Start Wirtschaft Wirecard-Skandal: Games-Branche arbeitet an Notfall-Plänen (Update)

Wirecard-Skandal: Games-Branche arbeitet an Notfall-Plänen (Update)

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Gameforge-Neuheit
Gameforge-Neuheit "Kingdom Under Fire 2": Der Karlsruher Online-Games-Riese wickelt Zahlungen über Wirecard ab (Abbildung: Gameforge)

Der Bilanz-Skandal bei Wirecard beschäftigt auch Deutschlands Spiele-Entwickler: Online-Games-Anbieter rüsten sich für den Fall, dass die Turbulenzen anhalten.

Update vom 24. Juni 2020: Wir haben den Beitrag um weitere Einschätzungen aus der deutschen Branche ergänzt.

Wie um alles in der Welt können 1,9 Milliarden Euro bei einem Zahlungsdienstleister einfach so ‚verschwinden‘ – noch dazu bei einem DAX-Konzern wie Wirecard?

Mit dieser Frage beschäftigt sich seit dieser Woche die Staatsanwaltschaft München: Im Raum steht der Verdacht der Kurs- und Bilanzmanipulation. Am heutigen Dienstag hatte der Ermittlungsrichter über Untersuchungshaft für den zurückgetretenen Vorstands-Chef Markus Braun zu entscheiden – gegen Zahlung einer Kaution von 5 Mio. Euro ist Braun wieder auf freiem Fuß, muss sich aber wöchentlich bei der Polizei melden. Bereits Anfang Juni hatte die Börsenaufsicht Bafin den Konzern angezeigt und die Geschäftsräume durchsuchen lassen.

Die Wirecard AG mit ihren fast 6.000 Beschäftigten sieht sich selbst als Opfer: Die auf Treuhandkonten gelagerten Milliarden-Guthaben würden „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“, wie das Unternehmen per Ad-hoc-Mitteilung einräumte. Hinzu kommt nun auch noch eine handfeste Management-Krise: Am gestrigen Montag wurde COO Jan Masalek vom Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden.

Der Fall weckt unrühmliche Erinnerungen an die Causa Phenomedia – wenngleich natürlich in einer vielfach größeren Dimension. Die „Moorhuhn-AG“ galt Anfang der 2000er Jahre als Shooting-Star am Frankfurter Parkett, ehe die Wirtschaftsprüfer ihren Stempel verweigerten. Grund: nicht existente Umsätze – also analog zu Wirecard. Die Phenomedia-Manager wurden wegen Bilanzfälschung, Untreue und Kreditbetrug zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Bei Wirecard haben die Ermittlungen der Justiz gerade erst begonnen. Fest steht aber: Für stationäre Einzelhändler, Discounter, Ketten, Gastronomie, E-Commerce-Anbieter oder die Tourismus-Branche ist das Unternehmen von großer Bedeutung. Der Zahlungsdienstleister bietet Schnittstellen für Bezahlvorgänge in Online-Shops oder bei Kreditkartenzahlungen an – ist also somit ein wichtiges Bindeglied zwischen Kunde und Händler.

Mittlerweile mehren sich Sorgen, Wirecard könnte das anhaltende Erdbeben nicht überstehen. Der Aktienkurs ist in den vergangenen Tagen förmlich eingebrochen: Im April kostete die Wirecard-Aktie noch knapp 140 Euro, mittlerweile liegt der Kurs bei unter 20 Euro.

Zur Stunde steht die IT-Infrastruktur bei Wirecard uneingeschränkt zur Verfügung, wie das Unternehmen beteuert. Doch eine weitere Verschärfung der Krise beim Zahlungsdienstleister hat möglicherweise auch Auswirkungen auf nationale und internationale Computerspiele-Entwickler. Denn Wirecard rechnet auch Ingame-Käufe – also kostenpflichtige Downloads in Online-Games und Browserspielen – für viele kleine und große Games-Unternehmen und -Plattformen ab. Auf der Kundenliste von Wirecard-Partner Xsolla stehen zum Beispiel die Amazon-Tochter Twitch, Steam, Epic Games und Ubisoft.

GamesWirtschaft hat sich bei führenden deutschen Studios und Publishern umgehört. Erkenntnis: Einige Games-Produzenten arbeiten gar nicht oder nicht direkt mit Wirecard zusammen, darunter Yager (Berlin), HandyGames (Giebelstadt), CipSoft (Regensburg), Travian Games (München) oder Upjers (Bamberg). Das gilt insbesondere für Firmen, die keine eigenen Shops betreiben: Wer iOS- und Android-Spiele in den Appstores, PC-Spiele bei Steam oder Switch-Titel im Nintendo eShop anbietet, bekommt sein Geld direkt von Apple, Google, Valve oder Nintendo.

Anders bei Unternehmen, die sich zum Beispiel auf Online-Spiele und Browser-Games spezialisiert haben – erst vor zwei Jahren hat der Karlsruher Spielehersteller Gameforge („AION“, „TERA“, „Metin 2“) bei Wirecard unterschrieben. Seitdem übernimmt der Dienstleister die komplette Abwicklung von Kreditkartenzahlungen für das Gameforge-Sortiment, das in 75 Ländern angeboten wird.

