Start Meinung Aufstand im Games-Land (Fröhlich am Freitag)

Aufstand im Games-Land (Fröhlich am Freitag)

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Der Games-Standort NRW ist derzeit Gegenstand heftiger Turbulenzen (Abbildung: GamesWirtschaft)
Der Games-Standort NRW ist derzeit Gegenstand heftiger Turbulenzen (Abbildung: GamesWirtschaft)

Die Politik liebt den Problemlöser – seltener den Problembeschreiber und so gut wie nie den Problemverursacher: Willkommen in Nordrhein-Westfalen!

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

bis vor wenigen Tagen war ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass wir das Jahr 2023 schreiben. Bis zu dem Zeitpunkt, als am Dienstagmorgen die 50er Jahre angerufen haben – und zwar in Gestalt meiner zuständigen, ungleich jüngeren Steuerfachgehilfin.

Sie habe da noch ein paar Fragen zur verbauten Photovoltaik-Anlage: „Wissen Sie das? Oder soll ich Ihren Mann fragen?“

Leider habe ich erst mit geschätzt zehnsekündiger Verzögerung durchschaut, welch ungehöriges Gesellschaftsbild in diesem Satz mitschwingt – in jedem Fall zu spät für einen glaubhaften Konter, der das Potenzial gehabt hätte, das in Jahren gewachsene Vertrauensverhältnis empfindlich zu stören. Zumal die Kollegin für mich beim Finanzamt schon das eine oder andere glühende Brikett aus dem Feuer geholt hatte.

Stattdessen also: „Schicken Sie uns einfach ne Mail – wir suchen Ihnen die Daten raus.“

Schlagfertigkeit? Kann ich.

Dabei hat es die Fachkraft sicher gar nicht mal böse gemeint, sondern wollte mir und natürlich ihr selbst das Leben erleichtern und den Vorgang schlicht beschleunigen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Während ich mich nur noch milde über die offensichtliche Inkompetenz-Vermutung ärgerte, wurde mir gewahr, dass ich umgekehrt kein Stück ‚besser‘ bin. Wenn ich die stets bemühte Mitarbeiterin meines Website-Server-Dienstleisters am Hörer habe, liegt am anderen Ende der Leitung serienmäßig eine leichte „Oh, das ist ne sehr technische Frage – da muss ich meine Kollegen ins Boot holen“-Unsicherheit in der Luft. Gefolgt von fünf bis zehn Minuten Kleine Nachtmusik vom Band. Weshalb ich schon gelegentlich einen Befehlsketten-Cheat angewandt und direkt die Leute vom Fach angepingt habe – die mir dann oft genug das exakte Gegenteil erzählten.

Im Kern geht es auch hier um die Frage: Wen ruft man als erstes an? Wer ist mein präferierter Ansprechpartner? Wem traue ich zu, dass er meine Herausforderungen Punkt für Punkt, seriös und pronto abschichtet? Also wie in Pulp Fiction, wo es an der Tür klingelt und Harvey Keitel im Smoking vor der Tür steht: „Mein Name ist Mr. Wolf, ich löse Probleme.“

Jede Firma, jeder Verein, jede Kommune, jede Branche braucht ihren Mr. Wolf. Jemand, der weiß, wo’s brennt. Der gründlich analysiert. Und der dann die richtigen Maßnahmen empfiehlt und konkrete Aufgaben zuweist. Oder wie es Tarantinos Mr. Wolf formuliert: „Verstehen Sie mich richtig: Ich bin nicht hier, um ‚Bitte‘ zu sagen. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, was Sie tun. Und wenn Selbsterhaltung zu Ihren Trieben zählt, dann machen Sie sich an die Arbeit – und zwar schnell.“

In dieser Woche trug es sich nun zu, dass für einen kurzen Moment die Erdkruste in der sonst so gesitteten deutschen Spiele-Industrie bebte. Das Epizentrum würde ich im Raum Düsseldorf verorten – zumindest schlugen dort die Social-Media-Seismographen am heftigsten aus.

Ausgelöst wurde die Erschütterung der Macht durch eine außergewöhnlich scharf formulierte Pressemitteilung von Gamedevs.NRW – einer privat organisierten Discord-Community von Entwicklern, die sich nun als dringend ernstzunehmende Standortinitiative in Stellung bringt. So richtig mit Generalsekretär und ‚Head of Communications‘. Und daraus den Anspruch ableitet, in den Austausch mit der Staatskanzlei einzutreten.

Klare Ansage: Ein neuer Mr. Wolf ist in der Stadt.

