Freigabe war ein sehr komplexer und sehr anstrengender Prozess. Damit meine ich aber nur das ‚Go‘ – die eigentliche Produktion war dann nochmal ein ganz eigenes Thema.

Wir standen Anfang 2023 auch kurz davor, das Thema zu beerdigen. Einfach weil die verbindlichen Zusagen, der Zeitbedarf und die Logistik sehr komplex waren. Und das in der letzten Phase der Produktion von Phantom Liberty. Den von mir gestarteten E-Mail-Thread („A great opportunity“) habe ich noch. Als Mahnung. Und Motivation.

Die Risiken sind bekannt und natürlich wird nach den „Vorteilen“ gefragt – was bringt uns dieses Risiko aus Studio-Sicht? Da uns nach dem Launch von Cyberpunk 2077 aber fehlende Transparenz vorgeworfen wurde, haben wir es letztendlich als gute Chance gesehen, uns dafür zu öffnen. Auch, weil sowas unseres Wissen in dieser Form – für einen AAA-Release – tatsächlich noch nie passiert ist.

Idris Elba spielt eine Hauptrolle in der Cyberpunk 2077-Erweiterung Phantom Liberty (Abbildung: CD Projekt Red)
Idris Elba spielt eine Hauptrolle in der Cyberpunk 2077-Erweiterung Phantom Liberty (Abbildung: CD Projekt Red)

„Bei CD Projekt Red kann man den Hyperkapitalismus am Wirken sehen.“

David, sobald sich eine komplette Doku einem Unternehmen oder einer Marke widmet, entsteht schnell der Verdacht, es handle sich um Werbung oder Product Placement. Welche Spielregeln gelten in solchen Fällen auf redaktioneller Seite?

Gern: Als wir mit der Idee an CD Projekt Red herangetreten sind, haben wir von Anfang an klar gemacht: Wir wollen eine Doku über Cyberpunk 2077 und Phantom Liberty machen, das trägt sicher zur weiteren Popularität des Spiels und eurer Arbeit bei, aber wir arbeiten unabhängig und kritisch. Das waren die Spielregeln.

Natürlich sprechen wir ab, mit wem von CD Projekt Red wir wo drehen. Aber wir stellen die Fragen, die wir stellen wollen und wir erzählen die Geschichte, die wir erzählen wollen. In den Printmedien ist es ja zum Beispiel nicht unüblich, dass Interviews vor dem Druck „abgesegnet“ werden. So etwas gibt es bei uns nicht.

Außerdem wollten wir von Beginn an mit externen Beobachtern der Spieleszene sprechen werden. Klar war auch, dass wir mit unserer Doku an die düsteren Orte von CD Projekt Red gehen wollen: Die dramatisch verlaufene Veröffentlichung von Cyberpunk 2077, die kritikwürdigen Arbeitsbedingungen, Stichwort Crunch, die Ankündigung in diesem Jahr, dass rund neun Prozent der Belegschaft entlassen werden.

Von diesen Dingen zu erzählen ist übrigens nicht nur journalistisch geboten, es ist auch dramaturgisch wichtig: Eine Geschichte, in der alles klappt und alles gut ist, will wirklich niemand sehen.

Und: Kritisch und unabhängig zu berichten bedeutet nicht, dass man nicht auch Manches euphorisch begleiten darf. Ja, man muss an die dunklen Orte gehen, aber man muss auch zeigen, warum diese Spiele, Cyberpunk 2077 oder Witcher 3 so viele Menschen begeistern, warum sie ihnen so viel bedeuten. Ich denke, in unserem Film wird deutlich, dass dort in Warschau sehr interessante – wenn auch nicht unambivalente –  Menschen arbeiten, dass dort exzeptionelle – wenn auch nicht fehlerlose – Spiele entstehen, dass diese Spiele unter teils problematischen Bedingungen entstehen.

