In vielen kleinen wie großen Unternehmen geht derzeit die Job-Angst um – zurecht, denn die Arbeitgeber schreiben Rekordgewinne.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
„Guten Morgen. Kannst du mal kurz vorbeikommen?“
Ich hatte an diesem lauen Sommertag kaum den ersten Kaffee gezogen und den Rechner hochgefahren, da klingelte auch schon das Chefbüro durch. Vermeintliche Routine. Schließlich gab es ja andauernd Anlass, gemeinsam auf Excel-Tabellen zu starren. Doch der Grund war diesmal ein anderer.
Ich blickte in angespannte Gesichter. „Setz dich. Folgendes: Wir müssen dir kündigen.“ Kein geschmeidiger Wie-isses-Smalltalk, kein Rumgedruckse, stattdessen die Arschbombe ins Bällebad. Mit Anlauf.
Ich war so konsterniert, dass ich erstmal nachfragte: „Häh? Echt jetzt? Wieso das? Nur ich? Noch andere?“ Klassische Übersprungshandlung. Spätestens seit der erfolgreichen Teilnahme an Arbeitsrecht-Seminaren hätte ich wissen müssen, dass Wieso-Weshalb-Warum-Fragen in diesem Stadium erstens irrelevant und zweitens sinnlos sind. Weil es darauf keine Antworten gibt, erst recht keine guten. Vielleicht wollte ich einfach nur sicher gehen, dass nicht versehentliches Falschparken auf dem Firmengelände zu dieser Entscheidung geführt hatte.
In dieser Situation gehen einem natürlich die üblichen Gedanken durch den Kopf: Sind die bekloppt? Das können die doch gar nicht. Wie soll das ohne mich / uns gehen? Zur völligen Verblüffung aller Beteiligten stellt sich im Nachgang nahezu immer heraus: Doch, das geht. Das geht sogar ganz prima. Wenn selbst Apple ohne Steve Jobs klar kommt – warum sollte das nicht in ungleich kleinerem Maßstab klappen?
Jedenfalls setzte nach zwei, drei Telefonaten allmählich wieder der Verstand ein; parallel hatten weitere Kannst-du-mal-kurz-vorbeikommen-‚Meetings‘ stattgefunden.
In den folgenden Wochen einigten wir uns darauf, dass ich meinen Vertrag abzüglich Resturlaub komplett erfülle und eine stabile Übergabe organisiere – so, wie wenn ein US-Präsident das Oval Office besenrein an den Nachfolger übergibt, inklusive der Praktikanten. Die Kladde mit den wichtigsten Zugangsdaten, Verträgen und UFO-Sichtungen war demzufolge auch mit ‚ABSCHUSS-CODES‘ beschriftet. Nach einer letzten Stadionrunde durch die Stockwerke und einer Der-Deckel-geht-auf-mich-Mahlzeit mit dem engsten Zirkel war dieses Kapitel dann beendet – nach mehr als zwei Jahrzehnten. Der Rest an sentimentalem Gedöns wurde mit dem Jahreswechsel und reichlich Schaumwein weggespült.
Womöglich kommen Ihnen Szenen wie diese bekannt vor. Schließlich gibt es ähnliche Brüche in faktisch jeder beruflichen Biografie. Warum mir dieses Erlebnis gerade jetzt, in diesen Tagen, neun Jahre später (wieder) in den Sinn kommt, liegt an den vielen, vielen Gesprächen wie den eingangs geschilderten, die in den vergangenen Wochen und Monaten überall in den Personalabteilungen der Republik geführt wurden. Bei Medienhäusern, bei Tech-Riesen, natürlich in der Games-Industrie – in Studios, Agenturen, bei Publishern und in Niederlassungen großer Konzerne. Vieles wird erst mit Verzögerung publik, Einiges per Zufall, Manches gar nicht.
Zuweilen trifft es nur vereinzelte Positionen, oft aber ganze Gewerke, Abteilungen, Standorte und geografische Zuständigkeiten. In Online-Rollenspielen gibt es dafür den schönen Begriff des ‚Wipe‘ – gemeint ist der Fall, dass es eine komplette Gruppe verschworener Paladine, Magier und Hexenmeister trotz bester Vorsätze, bester Ausrüstung und bester Vorbereitung in einem Verlies zerlegt. Erst schwindet die Raumdeckung, dann die Munition, schließlich die Hoffnung.
