„I’m not a gamer“ – sagt ausgerechnet der Top-Manager, der das wichtigste Game der kommenden Jahre im Sortiment hat. Darf der das?
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
stellen wir uns für einen kurzen Moment vor, was in der Republik los wäre, wenn der Vorstandsvorsitzende der FC Bayern München AG in einem Interview bekennen würde: „Ehrlich gesagt mach‘ ich mir ja nix aus Fußball …“.
Die Folge wären: eine SPIEGEL-Eilmeldung, zwei ARD-Brennpunkte, eine 11Freunde-Titelstory, eine kurzfristig anberaumte Aktuelle Stunde im Bundestag, tagelanges Sperrfeuer von Bild-Kolumnisten,, „HAU! AB!“-Sprechchöre und -Banner in der Südkurve der Allianz-Arena. Unter anderem.
Im Vergleich dazu hat ein ähnlich gelagerter Vorfall in der Games-Industrie bestenfalls einige hochgezogene Augenbrauen und vergleichsweise milden Spott ausgelöst.
Was war passiert? Strauss Zelnick – unverwüstlicher Langzeit-CEO des börsennotierten US-Spiele-Konzerns Take-Two Interactive – hatte in einem CNBC-Interview (Video) freimütig bekannt: „I’m not a gamer. I do not play video games at all.“
Er sei Chief Executive Officer, kein Consumer-in-Chief. Seine Aufgabe sei es, die Besten der Industrie zu rekrutieren, zu halten und zu motivieren – und ihnen ansonsten nicht auf den Zeiger zu gehen („get out of their way“). So habe er es auch bei seinen vorherigen Stationen im Film-, TV- und Musik-Biz gehalten.

Übertragen auf den Rekordmeister würde dies bedeuten: Der Bayern-CEO sieht seine vordringlichste Mission darin, die Anteilseigner, Verbände und Sponsoren, den Aufsichtsrat plus die Politik (hey, Bär und Klingbeil sitzen im Verwaltungsbeirat) bei Laune zu halten und sich für alle anderen Quests berufene Sportdirektoren und -vorstände an die Seite zu stellen, die sich wiederum um Kader-Planung, Ablösesummen, Vertragsverlängerungen und Trainer-Entlassungen kümmern.
Und am Ende guckt schaut man sich tief in die Augen, ob all dies seriös finanzierbar ist und was vom legendären Festgeld-Konto noch übrig ist. Inwieweit die Auswechslung des Innenverteidigers in der 53. Minute beim Stand von 2:0 gegen den SV Elversberg nun gerechtfertigt war oder nicht, wäre somit auf dieser Gehaltsstufe ein kleines bisschen egal.
Zelnicks Bekenntnis mag im ersten Moment so klingen, als würde ein überzeugter Veganer eine ziemlich gut laufende Wagyu-Metzgerei betreiben. Gerade deshalb fand ich die Antwort erstens aufrichtig und zweitens total nachvollziehbar. Wem genau soll damit geholfen sein, wenn der CEO am Gamepad abhängt? Wozu Nerdigkeit simulieren und den Eindruck vermitteln, man würde seine Wochenenden mit GTA Online oder Civilization 7 zubringen oder in Farmville 2 hochleveln?
Wer dies aus freien Stücken tun will – herzlich gerne. Aber als Teil der Jobbeschreibung? Dann doch lieber einen Boss, der den Laden am Laufen hält und ansonsten den Kreativen in den Werkshallen tatsächlich aus dem Weg geht.
Zur Wahrheit gehört: Einen lässigen Satz wie „I’m not a gamer“ muss man sich in dieser Industrie leisten können – in jeder Hinsicht. Wir reden vom CEO eines Spiele-Konzerns mit knapp 10.000 Angestellten, einem Börsenwert von 40 Milliarden Dollar und Niederlassungen auf dem kompletten Erdball. Da gibt es weiß Gott andere Themen als die Schriftgröße in der GTA-Minimap.
Allein die Frage, ob Grand Theft Auto 6 im Oktober 2025, Januar 2026 oder halt doch erst in zwölf Monaten erscheint, hat gewaltige Auswirkungen aufs komplette Ökosystem – auf Release-Listen, Portfolio-Planung, Business-Pläne, Marketing-Kooperationen, Agenturen, Handel und Ab- und Umsatzzahlen von Konsolen-Herstellern.
Umgekehrt gilt: Je jünger und kleiner ein Studio, desto größer sind zwangsläufig die Schnittmengen zwischen Game-Design, Business Development, Buchhaltung und Vermarktung. Für einen Solo-Entwickler oder ein Indie-Team oder einen mittelständischen Publisher ist es überlebenswichtig, Gamer zu sein. Um nicht nur das eigene Spiel, sondern auch den Mitbewerb auf Steam & Co. genauestens zu kennen – und dadurch einordnen zu können, was man da eigentlich auf den Markt wirft. Und zu welchem Tarif.
Sie wären überrascht, wie viele Menschen in dieser Branche noch vor dem zweiten Bier freimütig zugeben würden: „I’m not a gamer.“ Was halb so wild ist. Ab einer bestimmten Unternehmens-Größe kommt es eher drauf an, dass Rollen klug verteilt und vor allem klar abgegrenzt sind. Denn wer jemals ein Angestelltenverhältnis erlebt hat, weiß: Es gibt wenig Schlimmeres, als wenn sich der Chef mit besten Absichten in den Niederungen des Tagesgeschäfts einbringt und ungefragt Ratschläge mit bestenfalls anekdotischer Evidenz verteilt. Ratschläge, die meist so beginnen: „Leute, habt ihr eigentlich schon mal drüber nachgedacht …“
Psychologen sprechen in solchen Fällen vom Dunning-Kruger-Effekt – eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen dazu neigen, infolge einer kolossalen Fehleinschätzung eigener Kenntnisse ihren Senf anreichen zu müssen. Wer aus dieser Neurose einen Beruf machen will, geht entweder in die Politik oder in den Journalismus oder halt zu Lanz und Maischberger. Um dort den reichsten Unternehmern des Planeten mal präzise aufzudröseln, was bei denen wirtschaftlich so alles schief läuft.
Die Dissonanz fängt ja schon im Privaten an: Jeder wird die Situation kennen, wenn Dunning und Kruger virtuell in Foren oder an der Büro-Kaffeemaschine anwesend sind. Jenen Orten, an denen en passant der Nahost-Konflikt ein für allemal gelöst wird. Wenn doch einfach nur alle beteiligten Parteien mal stumpf aufschreiben würden, was sie am anderen nicht gut finden – „Ist doch so …“
Mein Lieblings-Beispiel für „I’m not a gamer“ datiert aus dem Frühjahr 2009, kurz nach dem Amoklauf von Winnenden, als mal wieder ein Killerspiel-Verbot durchs Dorf getrieben wurde. In einer Talkshow wurde CDU-Fraktions-Vize Bosbach von einem WDR-Experten sinngemäß gefragt, ob er denn selbst schon mal ein Videospiel von innen gesehen habe. Bosbachs vielsagende Replik: Er müsse schließlich kein Baum sein, um sich gegen das Abholzen des Regenwalds zu engagieren.
I’m not a tree. Oder wie man an der US-Ostküste sagt: „I’m not a gamer. I do not play video games at all.“
Und jetzt haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, warum der Games-Standort Deutschland über Jahrzehnte politisch ausgebremst wurde und im internationalen Vergleich immer noch eher so mittelgut da steht. Und warum sich an diesem Zustand in den vergangenen drei Jahren exakt nix geändert hat.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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