Start Meinung Maxima Culpa (Fröhlich am Freitag)

Maxima Culpa (Fröhlich am Freitag)

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Im größten Chaos hilft: kühlen Kopf bewahren - und eine Texttafel (Abbildung: Midjourney)
Im größten Chaos hilft: kühlen Kopf bewahren - und eine Texttafel (Abbildung: Midjourney)

Pest oder Cholera – zwischen diesen Übeln müssen Spielehersteller wählen, wenn das Spiel noch nicht die Marktreife erreicht hat.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

es gibt sie in allen Farben und Schattierungen – in Blau, Braun, Grün, Weiß, Schwarz und in California-Gelb: Jene Texttafeln, die Spiele-Entwickler immer dann via Twitter und Facebook teilen, wenn es Anlass für ein öffentliches Nostra Maxima Culpa gibt, weil irgendwas nicht so gelaufen ist, wie geplant. Spiel verschiebt sich, stürzt ab, ruckelt, hat tausend Fehler, Server sind überlastet, Online-Spiel wird vorzeitig eingestellt.

Und sobald man denkt, man habe schon alles gesehen, kommt das The Last of Us-Studio Naughty Dog ums Eck und bittet das Publikum dringend um Vergebung, weil die ersehnte Neuheit beim jüngsten PlayStation-Livestream unentschuldigt fehlte.

Ein noch recht frisches Texttafel-Exemplar stammt aus der Hamburger Manufaktur Daedalic Entertainment, wo die The Lord of the Rings: Gollum-Tragödie immer noch nachwirkt. Die Wir-haben’s-vermasselt-Botschaft wurde am vergangenen Freitag – also am Tag nach Release – scharf geschaltet und offenkundig mit derart heißer Nadel gehäkelt, dass schon im ersten Satz der Name des eigenen Spiels verhühnert wird („The Lord of Ring“).

Der große Denker und Philosoph Andy Brehme, der uns schon so viele wertvolle Weisheiten geschenkt hat, liefert auch für solche Momente den passenden Untertitel.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Jedenfalls: Texttafeln gehen immer. In den Wochen und Monaten davor haben sich unter anderem die Macher von Star Wars Jedi Survivor öffentlich erklärt. Davor das Studio hinter Forspoken. Schon was länger her: Halo Infinite. Battlefield. Fallout. Cyberpunk 2077. Alles keine Anfänger. Sondern erste Adressen.

Format, Aufbau, Tonalität und Textbausteine ähneln sich frappierend. Wir hören euch. Hätt nicht passieren dürfen. Team arbeitet Tag und Nacht. Maximale Ambitionen. Alles für die Community. Wahnsinnig wertvolles Feedback. Sorry für die Umstände. Riesendankeschön für Nachsicht und Geduld – der Doktor kommt gleich.

Der Endverbraucher, der gerade 60, 70, 80 € überwiesen hat, bekommt durch die Texttafeln schriftlich quittiert, dass er aus zuvor begangenen Fehlern exakt nix gelernt hat. Indem er wider besseren Wissens ein Spiel vorbestellt und sich dadurch einen Onyx-Hippogreif, einen Axtgriff, einen Dackel auf Rädern oder irgendein anderes spielerisch nutzloses, digitales Extra gesichert hat. Grenzkosten: null. Bekanntlich ist Vorbestellen im digitalen Zeitalter weiterhin unverzichtbar – wie oft ist es schon vorgekommen, dass der Lagerbestand an Downloads vorzeitig zur Neige geht.

Marketing? Da macht den Games-Entwicklern so schnell niemand was vor. Die wenigsten Wirtschaftszweige kriegen es so gut hin, die Vorfreude auf ein Produkt über Monate und Jahre am Köcheln zu halten. Was die Industrie weit weniger gut (oft genug: gar nicht) beherrscht, ist Krisen-Kommunikation. Es ist nicht besser geworden in all den Jahren, im Gegenteil. Und weil das so ist, müssen es bunte, leicht konsumier- und teilbare Texttafeln richten – das Warndreieck der Spiele-Branche.

