Start Meinung Videospiele-Tupper-Party (Fröhlich am Freitag)

Videospiele-Tupper-Party (Fröhlich am Freitag)

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So stellt sich Midjourney eine Videospiele-Tupper-Party vor.
So stellt sich Midjourney eine Videospiele-Tupper-Party vor.

Sony und Microsoft nehmen den Handel aus dem Spiel und verkaufen immer mehr Produkte am Handel vorbei direkt an den Kunden.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

der Weg in den 1. Stock des vor geschätzt 100 Jahren erbauten Gehöfts meiner Großeltern führt auch heute noch über eine extrem enge, extrem steile Treppe. Bis Ende des vorherigen Jahrhunderts gab es dort linkerhand eine weiß-lackierte Holztür mit einem massiven, schwergängigen Schloss, die zu einer Art Asservaten-Kammer führte.

Auf langen, mehrstöckigen Regalen lagerten Hunderte von Gläsern, randvoll gefüllt mit eingelegten Kirschen, Gurken, Pflaumen oder Birnen, die zuvor mit großem Aufwand entlang der Saison geerntet, sortiert, portioniert und eingekocht worden waren.

Immer dann, wenn es sich kulinarisch anbot, wurde eines dieser Gläser aus der Vorratskammer geholt und feierlich geöffnet. Sobald man am Gummiring zog, sprang der Glasdeckel mit einem ‚Plopp‘ ab. Das konservierte Obst kam zum Beispiel als Topping von Grießbrei, Milchreis oder Mehlspeisen zum Einsatz, etwa bei Pfannkuchen – so heißen bei uns wuchtige Crêpes, in Österreich sagt man dazu Palatschinken.

Hergestellt wurden die dafür nötigen Gläser von der mittelständischen J. Weck GmbH & Co. KG in Baden-Württemberg. Deren Slogan: „Weck erfreut uns Kinder – im Sommer und im Winter“. Die herausragende Marktstellung führte dazu, dass das Verb „Einwecken“ als Synonym für „Einkochen“ oder „Haltbarmachen“ in den Sprachgebrauch übergegangen ist – so wie Tesa für Klebeband, Tempo für Taschentuch oder Uhu für Klebstoff. Im Sommer vergangenen Jahres rutschte Weck in die Insolvenz – Investoren retteten die Marke.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Diese Kindheitserinnerung kam mir in dieser Woche in den Sinn, als die Pleite eines weiteren Traditionsunternehmens durch die Medien ging: Tupperware. Der US-Produzent der bunten Frischhaltedosen – in denen sich Lebensmittel „eintuppern“ lassen und die beim Auflösen des Unterdrucks ebenfalls ein lustiges Plopp von sich geben – sitzt auf gigantischen Schulden und kämpft mit schwindenden Absatzzahlen.

Insbesondere ist es nicht gelungen, das Vertriebsmodell in die Neuzeit zu retten: Denn die ziemlich teuren Plastik-Boxen werden nach wie vor nicht im Einzelhandel oder gar im Tele-Shopping verkauft, sondern im Rahmen sogenannter Tupper-Partys. Der Deal: Die angeworbene Gastgeberin stellt die Räumlichkeiten, trommelt die Nachbarschaft zusammen und sorgt mit Piccolöchen und Schnittchen für eine konsumfreudige Atmosphäre – als Incentive gibt’s ein wertiges Präsent, abhängig vom „Party-Umsatz“, den die angereiste Tupperware-Beraterin an diesem Abend erzielt. Spätestens die Corona-Jahre haben die Anfälligkeit des Modells aufgezeigt.

Ein Jammer, dass sich die Geschäftsidee nie im Games-Sektor durchgesetzt hat. Ich kann’s mir lebhaft vorstellen: Videospiele-Kundige laden ein Rudel Gäste ein, es gibt dosenweise Gönrgy und Knabe-Malz, Super-Mario-Pizza und Schaumzuckerwaren, während ein Markenbotschafter der Firma Nintendo Neuheiten zum Anfassen und Ausprobieren präsentiert – Konsolen, Controller, Headsets, Spiele, Merch. Unterdessen notiert der Nintendo-Berater die Bestellungen in seinen Auftragsblock. Der Gastgeber darf sich als Dankeschön was Hübsches aussuchen. Mega.

Dass es nie so weit gekommen ist (und auch nie kommen wird), liegt nicht zuletzt daran, dass Tupperware mit ganz anderen Margen operiert als Sony PlayStation oder Microsoft – wo es ja Usus war, mindestens in den Jahren nach Konsolen-Launch bei jedem ausgelieferten Gerät draufzuzahlen. In die Hardware wurde gezielt reingebuttert, um im Anschluss mit Games, Services und Gamepads den eigentlichen Rahm abzuschöpfen – also ein ähnlicher Ansatz wie bei Rasierern oder Kaffeekapseln. Nach eigener Darstellung hat Microsoft mit der Xbox nie Geld verdient.

