Start Meinung Daedalic ist überall (Fröhlich am Freitag)

Daedalic ist überall (Fröhlich am Freitag)

1
15 Mio. € hat die Entwicklung von Der Herr der Ringe: Gollum laut Hersteller gekostet (Abbildung: Daedalic Entertainment)
15 Mio. € hat die Entwicklung von Der Herr der Ringe: Gollum laut Hersteller gekostet (Abbildung: Daedalic Entertainment)

Eine Reportage wirft ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen der Games-Branche: Was der Fall Daedalic lehrt – und was nicht.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

es ist nicht überliefert, wie viele versprengte Seelen gestern Nacht um 23:40 Uhr beim Durchzappen im Spartenkanal ZDFneo hängen geblieben sind, um sich Folge 307 des Videospiele-Formats Game Two reinzuziehen. Auf YouTube ist die Episode hingegen schon seit vergangenem Samstag abrufbar – und verzeichnet Stand heute fast 300.000 Abrufe.

Das Interesse: riesengroß – innerhalb und außerhalb der Branche, national wie international.

Denn die Redaktion ist für diese Ausgabe der spannenden Frage nachgegangen, warum eines der ambitioniertesten und teuersten Games-from-Germany-Projekte gegen die Wand gefahren ist: 15 Mio. € soll Der Herr der Ringe: Gollum gekostet haben – und nachgelagert 25 Angestellten den Job.

Denn die hochdekorierte Daedalic Entertainment GmbH hat wenige Wochen später das bereits angelaufene Nachfolgeprojekt gestoppt und die interne Entwicklungsabteilung am Stammsitz Hamburg aufgelöst. Die dazugehörigen Subventionen in Höhe von 2 Mio. € wurden an Habecks Wirtschaftsministerium zurückgezahlt, inklusive Zinsen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Game Two hat sich nun an eine Analyse gewagt, wie der Zustand des Action-Abenteuers zu erklären sei. Und wer die Reportage gesehen hat, muss zwangsläufig den Eindruck gewinnen: Abseits von konzeptionellen Fehleinschätzungen und einem krassen Delta zwischen Ansprüchen und dafür nötigen Ressourcen ist der Gollum-GAU insbesondere auf Firmenkultur und Arbeitsbedingungen zurückzuführen.

Ich halte das für eine ausgesprochen kühne Herleitung.

Nicht, weil Game Two nicht gründlich recherchiert und die Erkenntnisse nicht mit großem Aufwand aufbereitet hätte. Immerhin 32 ehemalige Beschäftigte wurden unterwegs befragt. Es gibt keinen Anlass, den Beschäftigten nicht zu glauben, wenn sie von enormer Belastung, fehlender Wertschätzung, rauem Umgang und grenzwertiger Bezahlung berichten.

Nur: Das erklärt – nichts. Einem Videospiel, einem Film, einer Serie, einer Show sieht man womöglich den production value an – aber eben nicht, unter welchen Bedingungen dieses Produkt entstanden ist. Wie mit den Menschen umgegangen wurde – und wie sie entlohnt wurden.

Erst recht nicht lässt sich so erklären, warum Games großartig oder (wie im Falle von Gollum) nicht so großartig werden. Es gibt XXL-Projekte, an denen riesige, erfahrene Teams mit irren Budgets, großen Marken und besten Bedingungen über Jahre entwickeln – und trotzdem Murks abliefern. Und es gibt Projekte, die in jeder Hinsicht auf Kante genäht sind und wo digitaler Kohlenstoff schließlich doch noch zum Diamant wird – wenn auch nur unter immens hohem Druck, also Crunch.

Also jene (selbst-)zerstörerische Produktionsweise, die aus Nacht- und Wochenend-Schichten, Feldbetten, Pizzakartons und Red Bull zusammengehalten wird. Und die zurecht in Verruf geraten ist, vereinzelt aber immer noch als Ausweis besonderer Leidenschaft und Hingabe gilt.