„Wirecard ist einer von vielen Anbietern, die wir unser Bezahlsystem integriert haben. Die Technologie von Wirecard funktioniert einwandfrei – und bislang haben wir keinerlei Grund zur Klage“, stellt Gameforge-Manager Tom Burck klar. Das Risiko eines Wirecard-Ausfalls für die Branche ist aus Burcks Sicht ‚überschaubar‘: „Es gibt genug Alternativen am Markt, die wir einerseits bereits angebunden haben und anderseits bei Bedarf mit wenig Aufwand einbinden könnten.“

Zu den Wirecard-Partnern zählt auch das Hamburger Studio Bytro Labs („Call of War“). „Wirecard wurde bei uns für alle unsere Spiele direkt oder über Goodgame Studios als Credit Card-Option benutzt“, sagt Sebastian Teuber, der als Head of Product Development die Payment-Prozesse verantwortet.

„Das Risko, dass Wirecard zusammenbricht oder es zu andersartigen Problemen kommt, bringt gewisse Gefahren mit sich für die Branche, wenn sie sich darauf nicht vorbereitet“, so Teuber. „Aber: Die Zahlmethode zu wechseln ist heute kein großer Schritt mehr. Man muss nur Zeit einplanen, einen kompletten Wechsel auf ein neues System zu vollziehen – oder man versucht, es über bestehende Systeme zu lösen.“

Was mit Wirecard passiert, könne niemand seriös voraussagen: „Aber ich denke, dass die ganze deutsche Games-Branche gerade Notfallpläne aufstellt beziehungsweise jetzt schon handelt. Für uns kann ich sagen: Wir haben schon gehandelt.“

Teubers Bewertung deckt sich mit Reaktionen anderer Anbieter, die zum Teil nicht zitiert werden möchten: Gerade bei den Großen der Branche beobachtet man die Wirecard-Entwicklung mit wachsender Sorge.

Etwas entspannter sieht man die Lage bei WHOW Games, ebenfalls in Hamburg: Das von Bigpoint-Gründer Heiko Hubertz aufgebaute Unternehmen nutzt Wirecard für einen Teil der Zahlungen. „Aus Sicht von WHOW ist unser Risiko überschaubar, da wir flexibel und kurzfristig auf andere Payment-Provider wechseln können“, erläutert Finanz-Chef Kay Strenziok auf GamesWirtschaft-Anfrage. „Aufgrund der aktuellen Unsicherheiten bezüglich Wirecard haben wir uns entschieden, übergangsweise auf alternative Anbieter zu wechseln und die weitere Entwicklung von Wirecard abzuwarten. Das Risiko ist dementsprechend für WHOW überschaubar.“

Eine systemische Gefahr für die deutsche Online- und Mobilegames-Industrie kann Strenziok nicht erkennen: „Die Auszahlungen über Wirecard sind auch wöchentlich möglich – mit einer entsprechenden Fallback Lösung sollte die Wirecard-Krise kein signifikantes Risiko für die Games Branche darstellen.“

Bei CipSoft in Regensburg – Betreiber des Online-Rollenspiels „Tibia“ – erwartet man keine Auswirkungen der Wirecard-Krise auf das Unternehmen. „Bislang scheint die technische Plattform von Wirecard ja weiterhin zu funktionieren, insofern ist die Zahlungsabwicklung nicht gefährdet“, analysiert Co-Gründer Stephan Payer und verantwortlich für Finanzen und Personal. „Sollte die Plattform tatsächlich abgeschaltet werden, stünde eine Vielzahl von Zahlungsdienstleistern als Alternative bereit, wobei der Wechsel natürlich mit einem gewissen Implementierungs-Aufwand verbunden wäre.“

Nur zehn Kilometer Luftlinie entfernt vom Wirecard-Hauptquartier im Münchener Vorort Aschheim hat die Travian Games GmbH ihren Sitz – der größte Arbeitgeber der bayerischen Games-Industrie. „Trotz der räumlichen Nähe nutzen wir derzeit Wirecard weder als Payment-Processor noch als Payment-Partner“, erklärt Managing Director Frederik Hammes. „Wir waren bisher von der Qualität und technischen Stabilität des Angebots nicht überzeugt.“

Im Sinne der Branche hoffe er natürlich, dass das Unternehmen jetzt zügig und transparent agiert. Das Risiko einer Verschärfung der Krise hält er mit Blick auf den Gaming-Bereich für überschaubar: Allein Travian Games bietet seinen Spielern über 35 verschiedene Zahlungsmethoden an. „Wenn davon eine wegfiele, würde das für manche Kunden eine Umstellung bedeuten“, gibt Hammes zu bedenken. „Aber ich gehe nicht davon aus, dass sie deswegen ein Spiel nicht mehr spielen beziehungsweise dafür kein Geld mehr ausgeben würden.“

GamesWirtschaft sammelt weitere Einschätzungen aus der deutschen Computerspiele-Branche – der Beitrag wird laufend ergänzt und aktualisiert.


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