Nun ist es so, dass es in Nordrhein-Westfalen bereits seit langem eine solche Initiative gibt, nämlich Games.NRW. Deren Mitglieder – Publisher-Multis, traditionsreiche Studios, Startups, Hochschulen – sitzen in gefühlter Kompanie-Stärke am Tisch, wenn der Ministerpräsident zum ‚Games-Gipfel‘ lädt. Einen solchen hat Laschet regelmäßig ausgerichtet – Nachfolger Wüst indes noch nicht. Kommt bestimmt noch.

Dass es an Deutschlands bestem Games-Standort™ überhaupt eine weitere Lobby-Gruppierung braucht, begründen die Initiatoren ausgerechnet damit, dass sie ihre Interessen von der bestehenden Interessensvertretung – also Games.NRW – nicht hinreichend vertreten fühlen. Genauer: gar nicht.

Weil in NRW also “Vieles besser“ laufen könne (wo nicht?), werde nun eben Gamedevs.NRW die Sache in die Hand nehmen und ab sofort Mr-Wolf-mäßig Probleme lösen – und sich dabei (Zitat) „bewusst vom Verein Games.NRW abheben“.

Leider hat die sehr offensiv und konfrontativ vorgetragene Kommunikation bereits mit dem ersten Aufschlag ungefähr alles an Porzellan zerdeppert, was im Raum war – mit geringer Aussicht, den angerichteten Scherbenhaufen zeitnah wieder zu kitten. Denn alle bekamen ihr Fett weg – die Politik, die landeseigene Film- und Medienstiftung, das Mediengründerzentrum und natürlich Games.NRW samt der dort aktiven Unternehmer und Entwickler in NRW.

Ein Teil des verbalen Sprengstoffs ist mittlerweile in wesentlichen Punkten entschärft worden. Noch bis vorgestern stand auf der Gamedevs.NRW-Website zum Beispiel, dass Games.NRW seit 2017 keine „major achievements“ (also: substanzielle Fortschritte) für die regionale Branche zustande gebracht habe. Gleichzeitig habe der Deutsche Entwicklerpreis keinen „value“ für Region und Preisträger. Was vermutlich nur am Rande damit zu tun hat, dass die seit 2004 verliehene und damit älteste Auszeichnung der deutschen Branche neuerdings von Games.NRW organisiert wird.

Humorloses Fazit: „Aus den genannten Gründen sehen wir keinen Wert in Games.NRW als unserer Vertretung“. Egal wie man die Ist- und Soll-Situation an Rhein und Ruhr bewertet: Auf so eine Danke-für-nix-Rhetorik muss man erst mal kommen.

Die Planschbecken-Arschbombe triggerte erwartungsgemäß Unverständnis bis hin zu Entrüstung – zuvorderst außerhalb, aber eben auch innerhalb von Gamedevs.NRW. Teile der Community fühlten sich überrumpelt und nicht mitgenommen; von einem „Alleingang“ war mehrfach die Rede.

Nach wie vor wird auf der Website explizit betont, dass keine Denk- und Sprachverbote stattfinden. Dass man „100 % unabhängig“ sei – und sich „nicht kaufen“ lasse. „Niemand diktiert uns, was wir sagen.“ Was zwangsläufig die „… im Gegensatz zu?“-Nachfrage aufwirft.

Die inhaltlich völlig nachvollziehbaren Baustellen, die Gamedevs.NRW benennt und die auch im 2022-Positionspapier von Games.NRW angerissen werdem (etwa eine effizientere und nachhaltigere Unterstützung von Gründern und Studenten), lassen sich nur strukturell, sprich: mit Geld bewältigen. Womit wiederum der Ball bei der Landesregierung liegt.

Dort steht man nun vor der unkommoden Abwägung, ob und wenn ja: wie man sich zu dieser Situation verhalten soll. Üblicherweise lautet die Botschaft in solchen Fällen: „Meldet euch gerne wieder, wenn ihr euch auf eine gemeinsame Position verständigt hat …“.

Denn wenn Ministerien und Politiker eines überhaupt nicht gebrauchen können, dann ein Gewerbe, in dem es Konfro gibt – wenn auch nur oberflächlich oder punktuell. Wer setzt sich schon ohne Not für Projekte und Initiativen ein, bei denen nicht restlos geklärt ist, ob bei den Begünstigten hinreichend Rückhalt vorhanden ist? Auch andere Industriezweige haben ja unterjährigen Gesprächs- und Geldbedarf.

Der Vorgang sollte anderen Standorten ein warnendes Beispiel geben, dass sich Lobby-Arbeit irrsinnig schlecht verträgt mit jeder Form der Fragmentierung. Am Ende geht es schlichtweg um Vertrauen, natürlich zuvorderst in handelnde Personen – und in deren Prokura.

Absolut niemand will hören: „Wissen Sie das? Oder soll ich jemand anderes fragen?“

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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