Hohe Belastung, niedrige Bezahlung: Die Kultur- und Kreativwirtschaft, zu der auch Games zählen, war und ist natürlich besonders anfällig für solche Arbeitsbedingungen. Anfang Oktober legte der Deutsche Kulturrat eine Studie über die erzielbaren Einkommen dieses Industriezweigs vor. Der Befund: „ernüchternd“, „deprimierend“, „ein Armutszeugnis“. Denn die Beschäftigten in Kultur- und Medienberufen würden beschämend weniger verdienen als der Durchschnitt in anderen Berufen – Frauen nochmal weniger als Männer. Der Gender-Pay-Gap: gewaltig.

Und trotzdem bleiben TV-, Film-, Ton- und Games-Studios Sehnsuchtsorte für Kreative, allen voran für Praktikanten und Berufseinsteiger, die auf einen „Fuß in der Tür“ hoffen. Obwohl gerade Freiberufler oft kaum von ihrer Tätigkeit leben können: Bei weniger als 16.000 € liegt zum Beispiel der jährliche Durchschnittsverdienst in der Musik-Branche, sagt die Studie. Und da ist Helene Fischer schon eingerechnet.

Immerhin: Anders als in der Film-Industrie, wo sich Ensemble und Crew für ein Projekt zusammenfinden und danach von Neuem nach einer Anschlussverwendung suchen müssen, liegt Spiele-Publishern und Studios (meistens) etwas daran, die Truppe beisammen zu halten und eine nachhaltige Firma aufzubauen. So richtig mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kalkulierbarem Gehalt, Altersvorsorge, Kernarbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Home-Office, Fortbildung, Weihnachtsfeier und Obstkörbchen – im Ausnahmefall sogar mit Betriebsrat.

Eine Situation, von der etwa Filmschaffende nur träumen können. Die dadurch nochmal einem ganz anderen Druck ausgesetzt sind – was wiederum zu hochproblematischen Abhängigkeitsverhältnissen führt. So soll an den Sets von Til Schweiger – in Deutschland weltberühmter Charakterdarsteller – ein „Klima der Angst“ geherrscht haben, wie DER SPIEGEL im Mai enthüllte. Nach anfänglich harten Dementi wagte sich Schweigers Kollegin Nora Tschirner aus der Deckung: Im Artikel stünde viel Richtiges. Es sei seit Jahrzehnten „für jeden ein offenes Geheimnis“, welche Zustände herrschen. Und sie sei nicht bereit, länger zu schweigen: „Ich hab’ da keinen Bock mehr drauf“.

Zu diesem Zeitpunkt hatten 1,2 Millionen Menschen ein Kino-Ticket für Schweigers Manta Manta – Zwoter Teil erworben – ein Riesenerfolg, auf Augenhöhe mit Indiana Jones und Mission Impossible. Wie gesagt: Man sieht es Produktionen einfach nicht an, wie sie zustande kommen.

Wie geht es nun weiter mit der Hamburger Spiele-Manufaktur? Gollum ist fraglos eine Zäsur. Das Daedalic, was früher existiert hat, werde es so nie wieder geben, orakelt Sandra Friedrichs – einst PR-Managerin bei Daedalic und heute Influencerin – im Game Two-Beitrag. Das wird möglicherweise auch der französische Publisher Nacon ähnlich beurteilen, der das Unternehmen Anfang 2022 zu einer Bewertung von 53 Mio. € übernommen hat.

Bei Nacon soll auch jenes Entschuldigungs-Schreiben entstanden sein, das wenige Tage nach Gollum-Release über die offiziellen Kanäle gestreut wurde – inklusive falsch geschriebenem Spieletitel. Wie kann das sein? Game Two beruft sich auf zwei Quellen, wonach der Wortlaut via ChatGPT generiert wurde. Selbst wenn das zutrifft: Larifari-Stellungnahmen dieser Art klingen meist so generisch und austauschbar, dass es auch schon fast wurscht ist, wer die Textbausteine aneinander reiht.