Doch wie kommt das eigentlich? Bereits in der vergangenen Woche haben wir an dieser Stelle die Frage angerissen, warum ein Gollum so auf den Markt kommt, wie es auf den Markt kommt. Wo doch jeder mit zwei gesunden Augen erkennen kann, dass die Markt- und Serienreife noch nicht erreicht ist.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich in den vergangenen Tagen umgehört, warum sich solche Phänomene gefühlt häufen – in jedem Fall: immer und immer und immer vorkommen. Bei kleinen wie großen Studios, trotz absehbarem Kollateralschaden. Tenor: Über die komplexen Mechanismen, die zu solchen Entscheidungen führen, ließen sich ganze Bücher schreiben – und tatsächlich ist das auch schon passiert*.

Zuweilen spielen ganz triviale, finanzielle Gründe eine Rolle: Dass weite Teile der Industrie börsennotiert sind und sich damit einer Quartals-Logik unterordnen, hat Vor- und Nachteile. Denn dadurch ist zum Beispiel sichergestellt, dass ein FIFA oder Call of Duty pünktlich mit den ersten Zimtsternen ausgeliefert wird. Das Spiel muss raus – und es kommt raus. Im Zweifel werden halt Modi, Maps, Missionen gestrichen oder später nachgeliefert, siehe Overwatch 2. Auch ohne Quidditch ist Hogwarts Legacy ja ein sehr okayes Spiel.

Andere Studios zerbrechen an diesem internen oder externen Druck – gerade dann, wenn die Teams schon einige Jahre ihres Lebens in das Spiel investiert haben, auch auf Kosten der Work-Life-Balance (Motto: „Klar, ist ja schon kurz nach 18 Uhr – geh ruhig nach Hause, wir arbeiten hier bis morgen früh noch die Bugs ab …“). Nicht jeder Junior Level Designer hat den Luxus, von diesem Karussell abzusteigen.

Dass Spiele on time, on scope, on budget erscheinen sollen, ist ein krasser Zielkonflikt und kommt deshalb nicht so häufig vor. Meist geht entweder die Zeit, das Geld oder das Talent aus, regelmäßig auch alles gleichzeitig. Selbst den erfahrensten Planern passiert es, dass erforderliche Kapazitäten unter- und die (Leidens-)Fähigkeiten des Teams überschätzt werden. Probleme kumulieren – und der Zug rast ungebremst auf den Abgrund zu.

An diesem Punkt bleibt den Verantwortlichen nur die Wahl zwischen drei Übeln:

  • A) Augen zu und durch – raus damit und zur Not nachpatchen (der Regelfall)
  • B) Nochmal zwei, drei, viele Monate dranhängen (nur bei fundamentalen Defiziten oder wirklich wichtigen Marken, mit denen man noch was vor hat)
  • C) Einstellen und/oder kompletter Neustart (super-selten)

All diese Fälle eignen sich für eine Texttafel. Und: Alle Varianten sind gleichermaßen kostspielig und eine Zumutung für Belegschaft und Aktionäre. Frag nach bei Ubisoft, wo man sich nach einschlägigen Erfahrungen mit Tor A) zuletzt mehrfach für B) und C) entschieden hat, was an der Börse so mittelgut ankam. Wie gesagt: Pest oder Cholera.

Womit man im Jahr 2023 nicht mehr so leicht durchkommt, ist Flunkern und Aussitzen. Beim Bundesliga Manager 97, der – Sie ahnen es – im Oktober 1996 erschienen ist, fanden die Käufer eine blanke, unbedruckte CD-ROM in der Packung. Darauf: eine faktisch unspielbare Version. Offizielle Erklärung von Software 2000, „Deutschlands führendem Anbieter von Unterhaltungssoftware“: Versehentlich sei das falsche Master ins Presswerk geschickt worden. Also die etwas originellere Ausgabe von „Der Hund hat die Hausaufgaben gefressen“. Wer die Kummer-Nummer-Hotline (1,20 Mark pro Minute) wählte, bekam nicht etwa die ‚richtige‘ Scheibe im Austausch – sondern wurde auf kommende Patches vertröstet.

