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Apple Vision Pro: Ich sehe was, was du nicht siehst (Fröhlich am Freitag)

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Die Apple Vision Pro wird als 'räumlicher Computer' verkauft (Abbildung: Apple)
Die Apple Vision Pro wird als 'räumlicher Computer' verkauft (Abbildung: Apple)

Apple sieht in Apple Vision Pro ein Potenzial, das viele (noch) nicht sehen. Was möglicherweise an verbreiteter Kurzsichtigkeit liegt.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

Fallout Shelter, Stardew Valley, Sonic the Hedgehog, Solitär ohnehin – all diese und viele weitere Games sind auf dem Armaturen-Touchscreen meines Fahrzeugs vorinstalliert und spielbar (natürlich nur, solange das Auto parkt). Jederzeit ließe sich ein PlayStation- oder Xbox-Controller via USB anflanschen.

Und jetzt raten Sie mal, wie oft und wie lange ich als games-affin gelesene Person in den vergangenen 20 Monaten davon Gebrauch gemacht habe? In Summe keine 10 Minuten, verteilt auf die ersten 48 Stunden nach Übernahme. Seitdem kein einziges Mal. Würde die Funktion morgen deaktiviert, ich würde nix vermissen.

Warum ist das so? Weil sich im echten Leben schlichtweg keine Situation ergeben hat, in der diese Art von ‚In-Car-Entertainment‘ tiefen Sinn entwickelt oder Nutzen gestiftet hätte – beim Gros der Alltags-Fahrten, die 10, 20, 30 Minuten dauern, erst recht nicht.

Und auf Langstrecke? In Ihrer und meiner Kindheit musste die elendig langweilige Reise über den Brenner oder an die Ostsee womöglich mit Ich sehe was, was du nicht siehst oder Kennzeichen-Raten überbrückt werden. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass minder- und volljährige Beifahrer mit Smartphone und Tablet zuverlässig sediert werden können – Hörspiele, Fortnite, Paw Patrol, Game of Thrones, was auch immer. Everybody is a winner.

Dass ich – Stand jetzt – keine Verwendung für In-Car-Entertainment habe, muss natürlich nichts heißen. Ich hab auch keine Verwendung für den sicher irrsinnig sinnvollen Hunde-Modus. Was daran liegen könnte, dass es am dafür erforderlichen Hund fehlt.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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Auch wenn ich im Netz keine belastbaren Zahlen gefunden habe, würde ich aufgrund anekdotischer Erhebungen Wetten eingehen, dass es sich bei serienmäßig verbauten oder optional freischaltbaren Games und Bewegtbild-Inhalten um das mit Abstand am seltensten genutzte und deshalb sinnloseste Feature zeitgenössischer Pkw-Baureihen handelt. Andererseits muss ja irgendjemand darin irgendein Potenzial erkennen, sonst würden Porsche, BMW, Mercedes, Audi & Co. nicht heftig in dieses Segment investieren und zum Beispiel immer neue Kooperationen mit Streaming-Anbietern schließen. Selbst Nvidia gibt Gas.

Nun weiß ich auch, dass Vieles in den Bereich Grundlagenforschung fällt – nämlich im Vorgriff auf irgendwie irgendwo irgendwann selbstfahrende Autos, weil die Insassen irrsinnig viel Zeit totschlagen müssen. Nur: Wenn ich meine jüngsten ICE-Trips nach Berlin oder Wien als Maßstab nehme (also die Fortgeschrittenen-Version des Autonomen Fahrens), dann lautet die Feststellung: An Ablenkung besteht weißgott kein Mangel – einfach jeder hat seinen eigenen Bildschirm mitgebracht und betet für stabiles WLAN.

Womit wir bei Apple Vision Pro wären: In dieser Woche hat der kalifornische Konzern das Kunststück fertiggebracht, eine Virtual- und Augmented-Reality-Brille vorzustellen, ohne dass Buzzwords wie Virtual Reality, Augmented Reality oder gar Metaverse in der Kommunikation ein einziges Mal vorkommen. Stattdessen ist von einem „räumlichen Computer“ die Rede. Apple Vision Pro ist die erste echte Apple-Neuheit seit 2014, als die Apple Watch angekündigt wurde.

Seit diesem Montag tobt im Netz und in der Branche eine leidenschaftliche Debatte um die Erfolgs-Aussichten und die Frage, ob sich bei einem Headset mit einem Ticket von 3.499 Dollar beziehungsweise Viertausendeuronochwas noch von Mainstream sprechen lässt – wenngleich der Zusatz ‚Pro‘ einen zarten Hinweis darauf gibt, für wen das Produkt im ersten Schritt gedacht ist.