Solche Wipes gab es zuletzt auffallend häufig, erst vor ein paar Tagen beim Witcher-Studio CD Projekt Red, das sich von jedem zehnten Beschäftigten trennen wird. In der Ankündigung teilt der CEO trocken mit, man habe schlichtweg zu viel Mensch für zu wenig Projekt. Das mag entwaffnend ehrlich wirken. Nur: Das Signal an die verbliebene Belegschaft ist natürlich einigermaßen verheerend. Nämlich: Egal wie lang du dabei bist und wie sehr du dich reinhängst und wie brillant dein Beitrag ist und wie viele Überstunden du geschoben hast und wie sehr du dich mit der Firma identifizierst und wie sehr du in deiner Aufgabe aufgehst – all das ist, nun, egal.
Danke für nix.
In den allerseltensten Fällen hat das vorzeitige Aus für die Beschäftigten damit zu tun, dass das betreffende Unternehmen am Rande des Ruins stand oder steht. Erst wenn eine Firma aufeinanderfolgend Rekord-Quartale meldet oder die Bezüge des oberen Managements erhöht oder ambitionierte Zukäufe tätigt, würde ich mir als Arbeitnehmer ernsthafte Sorgen machen.
Dass es beim Arbeitgeber brummt, ist vielmehr das exakte Gegenteil einer Job-Garantie – siehe Electronic Arts, siehe Microsoft, siehe Activision Blizzard, siehe Ubisoft, siehe Take-Two. Die Hamburger Forge of Empires-Manufaktur InnoGames weist für 2021 einen Bilanzgewinn von 89 Mio. € bei 200 Mio. € Umsatz aus, wirft im April 75 Leute raus und holt sich im Juni weitere 2 Mio. € an nicht rückzahlbaren Subventionen ab. Kann man machen. Wären Sie sehr überrascht, wenn es sich nicht um einen Einzelfall handelt?
In den offiziellen Verlautbarungen (so es welche gibt) wird dann gerne argumentiert, man sehe sich im Sinne einer „strategischen Neuausrichtung“ leider, leider zum Handeln gezwungen. Auch wenn es wahn-sin-nig schwer falle, sich von „hochgeschätzten Mitgliedern unseres Teams“ zu trennen. Man werde alles tun, um die Betroffenen zu unterstützen – denen man natürlich nur das Allerbeste für die Zukunft wünscht (solange diese Zukunft auf einer anderen Payroll stattfindet, klar). Thoughts and Prayers.
Alles Larifari. Am Ende geht es um: Kosten. Margen. Bottom Line. So simpel, so ungerecht.
Just diese Dissonanz lässt Betroffene oft aus allen Wolken fallen, wenn sie von Stellenabbau bedroht sind – weil sie nach übereinstimmender Auffassung von Vorgesetzten, Kollegen, Kunden ja konstant einen mindestens okayen, wenn nicht fantastischen Job machen. In jedem Fall liegen keine individuellen Verfehlungen vor. Es hilft daher ungemein, wenn man die Trennung um Himmelswillen nicht persönlich nimmt und nicht länger hadert als nötig – leicht gesagt, aber im Ernstfall freilich ein schwacher Trost.
Wem gefühltes Unrecht widerfährt, weil er oder sie nach längerer Firmenzugehörigkeit betriebsbedingt entnommen wird, muss sich zumindest nicht um ein Kalenderblatt-Best-of aus dem Umfeld sorgen: Wo eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Leute wie du werden doch überall gesucht. Bei deiner Erfahrung und deiner Qualifikation hast du morgen wieder was Neues. Vielleicht hat es ja was Gutes. Sei froh, dass du noch rechtzeitig den Absprung ‚geschafft‘ hast.
Das Verrückte: Es stimmt. Alles davon. Auch wenn es im Einzelfall länger dauert als erhofft, bis sich das passende Türchen öffnet oder bis der Aufbau des eigenen Gewerbes ‚wirkt‘. Wenn ich auf Weggefährten treffe, denen Ähnliches passiert ist, machen die allermeisten einen ziemlich aufgeräumten Eindruck. Man könnte fast sagen, sie seien … glücklich. Auch wenn dieses Glück manchmal außerhalb der Spiele-Industrie liegt.