Wenige Jahre später stellte der Insolvenzverwalter trocken fest: „Das Unternehmen, das ich dort vorgefunden habe, ist nur noch abzuwickeln.“

Dass Pläne trotz bester Absichten schief gehen, gehört zum Tagesgeschäft, ob in der Bundesliga oder in der Games-Produktion. Schließlich sind auch kommerzielle Computerspiele in erster Linie Ergebnissport: Durchverkauf. Downloads. Likes. Shares. Installs. Cost per Click. Gleichzeitig aktive Spieler. Verbrachte Spielzeit. Abonnenten. Average Revenue per User. Zur Not Metacritic. Die Resultate müssen stimmen.

Aber die Erfahrung lehrt: Letzten Endes interessiert niemanden, was war – sondern immer nur das nächste Spiel. Zur Not gibt es ja noch die Texttafel.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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4 Kommentare

  1. Ich kann das so nicht stehen lassen.
    Ja, wir (Gamer) sollten noch deutlich zurückhaltender werden mit Pre-Ordern. Den Entwicklern Quasi Blanko-Checks entgegen zu werfen, macht das Problem immer nur noch schlimmer.
    Bis auf Ausnahmefälle sollten wir uns das abgewöhnen. Ein Ausnahmefall für mich persönlich war Diablo 4. Da konnten wir uns alle vorab in den offenen Beta zumindest ein Teilbild machen.

    ABER:
    Das ist lange nicht mehr das Hauptproblem, denn wir sind mittlerweile in einem Zeitalter der Irreführung durch die Gaming-Outlets angekommen.
    BeiSpiel: Jedi: Survior. Das Spiel hat auf IGN z.B. eine 9/10 bekommen. Und ist auch sonst zum Start durchweg sehr positiv bewertet worden. Wie der Vorgänger, nur alles besser, schöner, größer. Das Spiel habe ich also nach erst nach Studium der Bewertungen regulär gekauft. Technisch auf allen Plattformen eine komplette Katastrophe.
    Ich durfte (trotz 4 Patches während meiner Spielzeit) das komplette Spiel mit extremen Screentearing und Perfomance Gestotter genießen.
    Das ich das in 2023 bei einem Konsolenspiel noch erleben durfte, hat schon fast was episches.
    Das Ding hätte mal locker 4-5 Punkte abgewertet werden müssen auf eine 5/10.
    Macht aber keiner mehr !

    Neuerdings kann man eigentlich nur noch bis ein paar Tage nach release abwarten und dann reddit durchforsten ob die armen „Idioten“ die es gekauft haben Probleme melden. Oder hoffen das Eurogamer einen review bringt.
    Der Otto-Normal Käufer macht das vermutlich eher nicht.

    tldr: Pre-Order sollte man sich weitestgehend abgewöhnen, aber das ist längst nicht mehr das einzige Problem.

    • Danke für das Feedback. Tests, die ‚pünktlich‘ zum Release erfolgen, sind immer mit Vorsicht genießen – einfach deshalb, weil sie unter unrealistischen Bedingungen zustande kommen (dedizierte Hardware etc.).

      Und ja, am Ende hilft nur Abwarten – meist reichen die ersten 24 bis 48 Stunden. Was bei Tears of the Kingdom, Diablo 4 usw. zwangsläufig schwer fällt.

      • Aber selbst dafür müssen leider erst mal ein paar „Dumme“ das Spiel kaufen und auf Reddit ihre Meinung posten, denn in den Fachmedien wird die technische Performance (wenn überhaupt) meisst nur noch im Nebensatz erwähnt.
        Fair ist das irgendwie nicht. Zuverlässig auch nicht.

