Gehören 300-Euro-Konsolen der Vergangenheit an? Deutschlands Spiele-Entwickler sind in dieser Frage zurückhaltend bis skeptisch.
Seit Dienstag diskutiert die internationale Games-Branche über ein neues Google-Produkt, zu dem bislang wenig mehr als die grundlegenden Funktionen bekannt sind. Die haben es allerdings in sich. Denn Stadia soll es ermöglichen, moderne Videogames in bester Qualität nahtlos auf allen gängigen Endgeräten zu nutzen, vom Smartphone bis zum Fernseher. Die Berechnung übernimmt nicht die Konsole oder der PC, sondern das Google-Rechenzentrum – übertragen wird nur das ‚Ergebnis‘. Hinzu kommen charmante Funktionen wie der „Google Assistant“, der passend zur Spielsituation Hilfestellungen abruft.
„Die Zukunft des Gamings ist keine Konsole“ – so lautet das selbstbewusste Motto, mit dem Google die Platzhirsche Microsoft, Sony und Nintendo unter Druck setzt. Der Suchmaschinen-Riese geht folglich davon aus, dass dezidierte Spielgeräte wie PlayStation, Switch, Xbox One und Spiele-PCs ausgedient haben. Doch ist dieses Szenario wirklich realistisch oder handelt es sich nur um Marketing-Getöse?
Wie wahrscheinlich ist also die Google-Prophezeiung, dass Konsolen durch Stadia mittelfristig ‚überflüssig‘ werden?
Auf Anfrage von GamesWirtschaft haben sich bislang namhafte Spiele-Entwickler geäußert:
- Jens Begemann, Gründer und CEO von Wooga („June’s Journey“) in Berlin
- Henning Schmid, Head of Publishing bei Yager („The Cycle“) in Berlin
- Klaus Schmitt, Gründer und CEO von Upjers („My Free Zoo“)
- Hendrik Klindworth, Gründer und CEO von InnoGames („Forge of Empires“)
- Todd English, CEO des Karlsruher Mobilegames-Publishers FlareGames („Nonstop Knight“)
- Daniel Stammler, Gründer und CEO des Berliner Mobilegames-Studios Kolibri Games („Idle Miner Tycoon“)
- Avni Yerli, Gründer und CEO von Crytek („Hunt: Showdown“, CryEngine) in Frankfurt
- Jennifer Pankratz, Spieledesignerin bei Piranha Bytes („ELEX“)
- Jan Theysen, Gründer und CEO des Bremer Studios King Art Games („Iron Harvest“, „The Book of Unwritten Tales“)
- Eva-Maria Büttner, Business Development Manager bei Travian Games in München
- Tom Burck, Vice President Customers & HR / Executive Board Gameforge Group in Karlsruhe
- Marc Wardenga, Head of Games der EuroVideo Medien GmbH („Ostwind 2“) in München
- Florian Emmerich, PR Manager Global bei THQ Nordic („Darksiders 3“, „Desperados 3“)
- Martin Rabl, Marketing und PR Manager bei GIANTS Software („Landwirtschafts-Simulator“)
- Zoran Roso, bekleidete Führungspositionen u. a. bei Take-Two Interactive, Activision Blizzard und Sony Interactive
Dieser Beitrag wird laufend aktualisiert.
Klaus Schmitt, Upjers:
Mit der Ankündigung von Stadia macht Google das Rennen um die beste Games-Plattform auf jeden Fall ein Stückchen spannender.
Wir werden die Entwicklung aufmerksam verfolgen.
Jennifer Pankratz, Piranha Bytes:
Wir sehen das recht entspannt. Erst einmal müsste sich eine Co-Existenz entwickeln, bevor man weiter in die Zukunft schauen kann.
Hendrik Klindworth, InnoGames:
Google wird mit Stadia vor allem eine Alternative zu den etablierten Konsolen bieten. Insofern sehen wir großes Potential, nicht zuletzt durch die angekündigte Verzahnung mit Youtube.
Der Katalog der verfügbaren Spiele und deren Latenz, das Preismodell und die Entwicklung des Wettbewerbs sind aus unserer Sicht kritische Faktoren für den Erfolg der Plattform. Hier sind wir auf weitere Entwicklungen gespannt. Gemeinsam mit mobil verfügbaren Titeln wird Stadia den Trend weg von der Konsole aber sicher weiter stärken.
Henning Schmid, Yager:
Der Japaner würde hier zustimmen, vielleicht auch der Schwede oder der Tscheche. Aber als Deutscher wäre ich vorsichtig, da unser Internet-Ausbau weit hinter anderen Ländern hinterher hängt.
Des Weiteren sollte man erstmal die neue Generation von Konsolen und deren Features abwarten, um eine solche Prognose zu stellen. Vielleicht wird in Zukunft der Wettbewerb weniger von Streaming und Technik definiert, sondern eher im BizDev: Wer hat die besten Exklusivtitel für die eigene Plattform am Start?