Manche dieser Probleme sind hausgemacht, andere systemisch. Ich würde sage: Bei CD Projekt Red kann man den Hyperkapitalismus am Wirken sehen.

Ab dem 20. September 2023 in der ARD-Mediathek: die Doku 'Inside the Game: Cyberpunk 2077: Phantom Liberty' (Abbildung: HR)
Ab dem 20. September 2023 in der ARD-Mediathek: die Doku ‚Inside the Game: Cyberpunk 2077: Phantom Liberty‘ (Abbildung: HR)

Cyberpunk 2077-Doku: „Aus PR-Sicht habe ich sehr, sehr viele unruhige Tage gehabt und intern viel Druck gespürt.“

Die Doku zeigt deine CD-Projekt-Red-Kollegen in sehr persönlichen, auch ‚kritischen‘ Situationen. Welche Grenzen habt ihr beziehungsweise die Autoren im Vorfeld beziehungsweise im laufenden Prozess gezogen, was gefilmt und gezeigt wird – und was nicht?

Döhla: Es gab mit den Hauptprotagonisten ausführliche Vorgespräche, die Produktion war zu jeder Zeit hochprofessionell und basiert auf täglichem Austausch. Einige der Vorschläge des TV-Teams waren nicht umsetzbar, zum Beispiel aus den genannten, persönlichen Gründen. Aber da haben wir dann zusammen mit allen Personen immer nach einer guten Alternative gesucht.

Angesichts der Logistik ist das alles recht gut gelungen, finde ich – immerhin liegt das Studio in Polen, da kann man ja nicht innerhalb von zwölf Stunden mit einem kompletten Drehteam spontan aufschlagen.

Aus meiner Sicht haben wir am Ende mehr persönliche und ungefilterte Eindrücke bekommen, als gedacht. Auch wenn es aus Sicht des TV-Teams sicher immer noch mehr sein kann. Um meine Kollegen und Kolleginnen zu zitieren: „Oh, Fabian with his TV crew. Again.“ – aber schon meistens mit einem Lächeln gesagt.

Phantom Liberty ist die erste große Erweiterung zu Cyberpunk 2077 (Abbildung: CD Projekt Red)
Phantom Liberty ist die erste große Erweiterung zu Cyberpunk 2077 (Abbildung: CD Projekt Red)

Ihr hättet so ein ‚Making of‘ auch in Eigenregie arrangieren können – mit voller Kontrolle über Message und Bildsprache. Warum habt ihr das ‚Risiko‘ in Kauf genommen, dass Externe eure Story erzählen?

Döhla: Den Making-Of-Bereich bedienen wir ja bereits – etwa mit dem eigenen Format Night City Wire, mit Streams unserer Kolleginnen und Kollegen und anderen Einblicken.

Imagefilme sind schön. Aber es sind eben auch Imagefilme. An den Reaktionen sieht man: Viele Zuschauer und Zuschauerinnen sind überrascht, wie ungefiltert und ehrlich diese Dokumentation ist.

Es gab natürlich keinerlei Freigabeschleifen, die Abstimmung erfolgte nur bei rechtlichen Themen, zum Beispiel die Nutzung von Soundtracks, Footage, Rechte am Videomaterial. Der einzige direkte Einfluss war der Hinweis ganz am Ende der Doku bezüglich dem Format und der Aufnahmezeit der Ingame-Footage. Wir sind an dieser Dokumentation natürlich finanziell in keinster Weise beteiligt.

Aus PR-Sicht habe ich sehr, sehr viele unruhige Tage gehabt und intern viel Druck gespürt. Aber manchmal kann sowas auch gut sein. Hoffentlich sehen auch andere Studios, dass sich Transparenz auch lohnen kann.