        Das ggf. ein Game so wie bei Jedi: Survivor auf Steam in der Luft zerrissen wird reicht vermutlich auch noch nicht. Bei den Bossen von Respawn und EA tauchen wahrscheinlich nur die Zahlen vom Verkaufsstart im Display vom Sportwagen auf. Und da wir Doofies alle brav unseren 80 Euro Ablass gezahlt haben, denken sich „Läuft, alles richtig gemacht“.
        Aber was soll ich sagen, ich war auch in dem Fall mal wieder Teil des Problems …

  2. > warum sich solche Phänomene gefühlt häufen – in jedem Fall: immer und immer und immer vorkommen. Bei kleinen wie großen Studios, trotz absehbarem Kollateralschaden

    Weil die Studiobosse, egal ob klein oder riesengroß, entweder keine Mitarbeiter mit entsprechender Expertiese haben oder – was häufiger vorkommt – einen Scheiß drauf geben was die Leute, die es eigentlich wissen (müssten) am Ende sagen. Da kommen dann schon mal solche Aussagen zu Stande wie „das Feature braucht zwar 8 Monate aber du hast jetzt noch 8 Wochen dann muss das laufen!“ – zitat Ende.

    Es wundert mich mittlerweile absolut nicht mehr, dass wir als Digitalnation keinen Fuß auf den Boden kriegen. Alleine schon deswegen weil es immer wieder Kollegen gibt, die eisern das Motto vertreten „never change a running system“ oder „haben wir vor 20 Jahren schon so gemacht da hat das auch funktioniert“. Es fehlt oftmals einfach and em Willen etwas zu ändern, sich zeit zu nehmen und vielleicht den ein doer anderen Euro um in bessere Technologie und Optimierung des Entwicklungsprozesses zu investieren.

    Work smart not hard – aber solange es einzelne Kollegen gibt, die für einen feuchten Händedruck dann Nachtschichten schieben um die Fehler des Managements auszubügeln, so lange wird sich absolut nichts ändern und die Situation für den Kunden aber auch die vielen Angestellten sich eher noch deutlich verschlechtern…

    > Nicht jeder Junior Level Designer hat den Luxus, von diesem Karussell abzusteigen

    Deswegen haben wir in Deutschland ja auch Arbeitsschutzgesetze und nein, es ist kein absolut notwendiger und durch das Gesetz gedeckter Grund wenn ein Arbeitgeber dermaßen Fehlkalkulation betrieben hat, dass der Abgabetermin ohne Nacht- und Doppelschichten nicht zu halten ist!

    > Aber die Erfahrung lehrt: Letzten Endes interessiert niemanden, was war – sondern immer nur das nächste Spiel. Zur Not gibt es ja noch die Texttafel

    Ja, noch sein Problem aus dem Alltag eines Entwicklers – die völlige Resitenz gegen Einsicht und aus den gemachten Fehlern eine Lehre für das nächste Projekt zu ziehen. Dann verschließen die Verantwortlichen lieber die Augen vor den ungebremst in den keller rauschenden Steam-Reviews und feiern stattdessen ihre (noch so kleinen) (Teil-)Erfolge auf Alpha-, Beta- und Release-Partys.

    Nochmal, Deutschland hat KEINEN Fachkräftemangel, die haben nur mittlerweile alle resigniert angesichts der schieren Unbelehrbarkeit und fehlender Bereitschaft sich die zeit zu nehmen wirklich etwas zu verbessern. Lieber Hatz-IV als sich weiter Tag für Tag diesen Mist anzutun!

    > Bekanntlich ist Vorbestellen im digitalen Zeitalter weiterhin unverzichtbar – wie oft ist es schon vorgekommen, dass der Lagerbestand an Downloads vorzeitig zur Neige geht

    Das letzte Spiel was ich vorbestellt habe war 2017 und das war leider schon in der Kategorie: Fehlerbehaftet anzusiedeln. Die Branche macht es sich aber auch selber schwer, wenn immer mehr unfertiges Zeug auf den markt geworfen und dafür dann aber 70€ – 80€ oder wie im Falle des nächsten großen Release – Diablo IV – mehr als 100€ für eine Collector’s Edition OHNE Spiel verlangt werden, dann wird über kurz doer lang nur noch ein sehr geringer Teil der Kunden wirklich noch in Vorkasse treten. Der Rest wird erstmal den Release, einzelne Reviews abwarten und dann entscheiden ob sich das lohnt oder nicht. Wenn sich – wie mir zugetragen wurde – aber der Erfolg eines Spiels ind en ersten 2 Wochen nach Verkaufsstart entscheidet, dann sehen unsere deutschen Studios ziemlich düsteren Zeiten entgegen!

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