Auf jeden Fall hatte die Google-Ankündigung einen kleinen Erdrutsch-Charakter für die Öffentlichkeit, doch in Wahrheit wussten die drei großen Konsolenhersteller schon lange von dem Google-Vorhaben und werden ihre eigenen Pläne entsprechend modifiziert haben. Ich sehe dennoch eine Art Nervosität, die bis zum Marktstart von Stadia anhalten wird – und dann entscheidet der Konsument, ob sich Stadia aus dem Stand heraus behaupten kann.
Sollte Stadia ein voller Erfolg werden, bin ich mir sicher, dass die drei Konsolenhersteller darauf reagieren werden, sei es durch eine Kooperation mit Google oder dem Ausbau der eigenen Streaming-Pläne, die am Ende in einem Preis-Wettbewerb mit einem Kostenvorteil für den Konsumenten enden werden . Und das ist die eigentliche Botschaft: Je mehr Wettbewerb vorherrscht, desto mehr wird der Konsument in den Fokus rutschen und davon profitieren, dass sich Andere um ihn, seine Zeit und seinem Geldbeutel streiten werden.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, nein, Konsolen werden durch Stadia nicht mittelfristig überflüssig, so lange es „Gaming-Länder“ mit schwachem Internetausbau gibt.
Todd English, FlareGames:
Ob die Konsolen nun wirklich überflüssig werden, ist schwer vorauszusagen, aber es setzt sie unter Druck, soviel ist klar. Der Aufstieg der Live- und Free2play-Spiele hat dazu schon beigetragen und durch Stadia wird sich das weiter beschleunigen.
Kurzfristiger betrachtet zeigt die Crossplatform-Fähigkeit von Stadia, dass tolle Spiele der Schlüssel sind – „Fortnite“ ist das Musterbeispiel für ein Game, das die etablierten Mythen über die Plattformen erschüttert und den Erfolg quer über die Grenzen von PC, Konsole und Mobile hinweg gefunden hat.
Wenn Stadia dazu beiträgt, diese Grenzen weiter aufzuweichen, so ist das ganz in unserem Sinne.
Jens Begemann, Wooga:
Wenn Stadia bringt, was Google verspricht, dann stellt es zumindest eine ernsthafte Konkurrenz für Konsolen dar. Leistungsfähige Prozessoren und Graphikkarten im Wohnzimmer werden überflüssig – und als Spieler weiß ich, dass ich immer auf der aktuellsten und somit besten Hardware spiele, wenn ich ein Stadia-Abo habe.
Aber sollte Stadia – und zukünftige vergleichbare Angebote – Konsolen ablösen, dann wird das dauern. Wir werden mit Sicherheit noch eine weitere Konsolengeneration sehen, gerade für Hardcore-Gamer stellt Stadia einen Paradigmenwechsel dar.
Gleichzeitig kann ich mir zumindest in einer Übergangsphase auch hybride Modelle vorstellen – daheim spielt man auf Konsole, unterwegs nutzt man Stadia.
Avni Yerli, Crytek:
Wir sind uns dessen recht sicher, aber tun uns aktuell auch noch schwer, „mittelfristig“ zu definieren.
Aus unserer Sicht sind Konsolen noch lange nicht überflüssig, aber der Weg zum flüssigen Game-Streaming ist seit der Google-Keynote sicher ein wenig kürzer und erfolgversprechender geworden.
Martin Rabl, Giants Software:
Es erhöht jedenfalls den Druck auf die anderen Konsolenhersteller, zu liefern. Eventuell auch etwas Ähnliches aufzubauen. Je nachdem, wie gut die Qualität am Ende dann per Streaming ist, wird es aber auch nach wie vor Spieler geben, die bei der Performance keine Kompromisse eingehen wollen und dafür Konsolen nach wie vor im Haus stehen werden.
Wichtig ist auch, dass Stadia jederzeit reibungslos funktionieren muss. Bei einer Konsole geht man schon davon aus, dass man sie anschaltet und sofort – zur Not offline – spielen kann. Der Onlinezwang bei Stadia ist ja schon systembedingt. Wenn dann auch noch Kinder im Haus sind und die Eltern noch Netflix schauen wollen, wird vielleicht auch die Verbindung eng.
Also: Wenn alles wunderbar klappt, kann es durchaus sein, wie der Wechsel von DVD-Spieler zu Netflix oderPrime. Wenn es aber nicht von Anfang an optimal läuft, kann es auch so werden, dass sich verschiedene Klassen von Gamern auf Konsolen oder eben Streaming wie Stadia verteilen. So wie ja auch heute noch Leute offline Blu-Rays kaufen, weil sie die beste Qualität haben wollen.
Tom Burck, Gameforge:
Das ist zumindest eine mögliche Zukunft.
Aber bis jetzt ist den Herstellern von Konsolen noch immer etwas eingefallen, um sich am Markt zu behaupten.
Ich scheue mich also, das Segment totzusagen.
Marc Wardenga, EuroVideo Games:
Das hängt von der Entwicklung der Internet-Geschwindigkeit ab – 5G kann hier nochmals einen Schub geben.
Konsolen wird es aber noch über Jahre geben, genauso wie es heute noch Bücher gibt.
