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Lebe deinen Traum (Fröhlich am Freitag)

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Microsoft Gaming-CEO Phil Spencer (vorne links) im Oktober 2023 während seines Antrittsbesuchs bei Blizzard Entertainment in Irvine (Foto: Activision Blizzard)
Microsoft Gaming-CEO Phil Spencer (vorne links) im Oktober 2023 während seines Antrittsbesuchs bei Blizzard Entertainment in Irvine (Foto: Activision Blizzard)

„Komm in die Games-Industrie und lebe deinen Traum“, haben sie gesagt. In diesen Tagen durchleben Tausende Beschäftigte einen Albtraum.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

mein Journalisten-Kollege Paul Kautz hat es gestern in gewohnt unnachahmlicher Weise auf den Punkt gebracht, als er eine Meldung auf der GamesWirtschaft-Facebook-Seite folgendermaßen kommentierte: „Ich glaube, mittlerweile wäre es einfacher, über die Spielefirmen zu berichten, die aktuell nicht einen Großteil ihrer Angestellten vor die Tür setzen.“

Denn mit einem Aderlass von 1.900 Beschäftigten bildete Microsoft den vorläufigen Höhe- (besser: Tief-)Punkt einer schlimmen Woche. Dass der US-Konzern nach der letztlich geglückten 70-Milliarden-Dollar-Übernahme von Activision Blizzard mögliche Synergien hebt, wird niemanden ernsthaft überrascht haben – am wenigsten die Beschäftigten. Dass dies so schnell und so heftig geschieht, vielleicht schon.

Dabei sah es vielversprechend aus. Im Oktober hatte Microsofts Gaming-Boss Phil Spencer ein warmes Willkommen an die massiv gewachsene Truppe geschickt (PDF): „We couldn’t be more excited that Activision Blizzard employees are our colleagues, co-workers, and teammates.“

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Nur drei Monate später informiert der selbe Phil Spencer die selbe Belegschaft auf dem selben Dienstweg über die „schmerzhafte Entscheidung“, dass dringend die Kostenstruktur angepasst werden müsse: „Die Menschen, die von diesen Reduzierungen betroffen sind, haben allesamt einen wichtigen Beitrag geleistet für den Erfolg von Activision Blizzard, Zenimax und Xbox – und sie sollten stolz auf all das sein, was sie erreicht haben. Wir sind dankbar für all die Kreativität, Leidenschaft und Hingabe, die sie unseren Spielen, unseren Spielern und unseren Kollegen entgegen gebracht haben.“

Gefolgt von Haben’s-uns-echt-nicht-leicht-gemacht-aber-trotzdem-ciao – Details zum Abfindungsprozedere anbei. Was man halt so schreibt, wenn einem bewusst ist, finanziell schon lange aus dem Gröbsten raus zu sein.

Parallel haben die Kapitalmärkte diese frohe Botschaft zum Anlass genommen, um Aktienkurs und Marktkapitalisierung auf ein neues Rekord-Hoch zu jazzen: Sagenhafte 3 Billionen Dollar ist Microsoft jetzt wert.

Die aktuelle Unwucht durchzieht die komplette Industrie – aufstrebende Startups sind genauso betroffen wie große Publisher und Töchter internationaler Holdings, an der US-Westküste genauso wie im Schwarzwald. Denn die vielen Vorzüge, die Konzern-Strukturen in guten Zeiten bieten, verkehren sich in Krisen-Phasen ins exakte Gegenteil. Die Alle-eine-große-Familie-Prosa-Kränze, die bei Übernahmen und Fusionen geflochten werden, sind dann, wenn es wirklich darauf ankommt, nichts wert. Denn in diesem Stadium geht es nur noch um die Frage, wann man das Pflaster abreißt – sprich: ob man die Hiobsbotschaften vor oder nach Neuheiten-Livestreams platziert.

Eine Tür geht zu – die nächste öffnet sich, heißt es dann oft. Das Problem: Derzeit gehen sehr viele Türen zu – ohne dass sich neue öffnen würden.

Diese Beobachtung hat auch Rami Ismail gemacht, der Startups und Indie-Studios berät. In dieser Woche schrieb er auf X: „Das Schlimmste an diesen Entlassungen: Auf jeden Kündigungs-Tweet folgte 2023 eine Flut an Reaktionen anderer Studios, die Stellen ausgeschrieben hatten. Jetzt, da die Situation von 2023 ihre Fortsetzung findet, sind kaum noch ‚andere Studios‘ übrig. Sie sind ebenfalls von der Bildfläche verschwunden – oder können derzeit niemanden einstellen.“

Mancher Veteran käme dann auf die Idee, aus Frust den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, notiert Ismail. Doch im augenblicklichen Umfeld sei es noch schwerer als sonst, Investitionszusagen zu bekommen – selbst das gängige „Fünf AAA-Typen und ihr Hund gründen ein Studio mit null unternehmerischer Erfahrung“-Narrativ verfängt nicht.

Mindestens kurzfristig dürfte der nationale wie internationale Arbeitsmarkt noch stärker unter Druck geraten, weil sehr viele Menschen auf sehr wenige Stellen treffen – da genügt ein Blick in die ausgedünnten Karriere-Rubriken der größeren Betriebe.