Das ChatGPT-Bonmot ist ein Beispiel dafür, dass die Kritik und vielfach Häme, die derzeit über Daedalic hereinbricht, zuweilen etwas selbst- und auch ungerecht rüberkommt. Daedalic ist weder Sonder- noch Einzelfall. Daedalic ist überall: in Startups, in Konzernen, bei Indies, in Agenturen, bei Veranstaltern und in Redaktionsstuben, selbstverständlich. Arbeitnehmer sollten besser nicht erst auf mediale Enthüllungen hoffen, damit problematische Entwicklungen zum Thema werden.

Dabei helfen kann und soll das sogenannte „Hinweisgeberschutzgesetz“, das seit Juli gilt. Firmen müssen anonymen und nicht-anonymen Hinweisen von Whistleblowern nachgehen – und dafür zwingend eine zentrale Meldestelle einrichten. Einschränkung: Die Vorgabe gilt für Unternehmen ab 50 Angestellten – bei Daedalic ist die Belegschaft zuletzt auf 45 Personen geschrumpft.

Dennoch: Wer wie Nora Tschirner keinen Bock mehr hat, etwaige Missstände schweigernd hinzunehmen, hat ab sofort mehr Optionen als bisher.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!

1 Kommentar

  1. > So richtig mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kalkulierbarem Gehalt, Altersvorsorge, Kernarbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Home-Office, Fortbildung, Weihnachtsfeier und Obstkörbchen – im Ausnahmefall sogar mit Betriebsrat.

    Naja also Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kalkulierbarem Gehalt, Urlaubsanspruch und Fortbildung sind gesetzlich geregelt. Wenn man nicht gerade Freiberufler ist dann sind diese Dinge zumindest selbstverständlich, nicht weiter erwähnenswert und im Zweifel einklagbar.

    Altersvorsorge und Kernarbeitszeiten dagegen sind auch nur in seltensten Fällen vorhanden. Zumal die Betriebsrente rein rechnerisch am Ende mehr kostet als sie dem Arbeitnehmer tatsächlich bringt, vor allem dann wenn das Unternehmen Insolvenz anmeldet, Standorte schließt oder wie im Fall Daedalic einfach kurzerhand die Entwicklungsabeitlung dicht macht. Dann kann man die Altersvorsorge auch vergessen oder „freiwillig“ einen deutlich höheren Betrag zahlen als es noch im Anstellungsverhältnis der Fal war, selbst schon erlebt!

    Home-Office gibt es bei uns nicht, zumindest wenn man nicht per Vertrag alle seine Rechte als Privatperson an das Unternehmn abtritt – stichwort „der Arbeitgeber ist berechtigt jederzeit und ohne Ankündigung die Privaträume des Arbeitnehmers zu betreten“ – so viele Rechte hat nichtmal die Polizei! Vertrauen ist gut aber Überwachungsstaat ist besser …

    Obstkörbchen wurde bei uns schon vor ca. einem Jahr wieder gestrichen, nachdem man den zu Pandemiezeiten vorsorglich pausiert hatte. Grund – zu teuer!

    > Dabei helfen kann und soll das sogenannte „Hinweisgeberschutzgesetz“, das seit Juli gilt. Firmen müssen anonymen und nicht-anonymen Hinweisen von Whistleblowern nachgehen – und dafür zwingend eine zentrale Meldestelle einrichten. Einschränkung: Die Vorgabe gilt für Unternehmen ab 50 Angestellten – bei Daedalic ist die Belegschaft zuletzt auf 45 Personen geschrumpft.

    Ja genau, weil das ja auch so vertraulich ist was hier an die „firmeneigene zentrale Meldestelle einrichten“ geht. Es gibt immer Mittel und Wege um Fälle zu konstruieren wo der Meldende dann ganz plötzlich eine Kündigung erhält weil ganz ausversehen irgendwelche schweren Verfehlungen bekannt geworden sind. Betriebsrat? – das gleiche Spiel. Und Deutschland wundert sich über solche „Einzelfälle“, dabei ist es doch überall gang und gäbe aber niemand traut sich etwas zus agen, zumindest solange man auf den Job noch angewiesen ist was in Kroiesenzeiten regelmäßig der Fall sein dürfte!

Kommentarfunktion ist geschlossen.