Seit der aktuellen Konsolen-Generation – also Xbox Series X und PlayStation 5 – ist’s vorbei mit der Subventioniererei. Jetzt muss sich die Hardware von Anfang an rechnen – was erklärt, warum die UVPs nicht nur außerordentlich stabil im Wind liegen, sondern zwischenzeitlich immer wieder angehoben werden.

Parallel haben sowohl Sony als auch Microsoft die Voraussetzungen geschaffen, um analog zu Tupperware den traditionellen Online- und Offline-Handel aus dem Spiel zu nehmen. An dessen Stelle tritt mit schöner Regelmäßigkeit der Direktvertrieb über eigene Stores und Shops, was aus Erzeugersicht drei wesentliche Vorteile bietet.

  • Erstens lässt sich eine Kundenbeziehung pflegen, die abseits des Direktmarketings ein Füllhorn geldwerter Informationen generiert – Kontaktdaten, Zahlungsmittel, Kauf-Historie, Konsumverhalten.
  • Zweitens reduzieren sich die Kosten für Logistik und Lagerhaltung, weil nicht mehr Hunderte Outlets beliefert werden müssen.
  • Und drittens lässt sich erfreulicherweise die Handelsspanne einbehalten.

Parallel wird die Kundschaft bewusst weg vom Datenträger, hin zum Download und In-Game-Kauf erzogen. Einer der Hauptvorteile für die Industrie: Digital-Erlöse lassen sich steueroptimiert in Großherzogtümern und Fürstentümern verbuchen. Im Ergebnis werden Sie große – und perspektivisch unüberwindliche – Schwierigkeiten haben, physische Computerspiele im Elektronikmarkt oder beim Versender Ihres Vertrauens zu erwerben.

Eine ähnliche Entwicklung droht nun auch bei der Hardware, zumindest mit Blick auf PlayStation und Xbox. Denn Microsoft und Sony leiten immer mehr Neuheiten und Kontingente in den eigenen Werksverkauf um und feiern ihre ganz eigene Tupper-Party. So gibt es die Xbox Series X All-Digital Robot White (Auslieferung: 15.10.) vorerst nur im Microsoft-Store, ebenso wie die Xbox Series X Galaxy Black und ein neues Series-S-Modell.

Jüngstes Beispiel: Die 800 € teure PlayStation 5 Pro lässt sich ab kommendem Donnerstag (26. September) zunächst ausschließlich bei PlayStation Direct vorbestellen – erst zwei Wochen später steigen ausgewählte Händler ein. Also gleiches Spiel wie bei der Markteinführung von PlayStation VR2, PlayStation Portal und bei der gestern angekündigten Limited Edition zum 30jährigen Jubiläum. Motto: PlayStation Direct zuerst, dann alle anderen – wenn überhaupt. Denn viele Produkte – etwa Special Editions und einzelne Wendecover und Controller – gibt es exklusiv nur direkt bei Sony.

Die Konsequenz: Immer größere Stücke des zu verteilenden Umsatz-Kuchens verbleiben beim Großbäcker – der Handel wird zusehends mit Krümeln abgespeist.

Nach den traumatisierenden Erfahrungen rund um die Markteinführung der PlayStation 5 würde ich fast Wetten annehmen, dass die PlayStation 6 vom Start weg zunächst bei PlayStation Direct zu haben sein wird. Dass sich dadurch das Scalping-Problem löst oder lindert, glauben auch nur Zweck-Optimisten – die Ebay-Dramen werden sich im Gegenteil eher verschärfen. Und der Kunde muss sich sehr grundsätzlich auf ein höheres Preis-Niveau einstellen, weil ja der komplette Wettbewerb am Markt systematisch ausgeschaltet wird.

Für den wackeren Einzelhandel, der harte Corona-Jahre hinter und ein schwieriges konjunkturelles Umfeld vor sich hat, sind das in Summe keine gute Nachrichten. Wie es sich anhört, wenn sich nach den Games- auch noch Spielkonsolen-Umsätze in Luft auflösen, lässt sich schon jetzt antizipieren. Dazu einfach am Gummiring eines Weck-Glases zupfen – „Plopp“.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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2 Kommentare

  1. Eine sehr interessante Beobachtung – erinnert mich daran, dass man Spiele, für die man mehr Geld ausgibt (Deluxe, Premium, Ultimate, etc.), diese dann auch vor dem eigentlich Release schon spielen kann. Dies geht natürlich nur mit der digital erwerbten Version; also eine weitere Bevorteilung gegenüber der Retail-Versionen.

    • Guter Punkt … das ist eine schleichende Entwicklung, die auch ganz im Interesse der Spielehersteller liegt.

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