Aber Apple ist nun mal Mainstream. Hochpreisiger Mainstream, aber Mainstream. Und deshalb wird der Anspruch lauten, eine neue Produktkategorie zu formen. Denn genau das ist der Benchmark, weil dies mit Smartphone, Tablet und Uhr ziemlich gut geklappt hat.

Inwiefern sich für die Spiele-Industrie neue Optionen ergeben, ist noch offen – auch wenn zum Start über 100 Apple-Arcade-Titel zugänglich sein sollen. Bislang spielen Games bestenfalls eine Nebenrolle; im Vordergrund stehen Kommunikation, Produktivität und passives Entertainment via Film, Serie und Sport. An diesen Prioritäten mag sich mittelfristig noch Einiges ändern – so, wie sich der Schwerpunkt der Apple Watch immer stärker in Richtung Gesundheit und Fitness verschoben hat.

Bei Apple wird man es bereits als Erfolg verbuchen, dass sich die Vision-Pro-Diskussion extrem stark auf den stolzen Preis fokussiert – also um die Frage, ob man für eine solche Experience allen Ernstes 3.499 Dollar ausgeben würde. Oder 2.999 $. Oder 1.499 $. Denn in diesem Stadium geht es bereits darum, sich gedanklich auszumalen, in welchen Alltagssituationen das Produkt Platz finden und das Leben bereichern könnte.

Nicht ohne Grund hat die Apple-Werbeabteilung den fast 50 Jahre alten Supertramp-Heuler Dreamer ausgewählt, um die Anregungen im TV-Spot zu untermalen. Faaaaaar out, what a day, a year, a life it is.

Wer genau hin hörte und hin sah, stellte außerdem fest, dass Apple den geforderten Tarif nicht in Relation setzt zu Headsets der Mitbewerber, sondern zum Kauf eines XXL-Fernsehers plus Highend-PC plus Sound-System. Die Botschaft: Schnapper.

Mittelgroße Sorgen würde ich mir daher mindestens bei HTC (Vive), Meta (Quest) und Sony (PSVR2) machen – gar nicht mal so sehr mit Blick auf das Preisleistungsverhältnis. Sondern auf die immens wichtigen Early Adaptor, die den Kauf vor sich selbst und vor ihrem Umfeld damit rechtfertigen müssen, warum es nicht für die elegantere, leistungsfähigere, smartere Apple Vision Pro gereicht hat. Mit etwas Pech werden sich VR-Controller schon bald anfühlen wie Tasten-Handys.

Und mit noch mehr Pech werden mittelfristig ganze Industrien kaputt geschossen – so, wie es den Herstellern von Navis, Digitalkameras, Camcordern und Diktiergeräten ergangen ist. Wer sagt denn, dass Computer oder Fernseher in 10 Jahren noch genauso aussehen wie 2003, 2013 oder 2023? Eben. Vielleicht gewöhnt man sich schneller an die „unbegrenzte Bildschirmfläche“ und die „dreidimensionale Benutzeroberfläche“, als uns allen lieb ist.

Mit Spott und Taucherbrillen-Memes wird man in Cupertino gerechnet haben. Die Reaktionen zeigen aber vor allem eines: Es fehlt an Fantasie, um den Gedanken zuzulassen, dass in Flieger, Bus, U-Bahn, Uni oder Wohnzimmer einfach jede und jeder so ein Ding auf der Nase tragen könnte. Nicht ständig, aber regelmäßig genug. Nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht 2026 oder 2030.

Die Apple-Ingenieure spielen die XXL-Version von ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ – sie sehen in Vision Pro etwas, was die meisten nicht sehen. Was wiederum an verbreiteter Kurzsichtigkeit liegen könnte. Zur Erinnerung: Es ist gerade mal 15 Jahre her, dass irgendwelche Tech-Spinner und Apple-Jünger über die Oberfläche der ersten iPhone-Generation gewischt haben. Wie, der Akku lässt sich nicht tauschen? Echt jetzt? Haha, LOL, diese Opfer.

Niemand kann ausschließen, dass Apple Vision Pro komplett gegen die Wand fährt oder in anderen Produkten aufgeht – Sie kennen die abschreckenden Beispiele: Stadia, PlayStation Now, Google Glass, Xbox Kinect, 3D-Fernseher, Google+. Pfiffige Ideen, handwerklich mäßig exekutiert, falsch bepreist. Auch und gerade die wertvollsten Unternehmen der Welt sind vor Irrtümern und Sackgassen nicht gefeit. Daran ist nichts verwerflich, denn nur durch Trial & Error entsteht Innovation.

Falls das Projekt – wie vielfach prophezeit – scheitert, wäre dies eine unmittelbare Folge dessen, dass konzerneigenen und -fremden Ingenieuren, Produktdesignern und App-Entwicklern partout nichts Sinnvolles eingefallen ist, wozu Apple Vision Pro taugen könnte.