Und irgendwie wäre es ja auch naiv anzunehmen, man werde beim amtierenden Arbeitgeber zuverlässig das Renteneintrittsalter erreichen (was gelegentlich vorkommt) – gerade in der Tech-, Games- und Medien-Branche, wo die Karrierestufen endlich und die Geduldsfäden kurz sind.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Es ist halt immer schwierig den super Mittelweg zu finden. Selbst wir als Indieentwickler haben da so unsere Erfahrungen. Bietest du dem Mitarbeiter sogar ein Rev-Share Deal an und er arbeitet die ersten sechs Monate für einen sehr geringen Lohn, kann das schon mal auf die Motivation drücken. Arbeitet man hingegen mehrerer Jahre zusammen (z.B. Dank einer Förderung), dass Projekt ist am Ende aber nicht erfolgreich, wird der langjährige Mitarbeiter – der auf die „hohe“ Umsatzbeteiligung gehofft hat – sich am Ende auch denken „Ne, Danke nie wieder!“
Deshalb, alles nicht so leicht, es wird selten eine optimale Lösung geben, schon gar nicht wenn man aus wirtschaftlichen Gründen das Unternehmen verlassen musst, ist es oftmals für beide Seiten schwierig.
Was die Gamesbranche angeht wird sich da nicht viel ändern. Zu selten gibt es große Publisher die Entwickler aber auch Ihre Marketing oder PR Abteilung am Erfolg teilhaben lassen (mir ist zumindest keiner bekannt ). So bleibt es beim „Hey, du kannst doch stolz drauf sein 5 Jahre beim AAA Publisher Puppi-Games verbracht zu haben. Das ist ganz toll für dein Portfolio. Und Danke nochmals, dass du mit deinem Einsatz für die hohen Umsatzzahlen bei XWarrior gesorgt hast! Jetzt aber bitte verlasse das Büro!“
Wenn das Unternehmen einem langjährigen Mitarbeiter kündigen will, ist fast immer nur das Geld der Grund – andere Menschen sind günstiger. Es ist vollkommen nutzlos, auf Erhalt des Arbeitsplatzes zu klagen. Das Vertrauensverhältnis ist ja zerstört. Weiter für eine Bude arbeiten, die ganz offensichtlich meint, auf mich verzichten zu können?
Die beste Strategie ist jetzt: Freundlich bleiben, gleich und sofort (!) fragen, was denn das Abfindungsangebot ist und sich in der Größenordnung „Ein Monatsgehalt pro Betriebsjahr“ (kann auch ein halbes oder anderthalb werden) bewegen. In der Regel ist es für das Unternehmen viel einfacher, die Abfindung zu bezahlen, statt verklagt zu werden. Und wenn es keine Abmahnung, nur positive Bewertungen und keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens gibt, wird der Prozess für die wirklich unangenehm. Das weiß die Personalabteilung.
Tatsächlich lässt sich die ganze Geschichte freundlich abwickeln. Keiner kündigt gerne, keine Personalabteilung hat gerne Arbeit. Wenn die das Problem mit einer Einmalzahlung lösen können, ist das immer der präferierte Weg, weil geräuschlos. Das geht aber eben nur, wenn man noch keinen Streit mit Unternehmen, Chef und Personalabteilung hatte.
Ich spreche aus Erfahrung; als mein langjähriger Arbeitgeber meinte, man hätte eigentlich keine gemeinsame Zukunft, war meine erste Frage: „Was ist euer Angebot“ und wir waren uns schnell handelseinig (mit dem üblichen Basar-Hochhandeln). Die Gegenseite hat ihr Gesicht gewahrt und ich hatte genug Buffer, lange darüber nachzudenken, was ich als nächstes arbeitstechnisch angehen mag.
Muss man am Ende nur wissen ob man das auch will. Ich für meinen teil sehe wenig changsen in einer Umorientierung nicht in eine erhebliche Benachteiligung in der Lohn- und Lebenssituation zu geraten. Seien wir doch ehrlich, niemand möchte mehr hohe Gehälter für gute Arbeit zahlen sondern es werden immer Argumente gefunden wenn nicht künstlich konstruiert warum man denn gerade nicht den Tausender mehr im Monat zahlen kann.
Arbeitnehmer sind aktuell nicht in einer Situation wo man große Forderungen stellen kann, dann bleiben Stellen lieber unbesetzt und irgendwann sind die Bewerber durch den schrumpfenden Puffer so weich gekocht, dass diese dann auch schon mal Abstriche macht – ob man das will oder nicht.
Diese Diskussion über den Fachkräftemangel ist über Jahre genau so hausgemacht wie das Desaster mit dem Nahverkehr
Darauf kann ich nur sagen: Überall verdient man mit IT-Kenntnissen mehr als in der Spielebranche und gerade der öffentliche Dienst sucht händeringend.
mit IT-Kenntnissen sollte man nur in den öffentlichen Dienst gehen, wenn man entweder der schlechteste seines Jahrgangs war oder man mit Geld nichts am Hut hat.
ansonsten verdient man überall in der freien Wirtschaft mehr, wenn man gut ist.