CD Projekt Red-Studioleiter Adam Badowski während der Dreharbeiten zur Cyberpunk 2077-Doku (Foto: CD Projekt Red)
CD Projekt Red-Studioleiter Adam Badowski während der Dreharbeiten zur Cyberpunk 2077-Doku (Foto: CD Projekt Red)

„Die meisten Videospiel-Berichte lesen sich noch immer wie Waschmaschinentests“

David, ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sind Videospiele-Themen im Vergleich zum Film nach wie vor im Fernsehen unterrepräsentiert. Aus der täglichen Praxis gesprochen: Was macht es so kompliziert und anstrengend, Games stattfinden zu lassen – gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Gern: Die erste Schwierigkeit für eine Dokumentation wie unsere ist ein bildliches: Alle sitzen die ganze Zeit vor Bildschirmen. Das ist nicht spannend. Da braucht es kreative Lösungen, denn eigentlich passiert ja ganz viel in den Köpfen der Designer.

Das Problem ist natürlich ein größeres: Obwohl Videospiele die umsatzstärkste Kultur-Branche sind, werden sie unverständlicherweise immer noch als Nische wahrgenommen. Da gibt es natürlich einen Generation-Gap – für viele Ältere ist es eine Welt, zu der sie einfach keinen Zugang haben.

Allerdings sitzen inzwischen in den Redaktionen viele Menschen, die mit Super Mario und dem Gameboy oder Counter-Strike aufgewachsen sind. Ich bin einer von ihnen. Es könnte sich also jetzt ändern. Dass Videospiele dennoch so wenig in den Medien vorkommen, liegt meiner Meinung nach daran, dass wir immer noch nicht richtig gelernt haben, über Videospiele zu sprechen.

Was ich meine: Es gibt eine lange Historie der Filmkritik. Die meisten Videospiel-Berichte dagegen lesen sich noch immer wie Waschmaschinentests: Grafik gut, Sounds ok, Fehler dies das, Note drunter. Das muss sich ändern. Ja, Videospiele sind Technik, aber sie sind vor allem Kultur, ein oft emotionaler Teil des Alltags vieler Menschen. Wir haben einfach keine Übung darin, davon zu erzählen.

Es gibt noch ein weiteres Problem: Videospiel-Firmen sind notorisch verschlossen. Sie wollen nicht das Material oder Interna nach draußen dringen. Insofern ist es bemerkenswert, dass uns dieser Film über CD Projekt Red gelungen ist.

ttt-Redakteur David Gern und Fabian Döhla, Head of Communications bei CD Projekt Red (Fotos: hr / privat)
ttt-Redakteur David Gern und Fabian Döhla, Head of Communications bei CD Projekt Red (Fotos: hr / privat)

ttt-Redakteur David Gern: „Unsere Doku ist klar ein Mediatheks-Produkt.“

Abschließend: Wie geht die Erklärung, dass die Doku ’nur‘ in der Mediathek zu sehen ist und nicht etwa im ARD-Hauptprogramm, wo ja ganz anderes Publikum zu erreichen wäre?

Gern: Wir haben im Fernsehen und im Internet einfach unterschiedliche Zielgruppen. Unsere Doku ist klar ein Mediatheks-Produkt. Sie soll jüngere Menschen ansprechen, die sich für anderen Geschichten interessieren und auch eine andere Bildsprache gewöhnt sind als das eher etabliertere – ja auch ältere – Fernsehpublikum.

Das Fernsehen muss zwangsläufig immer eine etwas breitere Masse ansprechen, es muss im Mainstream bewegen, einen Auswahl verschiedener Themen bieten. Im Netz dagegen sind etwas speziellere Themen möglich, bei denen man dann auch tiefer gehen kann.

Inside the game – Cyberpunk 2077 Phantom Liberty richtet sich an Menschen, die eher nicht mehr Fernsehen schauen, sondern Netflix, YouTube oder TikTok nutzen. Denen wollen wir sagen: Schaut her, was euch interessiert, findet ihr auch in der ARD Mediathek. Wir bieten euch dabei die hohen journalistischen Standards, die ihr von den Öffentlich-Rechtlichen erwarten dürft – 75 Minuten lang.

David, Fabian, vielen Dank für die Einblicke.