Florian Emmerich, THQ Nordic:
So wahrscheinlich, wie die mittlerweile Jahrzehnte alten Prophezeiungen, dass DVD-Verkäufe, der PC, der Gaming-Retail-Markt, das Fernsehen oder Print-Medien ‚überflüssig‘ werden.
Lasst uns mit einem klassischen Internet-Meme antworten: ‚Why not both?‘
Jan Theysen, King Art Games:
Wenn mit „mittelfristig“ 15 Jahre oder ähnliches gemeint sind: Möglich. Der große Vorteil von solchen Systemen ist, dass sie für User sehr einfach und bequem zu benutzen sind, sofern die technischen Herausforderungen gelöst werden können. Bequemlichkeit ist ein riesiger Faktor in jeder Art von Medienkonsum. Ich denke nicht, dass Google der einzige Anbieter sein wird und ich denke nicht, dass Konsolen oder der PC aussterben.
„Playstation“ oder „Xbox“ werden Plattformen sein, die auf diversen Endgeräten genutzt werden können, teilweise gestreamt, teilweise nicht. Und es wird nach wie vor eine Gruppe von Spielern geben, für die Spiele etwas anderes sind als „low-commitment Unterhaltung für zwischendurch“. Die wollen ihre Spiele besitzen, sie wollen sie tauschen, sie wollen Mods haben, sie wollen vielleicht sogar noch eine Box im Regal.
Insofern könnte Stadia eine Ergänzung, eine weitere Plattform, ein weiterer Vertriebskanal werden, aber es wird nicht das „Google der Gameswelt“.
Daniel Stammler, Kolibri Games:
Ich denke, dass für dedizierte Konsolen mit klar umgrenzter Zielgruppe, einem Schwerpunkt auf lokalen Multiplayer und einem passenden Ökosystem – nehmen wir die Switch – durchaus Raum bleiben kann.
Ob man in fünf bis zehn Jahren für Core-Gamer noch Konsolen braucht, die sich im Wesentlichen über Exklusivtitel differenzieren, wage ich zu bezweifeln.
Eva-Maria Büttner, Travian Games:
Wie bei jeder neuen „Erfindung“ ist auch hier der Gedanke nicht weit weg, dass ein Medium das andere ersetzen wird. Klar ist, dass mit dem Start von Stadia ein Rückgang an Konsolenverkäufen verzeichnet werden wird.
Aber eine komplette Verdrängung kann ich mir hier ebenso wenig vorstellen wie eine Substitution der Tageszeitung hin zum Online-Medium oder dem Fernsehprogramm zum Streamingdienst Netflix. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Aber wer weiß, vielleicht soll auch Analyst Michael Pachter Recht behalten, als er bereits vor zwei Jahren das Aussterben der Konsole prophezeite.
Zoran Roso, Games-Marketing-Experte:
Mittelfristig bestimmt nicht, wenn wir uns die nächsten drei bis fünf Jahre ansehen, aber darüber hinaus könnte hier durchaus eine Wachablösung eingeläutet werden, die zuerst nur langsam, aber mit der Verbreitung von 5G und der Etablierung und Optimierung der Cloud Gaming-Dienste durch mehrere Major Player dann durchaus rasant vonstatten gehen könnte.
Hier muss allerdings die Technik sowie das Angebot der Anbieter preislich wie inhaltlich stimmen. Mich würde es auch nicht wundern wenn große Publisher eigene Dienste als Direct2Consumer-Channel zu etablieren versuchen werden, ganz so wie es gerade im Filmbereich mit Disney und Warner passiert und Player wie Netflix das Thema Games auch stärker angehen.
Klar ist: Google meint es ernst! Google hat erkannt, dass in der heutigen „Race for Consumer Lifetime“ um eine möglichst integrierte Erfahrung geht. Konsumenten sollen nicht mehr zwischen Medien wie Film, TV, Music und Games unterscheiden, sondern Entertainement als Ganzes erfahren. Sony hat bis dato durchaus ein gutes Gespür mit dem Kauf von Gakai bewiesen, aber dann nicht den konsequenten Wandel zu einer digitalen Company vollzogen, vermutlich vor dem Hintergrund, dass das physische Geschäft zum Zeitpunkt des Erwerbs noch zu dominant war und somit nicht die nötige Konsequenz bei Investments in Infrastruktur und Manpower getätigt wurde.
Zudem ist es eine Geschichte voller verpasster Chancen – etwa mit PlayStation TV eine günstige PlayStation Now-Box in den Wohnzimmern zu etablieren oder per App auf den hauseigenen TVs. Auch hier ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass eine Kannibalisierung der PS4-Verkäufe vermieden werden sollte und zudem das disruptive Potential eines Marktführers immer gering ist.
Google aber auch Microsoft sind hier dank Sonys Dominanz in der Verfolger- oder New Contender-Rolle, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben – und dabei als Unternehmen auch deutlich besser aufgestellt sind, sich mit dem Thema Cloud Gaming auseinander zu setzen, da dies komplementär zu dem restlichen Unternehmenszielen ist. Es wird spannend zu sehen, wie unter anderem Microsoft mit Project xCloud und Nvidia mit GeForce Now nun kontern werden.
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