Dabei ist es noch nicht allzu lange her, da hat die Spiele-Branche sehr verzweifelt um Talente und Fachkräfte geworben, im In- und Ausland. Oft wurde begehrtes Personal mit großen Versprechungen und noch größeren Vergütungen gelockt – ganze Familien hat man in der Corona-Boom-Phase umgetopft. Jetzt drohen Visa-Dramen, sollte sich nicht schnell eine Anschlussverwendung finden.

Im Lichte der deprimierenden Nachrichtenlage wird sich zudem manche Nachwuchskraft die Frage stellen: Sollte man überhaupt was mit Games machen? Eine Ausbildung starten? Studieren? Gründen? Investieren? Und auf Angestellten-Seite: einen gefühlt sicheren Job aufgeben? Oder doch beim jetzigen Arbeitgeber überwintern, trotz ungünstiger Konditionen?

Um mal ein Ergebnis der GamesWirtschaftsWeisen-Umfrage 2024 vorwegzunehmen (alle Details am kommenden Dienstag): Nur jeder fünfte Experte glaubt daran, dass die zehn größten Studios in Deutschland zum Jahresende mehr Menschen beschäftigen als zu Jahresbeginn. Zum Vergleich: Anfang 2022 fielen die Abstimmungsergebnisse exakt umgekehrt aus.

Jene Fragestellung ist seit Anbeginn der Aktion fester Bestandteil des WirtschaftsWeisen-Tipp-Scheins. So niedrig wie jetzt war der Wert zuletzt Anfang 2017 – damals unter dem Eindruck eines brutalen Kahlschlags bei den Hamburger Goodgame Studios (die zuvor 1.200 Leute angeworben hatten), dazu veritable Krisen bei Crytek, Daedalic und weiteren Entwicklern. Immerhin: Schon ein Jahr später – im Januar 2018 – war der Optimismus messbar zurückgekehrt.

So schnell wird es diesmal wohl nicht gehen. Bevor es (hoffentlich) wieder aufwärts geht, drohen erstmal weitere bittere Nachrichten. Und doch gibt es sie auch in diesen wilden Zeiten, die mutmachenden Beispiele – in Ingelheim am Rhein bei Envision Entertainment (Pioneers of Pagonia), in Frankfurt bei Keen Games (Enshrouded), in Hamburg bei Rockfish Games (Everspace 2).

Geholfen hat, dass all diese Studios rechtzeitig Fördermittel in Millionenhöhe beim Bund beantragt (und erhalten) haben. An ihnen liegt es nun auch, die Effizienz und Nachhaltigkeit staatlicher Investments unter Beweis zu stellen. Denn just diese Belege fehlen noch: Der erst vor wenigen Wochen vorgelegte Zwischenbericht des Wirtschaftsministeriums war schon bei seiner Vorstellung Makulatur. Einfach deshalb, weil die Kündigungsschreiben, Projektstopps und Studioschließungen der vergangenen 13 Monate gar nicht eingepreist sind. Erfolg oder Misserfolg sind eben immer auch eine Frage des Betrachtungszeitraums.

In der Zwischenzeit nehme ich einfach mal die Anregung von Paul Kautz wörtlich – nämlich als Vorsatz, noch viel öfter „über Spielefirmen zu berichten, die aktuell nicht einen Großteil ihrer Angestellten vor die Tür setzen“.

Ein schönes Wochenende (trotz allem) wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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7 Kommentare

    • Die Microsoft-Aktie hat am gestrigen Donnerstag (also am Tag der Layoff-Bekanntgabe) mit Rekord-Hoch geschlossen – gefolgt von minimalen Gewinnmitnahmen am heutigen Freitag.

  1. Hi Petra, ich mag deine Kolume wirklich und lese sie jede Woche. Der Vorsatz auch mal über Studios zu berichten die nicht ihr Belegschaft entlassen ist top. Warum habt ihr dann bisher eigentlich nicht über unseren Spiele-Release vom PC-Spiel Torschützenkönig berichtet? Pressmittelung ging bereits mehrfach raus an Euch. Über unseren gescheiterten Kickstarter wird berichtet…

    • Hi Thomas, vielen Dank. Am Ende eine Frage der Kapazitäten, weil eben irrsinnig viele Games in DACH entstehen. Der Anlass für den Kickstarter-Bericht war der Start der Kampagne – und das dazugehörige Update zum Ergebnis.

  2. Ach diese ganzen leeren Phrasen sind doch nichts weiter als hohles Gewäsch um zu verschleiern, dass das Management nach wie vor hinten herum ihre Millionenboni bezieht. Wenn es nach mir ginge dann würden zunächst bei finanzieller Schieflage erstmal die Spitzengehälter gekürzt bevor Arbeitnehmer entallesn werden müssen. Das wäre nur fair weil immerhin nicht der Mitarbeiter die relevanten geschäftsentscheidungen trifft sondern das Management.

    Gleichzeitig aber dann Dividenden an die Investoren ausbezahlen ists chon ziemlich arg Scheinheilig!!

  3. Hieß es nicht mal „wir haben Fachkräftemangel“ oder war das ein Fiebertraumd en ich letztens hatte … 🤔🤔

    • Ne, das ist schon korrekt erinnert.. nur ist das – je nach Branche – eben auch mal schnell vorbei.

      Von Boom zu Bust lagen ja hier in der Branche nur wenige Jahre, wenn man den Plural überhaupt anwenden kann..

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