Dafür hat man einen sehr sicheren Arbeitsplatz mit in der Regel recht Arbeitnehmer-freundlichen Umständen, macht etwas sinnvolleres und kann tatsächlich bis zur Rente planen, wenn einem danach ist. Es ist nicht jedermanns Sache, aber es ist schlicht und einfach unmöglich, mit IT-Kenntnissen keinen Job zu bekommen. Das totale Gegenmodell zu „von einem Startup verheizen lassen“ oder „bei einem Spielepublisher austauschbarer Coder sein“ – diese Lebensmodelle muss man halt auch wollen.
> Das können die doch gar nicht … Doch, das geht. Das geht sogar ganz prima
Würde ich so nicht unterschreiben. Ich kenne zwar die Begleitumstände nicht aber mittlerweile wurde das Arbeitsrecht doch deutlich zu Gunsten der Arbeitnehmer ausgebaut und die allermeisten Kündigungen würden einer Überprüfung durch das Arbeitsgericht nicht standhalten – wir sind hier schließlich nicht in den USA! Hierzulande müssen Arbeitbeber schon sehr konkrete und überzeugende Gründe vorlegen warum ein Mitarbeiter gekündigt werden soll (und darf) und solange man in seinem Job nicht wirklich richtig Mist baut ist das unter normalen Umständen nahezu ausgeschlossen.
Von daher würde ich von solchen konkreten Aussagen prinzipiell Abstand nehmen – auch in einem Erfahrungsbericht. Das könnte nämlich den Eindruck erwekcne, dass man als Arbeitnehmer der Willkür des Arbeitgebers ausgesetzt ist was faktisch aber nicht stimmt.
Es leben die Sozialauswahl nach §1 KSchG!!
> Man könnte fast sagen, sie seien … glücklich. Auch wenn dieses Glück manchmal außerhalb der Spiele-Industrie liegt
Diesem Satz entheme ich, dass es zwar gut so ist wie es jetzt ist aber man im alten Job durchaus glücklicher gewesen wäre. Auch ziemlich aufbauend – nicht, vor allem wenn man bedenkt, dass der (erneute) Antragsstopp der Ministerien und der dadurch ins wanken geratene deutsche Arbeitsmarkt in der Spieleindustrie nicht gerade viel Anlass zum Jubeln bietet. Vor allem dann nicht wenn man darauf angewiesen ist ein gewisses Lohnniveau zu erreichen und die Lebensumstände es einfach nicht zulassen mal eben 6 Monate unbezahltes Praktikum zu machen „bis sich dann bei uns etwas ergibt“ – oder eben auch nicht.
Und ich sehe als Entwickler mit Jahren an Erfahrung in der Spieleindustrie nicht ein warum ich mich für einen Job bei irgendeinem Tech-Unternehmen als Datenbank- SAP- oder Sonstwasentwickler bewerben soll. Das ist 1. nicht das wofür und 2. auch nicht das was ich Studiert habe und – nein danke, dann lieber Hartz IV, dann habe ich wenigstens endlich mal wieder Zeit meine Steambibliothek abzuarbeiten.
Kurzum, wenn Konzerne mit Millionengewinnen meinen aus Gründen der „performance“ ihre Belegschaft entlassen zu müssen obwohl das Geschäft gut läuft und man Gewinne in Höhe mehrerer 100 Millionen einfährt (Gewinne, nicht Umsatz!), dann hat man als Arbeitnehemr jedes Recht vors Arbeitsgericht zu ziehen – ohne Wenn und Aber! Das ist nichts als reine Gier – es leben der Kapitalismus – und natürlich einzig und alleine zum Wohle der Anleger. Fahrt alle zur Hölle
Es geht im betreffenden Abschnitt nicht um Willkür. Sondern darum, dass Firmen (egal welcher Größe) häufig überraschend resilient sind und die Aufgaben einzelner Mitarbeiter aufteilen können – intern wie extern. Das muss auch so sein, denn umgekehrt ist es ja auch denkbar, dass ein Kollege kündigt. Auch in diesem Fall wird nicht der komplette Laden zusammenbrechen.
Und ja, natürlich gibt es stets eine Sozialauswahl, zuweilen sogar Betriebsräte (einige auch in der Games-Industrie). Aber wenn ganze Projekte und Abteilungen entfallen (etwa durch Einstellung), dann hilft Betriebszugehörigkeit oder die familiäre Situation bedingt.
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