Nur: Wenn es einem Unternehmen gelingt, mittel- und langfristig ein Mixed-Reality-Konzept am Markt durchzusetzen, dann Apple. Warum? Weil die Vision Pro im Unterschied zu Microsoft, Meta, Amazon und Google in ein funktionierendes Ökosystem aus Hard- und Software eingebettet ist.

Und wer weiß, vielleicht löst Apples VR-/AR-Vision mittelfristig sogar ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ als analoge Form des In-Car-Entertainments ab.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. > Inwiefern sich für die Spiele-Industrie neue Optionen ergeben, ist noch offen

    Aktuell würde ich sagen eher keine. Wenn ein Unternehmen nicht gerade ohnehin Geld im Keller liegen hat, dann wird auch keiner auf den Zug aufspringen. Das Problem an der Entwicklung für Apple ist leider eben auch das was als großer Vorteil von der Apple-Familie beworben wird – um auf Apple zu entwickeln benötigt man zunächst Apple-Geräte und um einigermaßen Kosteneffizient arbeiten zu können, muss man da dann leider auch schon tief in die Tasche greifen um sich besser ausgestattete Hardware zuzulegen. Und – alle Hipster da draußen halten sich jetzt am besten mal die Ohren zu – meiner Erfahrung nach und der Meinung vieler Kollegen, sind Apple-Rechner nicht für den täglichen Gebrauch geeignet, zumindest dann nicht, wenn man damit anspruchsvollere Aufgaben wie Spieleentwicklung durchführen möchte.

    Wenn man außerdem Statista glauben darf, dann macht iOS noch gerade mal 27% Marktanteil aus, während Android mit 72% Marktanteil ganz klar die Nase vorn hat. Für mich als Entwickler rechnet sich die ganze Nummer vorne wie hinten nicht!

    > Vielleicht gewöhnt man sich schneller an die „unbegrenzte Bildschirmfläche“ und die „dreidimensionale Benutzeroberfläche“, als uns allen lieb ist

    Ich sag mal ganz selbstbewusst – no way! Alleine schon deswegen weil es den Herstellern bisweilen nicht gelungen ist ihre Produkte auch solchen Kunden zugänglich zu machen, die über ein beeinträchtigtes Sehvermögen verfügen. Das muss nicht unbedingt Blindheit sein aber eine beeinträchtigung des räumlichen sehens oder eine doch recht häufig anzutreffende Augenkrankheit reichen schon aus um das VR-Erlebnis dauerhaft zu stören. Und da Apple wie wir alle wissen mit ihrer Hardware Lichtjahre hinter allen anderen Zurückliegen – nicht zuletzt weil man es ja nichtmal mehr für nötig hält die gängigen Hardwaretreiber zu verwenden sodnern lieber „was eigenes“ auf die Beine stellt- würde ich diesem Zukunftsszenario keinerlei Bedeutung zumessen. An der Stelle könnte man genau so fragen „was ist eigentlich aus den 3D Filmen für Zuhause geworden?“

    > Warum? Weil die Vision Pro im Unterschied zu Microsoft, Meta, Amazon und Google in ein funktionierendes Ökosystem aus Hard- und Software eingebettet ist

    Bislang ist das leider eher ein nach- als ein Vorteil von Appleprodukten. Ja, Appleprodukte funktionieren gut miteinander, das Smartphone kann schon aus der Hostentasche riechen wenn die Watch gerade über die KAsse gezogen wird und bietet mir bereits eine Einrichtungsoption dafür an ABER (großes Aber, deswegen Capslock 😉) genau das ist eben auch der Nachteil. Apple kann bzw. möchte keine Kompatibilität zu anderen Herstellern bieten. Wenn ein Apple-Produkt unausgereift und/oder fehlerbehaftet ist, haben Apple-Kunden oft keine Möglichkeit auf andere Hersteller auszuweichen. Das macht auch den Umstand nicht besser, dass die einzige Bezugsquelle für Software nach wie vor der eigene App-Store ist. Mal eben eine APK nachinstalliert, damit die neue Smartwatch sich in das Smartphone integriert ist bei Apple eben nicht und das wird dem Konzern auf Dauer das Genick brechen.

    Der einzige Grund warum Apple mit ihren Produkten nach wie vor noch den Markt bedienen können sind 2 psychologische Aspekte, einerseits die Fanboys die jede Summe für die Produkte ausgeben und damit ihr Umfeld mitziehen und auf der anderen Seite das Versprechen von Wertigkeit mit hohen Preisen. Edles Design statt ausgefallener Technik oder „Fake it until you make it“.

    Und Apple ist nicht die einzige Firma, die das mit den Kunden macht. LEGO … Lego!

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